Dehnen Muskelkater

Dehnen – wirksam oder nur sportliches Ritual?

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Stretching vor dem Sport? Nach dem Sport? Oder am besten vor und nach dem Sport? Das Thema „Dehnen“ wird in der Wissenschaft und im Sport seit vielen Jahren heftig diskutiert. Stretching-Befürworter schwören auf die positiven Seiten des Dehnens, Kritiker berufen sich auf Studien, die diese Effekte widerlegen. Ein Cochrane-Review hat untersucht, ob Stretching vor und/oder nach dem Sport einen Muskelkater verhindern kann.

Die genaue Entstehung eines Muskelkaters ist bis heute nicht definitiv geklärt. Die Theorien zur Ursache des Schmerzes, der sich einige Stunden oder bis zu zwei Tage nach ungewohnter oder intensiver Belastung einstellt, sind vielfältig. Eine mögliche Erklärung ist, dass Mikroverletzungen des Muskels zu Entzündungsreaktionen im Muskel führen, in der Folge kommt es zu Schmerzen und Steifheit, also zu Muskelkater.

Unterschiedliche Muskelkater-Theorien

Das Konzept des Dehnens, vor oder/und nach dem Sport basiert auf Forschungsarbeiten aus den 1960er-Jahren. Diese gingen davon aus, dass ungewohnte oder übermäßige sportliche Aktivität zu Verspannungen der Muskeln führe, diese Verspannungen unterbrächen den Blutfluss zu den Muskeln und führten in der Folge zu schmerzhaften Verkrampfungen. Als Gegenmaßnahme empfahlen die Forscher das Dehnen, eine Maßnahme, die muskuläre Blockaden lösen könne. (1) Diese Theorie ist mittlerweile überholt, doch nach wie vor praktizieren viele Sportler das Dehnen nach unterschiedlichen Konzepten, wie etwa der „Kontrakt-Relax“-Technik, einem wechselnden An- und Entspannen des Muskels für 15 Sekunden bis zu 2 Minuten. Eine andere Technik ist das PNF-Stretching (Proprioceptive Muscular Facilitation), eine Kombination aus isometrischem Dehnen, also längerem Dehnen und zusätzlicher Muskelanspannung, und passivem Dehnen mithilfe eines Trainingspartners, der als Dehnungswiderstand fungiert.

Große Studie einbezogen

Ein Cochrane-Review konnte zu diesem Thema insgesamt 12 randomisierte kontrollierte Studien finden, elf davon mit kleiner Teilnehmerzahl zwischen 10 und 30 Personen, sowie eine große Studie mit mehr als 2.300 Teilnehmern unterschiedlichen Alters. 1.220 dieser Teilnehmer führten vor und/oder nach dem Sport Dehnungsübungen durch, sie bildeten die sogenannte Interventionsgruppe. Die anderen Teilnehmer führten keine Dehnungsübungen vor und/oder nach dem Sport durch. Zehn der Studien wurden in Sport-Labors mit standardisierten Übungen durchgeführt, zwei Studien – davon die größte – waren so genannte feldbasierte Studien, bei denen die Teilnehmer ihre Dehnungsübungen selbst auswählen konnten. Nachteil: eine Verblindung war in keiner der Studien möglich, das heißt, die Teilnehmer und die Wissenschaftler wussten wer Dehnungsübungen durchgeführt hatte und wer nicht. Alleine dieses Wissen kann schon zu positiven Effekten führen, die aber nicht mit dem Dehnen selbst zusammenhängen müssen.

Dehnen – vor, nach oder vor und nach dem Sport?

Drei der zwölf Studien fokussierten auf das Dehnen vor dem Sport, sieben untersuchten dessen Effekte nach dem Sport. Eine Studie verglich die Effekte des Dehnens vor dem Training und nach dem Sport. Eine weitere Studie richtete das Augenmerk auf die Kombination: Dehnen vor und nach dem Training. In den zwölf Studien wurden jeweils unterschiedliche Muskeln gedehnt, wie u.a. der Kniestreck-, der Achillessehnen- oder der Ellbogenmuskel, sowie Muskeln an den unteren Extremitäten und die Rumpfmuskulatur.

Dehnen – gut oder nutzlos?

Dehnen vor dem Sport reduzierte die Schwere des Muskelkaters auf einer 100-Punkte Skala im Durchschnitt um einen halben Punkt, Dehnen nach dem Sport um einen Punkt.Die Kombination Dehnen vor und nach dem Sport konnte auf einer Hundert-Punkte-Skala die Schwere des Muskelkaters um vier Punkte reduzieren. Damit hat Dehnen vor und/oder nach dem Sport keine nennenswerte Wirkung auf Muskelkater.

Dehnen könnte aber möglicherweise Auswirkungen auf die körperliche Leistung, auf das Verletzungsrisiko und das persönliche Wohlbefinden eines Sportlers haben. Diese Kriterien wurden jedoch in den aktuelle Cochrane-Review nicht einbezogen. Dank der klaren Ergebnisse des Cochrane-Reviews, sehen die Autoren keinen weiteren Forschungsbedarf, der die Effekte von Stretching auf Muskelkater untersucht. Weitere Studien, die die Wirkung von langfristigen Stretching-Konzepten untersuchen, sowie die Wirkung von Stretching bei Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit, wären aber wünschenswert.

Hier geht’s zum Cochrane-Review

http://www.cochrane.org/CD004577/MUSKINJ_stretching-to-prevent-or-reduce-muscle-soreness-after-exercise

Quelle:

(1)   De Vries, HA, 1966: Quantitative electromyographic investigation of the spasm theory of muscle pain.

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/5938206

Autorin: Mag. Dr. Doris Simhofer

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