Bild COVID-19-bedingte Kontrollmaßnahmen für den Reiseverkehr

Corona und Reisen: Wie wirksam sind Kontrollmaßnahmen?

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Ende 2019 wurden in der chinesischen Stadt Wuhan erste Fälle der durch das neuartige Coronavirus SARS‐CoV‐2 verursachten Krankheit COVID-19 gemeldet. Daraufhin breitete sich COVID-19 schnell auf der ganzen Welt aus. Um der Pandemie entgegenzuwirken, haben die Regierungen zahlreicher Länder Kontrollmaßnahmen bezüglich des internationalen Reiseverkehrs eingeführt, darunter Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Screenings bei Ein‐ oder Ausreise und Quarantäne für Reisende. Autoren eines neuen Cochrane Rapid Reviews sind der Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahmen nachgegangen.

Montag, 30. März 2020, 5 Uhr morgens. Laura lässt sich einen Kaffee aus dem Automaten am Flughafen raus. Vor zwei Stunden erhielten sie und ihr Freund den lang ersehnten Anruf mit der Nachricht, dass sie heute zurück nach Deutschland fliegen können. Als sie im Februar nach Peru gereist waren, hätten sie niemals erwartet, dass sie statt ein paar Wochen gleich mehrere Monate dort verbringen würden. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden sämtliche Flüge gestrichen und auch die Rückholflüge des Auswärtigen Amts waren bereits vollständig besetzt. Dadurch blieb den beiden nur die Möglichkeit, auf einen Flug zu warten. So ähnlich wie Laura und ihrem Freund ging es seit Ausbruch der Pandemie auch vielen anderen Reisenden, wenn auch die meisten Fälle nicht so extrem ausfielen. Dennoch, der nationale Reiseverkehr sowie internationale Ein- oder Ausreisen wurden auf die eine oder andere Art und Weise reguliert, um der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken.

Was sind reisebezogene Kontrollmaßnahmen?

Um der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie entgegenzuwirken, werden seit Anfang dieses Jahres verschiedene Maßnahmen eingesetzt. Hierzu gehören neben Abstands- und Hygieneregeln, Melde- und Testpflicht auch reisebezogene Kontrollmaßnahmen. Diese umfassten Schließungen von Ländergrenzen, teilweise Reisebeschränkungen (z.B. Einreiseverbot für Personen aus bestimmten Ländern), Screenings auf COVID-19-Symptome bei der Ein- oder Ausreise und Quarantänemaßnahmen. Bereits während der SARS-Pandemie (Schweres akutes Atemwegssyndrom) 2002/2003 und des Ausbruchs von MERS (Middle East Respiratory Syndrome) 2012 wurden ähnliche Maßnahmen eingeführt.

Reisebezogene Kontrollmaßnahmen – können sie die Ausbreitung von COVID-19 stoppen?

Ein neuer Cochrane Rapid Review hat untersucht, wie effektiv reisebezogene Kontrollmaßnahmen in Bezug auf die Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 tatsächlich sind.

Der Review basiert auf den Ergebnissen von insgesamt 36 Studien, von denen die meisten zu COVID-19, aber auch einige zu SARS und MERS, durchgeführt wurden (25 Studien zu COVID-19, 10 Studien zu SARS, 1 Studie zu SARS und MERS). Unter den Studien finden sich sowohl Beobachtungs- als auch Modellierungsstudien (14 Beobachtungsstudien, 22 Modellierungsstudien). Es wurden folgende Ergebniskategorien berücksichtigt:

Reisebeschränkungen zur Reduzierung des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs

Die Ergebnisse von 12 Studien (11 Modellierungsstudien, 1 Beobachtungsstudie) gaben indirekt Hinweise darauf, dass Beschränkungen des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs zu Beginn eines Ausbruchs die Zahl der COVID-19 Neuerkrankungen um mehr als ein Viertel senken könnten. Auch könnte dadurch die Zahl der Todesfälle reduziert und die Ausbreitung eines Ausbruchs verringert werden. Zusätzlich fanden die Autoren des Reviews Hinweise auf eine sinkende Anzahl importierter oder exportierter Fälle sowie eine geringere Ausbreitung der Infektion. Die Autoren schätzten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als niedrig bis sehr niedrig ein, unter anderem weil das Verzerrungsrisiko der Studien hoch war und die meisten Studien sich nicht in erster Linie auf diesen Endpunkt fokussierten.

Ein- und Ausreisescreenings an nationalen Grenzen mit oder ohne Quarantäne der Reisenden

Bezüglich der Ein- und Ausreisescreenings mit und ohne Quarantäne wurden 12 Studien (6 Modellierungsstudien, 6 Beobachtungsstudien) zu COVID-19 in den Review eingeschlossen. Diese Maßnahmen könnten die Zeit bis zu einem Ausbruch verzögern und zwischen 10 – 53% der infizierten Reisenden ermitteln. Allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse der Beobachtungsstudien stark. Aus diesem Grund sind sich die Autoren unsicher über den Anteil der Reisenden, die korrekt als mit dem Coronavirus infiziert erkannt wurden. Die Autoren schätzten die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als niedrig bis sehr niedrig ein.

Zu der SARS-Pandemie fanden die Autoren 4 Modellierungsstudien und eine Beobachtungsstudie sowie eine Modellierungsstudie zu MERS. Diese trugen zur Evidenz der Effektivität von Ein- und Ausreisescreenings bei. Durch Kontrollmaßnahmen könnte sich eventuell die Anzahl der an Ländergrenzen entdeckten Fälle erhöhen, detaillierte Ergebnisse hierzu finden Sie im kompletten Review.

Quarantäne für Reisende bei Überschreitung nationaler Grenzen

In einer Modellierungsstudie wurden Quarantänemaßnahmen untersucht. Die Autoren dieser Studie kamen zu der Erkenntnis, dass weniger neue Fälle aufgrund von erkrankten Einreisenden auftraten, wenn eine Quarantäne von 14 Tagen verhängt wurde. Erneut schätzten die Autoren die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als niedrig bis sehr niedrig ein. Bezüglich der SARS-Pandemie fanden die Autoren eine Modellierungsstudie und eine Beobachtungsstudie, die Quarantäne als alleinige Maßnahme untersuchten. Auch hier fanden die Autoren bei Begutachtung der Evidenz, dass Quarantänemaßnahmen nützlich sein könnten, um die Anzahl der Neuerkrankungen zu verringern, stuften die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz doch als niedrig bis sehr niedrig ein.

Verlässlichkeit der Evidenz

Die Ergebnisse der 36 Studien lieferten nur begrenzte Evidenz, da sie oftmals nicht auf empirisch erhobenen Daten, sondern auf Modellierungsstudien basieren, für die diverse Annahmen getroffen werden müssen. Zudem unterschieden sich die Studien stark voneinander. Zukünftige Ergebnisse würden sich wahrscheinlich auch je nach Entwicklung der Pandemie, des Reiseverkehrs und der eingesetzten Maßnahmen verändern. Auch könnten sich die Ergebnisse von Studien zu Screenings bei Ein- und Ausreise je nach verwendeter Screening-Methode und dem Anteil der Infizierten unter den Reisenden unterscheiden.

Zu welcher Schlussfolgerung gelangen die Autoren?

Es bleiben viele Fragen offen, denn „reisebezogene Kontrollmaßnahmen werden nicht in einem luftleeren Raum durchgeführt“, so der Hauptautor Jacob Burns, „ihre Wirksamkeit wird von anderen Faktoren beeinflusst.“ Eine Kombination von Maßnahmen könnte wirksamer sein als eine Maßnahme allein. Screenings bei der Ein- und Ausreise wären hierfür ein gutes Beispiel: „Maßnahmen zum Screening auf Symptome bei Ein- und Ausreise allein sind wahrscheinlich nicht wirksam, wenn es darum geht, einen relevanten Anteil der Fälle aufzudecken, um zu verhindern, dass sich neue Fälle innerhalb der von der Maßnahme geschützten Region verbreiten,“ so die Autoren. „In Kombination mit anschließender Quarantäne, Beobachtung und PCR‐Tests dürfte sich die Wirksamkeit wahrscheinlich verbessern.“


„Es gab keine ausreichende Evidenz, um eindeutige Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit von reisebezogener Quarantäne als alleinige Maßnahme zu treffen. Einige der eingeschlossenen Studien deuten darauf hin, dass die Effektivität wahrscheinlich von anderen Faktoren abhängt, wie z.B. dem Stadium der Epidemie, der Vernetzung zwischen den Ländern, den lokalen Maßnahmen zur Eindämmung der Übertragung auf die Bevölkerung und dem Grad der Umsetzung.“


Die Autoren des Reviews fanden keine Informationen über Kosten und negative Auswirkungen der Maßnahmen. So bietet der Review zwar einige Antworten, hinterlässt jedoch viele Fragezeichen, deren Beantwortung weitere Forschung benötigt.

Text: Michaela Davia

Michaela Davia studiert Gesundheitwissenschaften an der Hochschule Furtwangen und arbeitet zur Zeit bei Cochrane Deutschland.

Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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