Dad holding crying baby

Helfen Probiotika gegen Säuglingskoliken?

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Bis zu 25 % aller Säuglinge leiden weltweit an Säuglingskoliken – auch als Dreimonatskoliken bezeichnet. Betroffene Säuglinge weinen oftmals übermässig viel und scheinbar grundlos. Obwohl Säuglingskoliken meist nach drei bis vier Monaten von selbst verschwinden, suchen ratlose Eltern häufig einen Arzt* auf. Ein aktueller Cochrane Review untersuchte, ob Probiotika Säuglingskoliken lindern helfen.

Unzählige Stunden verbrachten wir als Eltern damit, unseren Sohn zu beruhigen. Dabei weinte er oftmals auch dann, wenn er gerade gestillt wurde und auch die Windeln frisch waren. Er schien untröstlich, strampelte wie wild und schrie sich die Seele aus dem Leib. Dann half oftmals nur das Herumtragen im Tragetuch, eine Bauchmassage im „Fliegergriff“ oder stundenlanges Hüpfen auf einem Gymnastikball. Stundenlang. Mitten in der Nacht. Bis er dann endlich wieder völlig erschöpft für ein paar wenige Stunden einschlief.

Was sind Säuglingskoliken?

Dass ein Säugling weint ist ganz normal. Durch Weinen macht er auf seine Bedürfnisse aufmerksam. Jedoch weinen manche Kinder mehr als andere. Von Säuglingskolik wird dann gesprochen, wenn ein sonst gesundes Kind über drei Stunden am Tag an mehr als drei Tagen in der Woche und mindestens drei Wochen lang ohne ersichtlichen Grund weint. Bei den meisten betroffenen Kindern verschwinden die Koliken nach drei bis vier Monaten von selbst. Jedoch haben ein Fünftel der Säuglinge ein ernsthaftes medizinisches Problem. So leiden sie beispielsweise an Harnwegsinfektionen, wiederkehrenden Bauchschmerzen oder allergischen Erkrankungen.

Ursache von Säuglingskoliken

Säuglingskoliken werden meist durch mehrere verschiedene Faktoren ausgelöst. So können durch Muttermilch oder Säuglingsanfangsnahrung aufgenommene Allergene – wie Kuhmilchproteine – eine allergische Reaktion auslösen. Säuglinge, dessen Mütter in der Schwangerschaft oder während des Stillens rauchen oder Nikotinersatzprodukte nehmen, leiden auch häufiger an Koliken. Zudem zeigte sich, dass die Zusammensetzung der Darmflora des Säuglings eine wichtige Rolle spielt.

Auswirkungen von Säuglingskoliken

Für Säuglinge – aber natürlich auch die Eltern – sind Säuglingskoliken sehr anstrengend. Viele Eltern machen sich große Sorgen, wissen häufig nicht, was ihrem Kind fehlt oder wie sie es beruhigen können. Oftmals suchen sie daher ärztliche Hilfe in dieser Zeit auf.

Bisher ist noch keine wirksame Behandlung für Koliken bekannt. Daher suchen insbesondere Eltern aber auch Ärzte, Gesundheitsfachpersonen und Forschende nach Möglichkeiten, um den Säuglingen bei ihren Koliken zu helfen. Eine Möglichkeit stellt womöglich die Gabe von Probiotika dar.

Warum gerade Probiotika?

Es wird angenommen, dass die Darmflora bei Säuglingen mit Koliken sich von derjenigen bei gesunden Säuglingen unterscheidet. Probiotika sind lebende Mikroorganismen, wie Milchsäurebakterien oder bestimmte Hefen. Zu den bekanntesten Probiotika gehören die Lactobabazillen oder Bifidobakterien. Diese gelangen zum grössten Teil lebend in den Darm und beeinflussen dort die Darmflora positiv. So können sie potenziell pathogene Bakterien aus dem Darm verdrängen, indem sie Säuren bilden oder sich an die Darmwand ansiedeln, so dass ungünstige Bakterien sich dort nicht mehr ansiedeln können. Probiotika können durch naturbelassene, unverarbeitete Milchprodukte oder in Pulver- oder Tablettenform als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden.

Cochrane Evidenz

Ob nun Probiotika tatsächlich Säuglingskoliken reduzieren helfen, untersuchte ein aktueller Cochrane Review. Die Autoren schlossen sechs randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 1886 Teilnehmenden, darunter Schwangere, Mütter bzw. ihre Neugeborenen, ein. Dabei nahmen in zwei Studien die Schwangeren ab der 36. Schwangerschaftswoche Probiotika bis zur Geburt ein. In einer dieser zwei Studien nahmen nach der Geburt die nun stillenden Mütter bis vier Wochen nach der Geburt die Probiotika weiter ein. In der anderen Studie erhielten die Säuglinge die Probiotika nach der Geburt. In der dritten Studie erhielten Frühgeborene (32. – 36. Schwangerschaftswoche) die Probiotika. In den verbleibenden drei Studien erhielten die Säuglinge entweder direkt von Geburt an oder innerhalb der ersten Lebenswoche Probiotika in ihrer Säuglingsnahrung. Alle sechs Studien verwendeten Placebo in der Vergleichsgruppe. Die Behandlung dauerte zwischen 30 Tagen bis 6 Monaten. Insgesamt war die Studienqualität niedrig.

Die Review-Ergebnisse zeigten, dass Probiotika zwar nicht signifikant das Auftreten von neuen Koliken reduzieren helfen, jedoch die Säuglinge mit Probiotika durchschnittlich pro Tag eine halbe Stunde weniger weinten. Auch zeigten sich keine schweren Nebenwirkungen bei den Säuglingen unter Probiotikagabe im Vergleich zur Vergleichsgruppe. Zudem fanden die Review-Autoren weder einen Unterschied bezüglich der Wirksamkeit verschiedener Probiotika noch bezüglich des Zeitpunktes der erstmaligen Probiotikagabe. Auch konnte kein Unterschied festgestellt werden, ob Schwangere, stillende Mütter oder ihre Säuglinge die Probiotika erhielten.

Weniger Weinen durch Probiotika

Auch wenn Probiotika nicht die Häufigkeit von Säuglingskoliken reduziert, können sie jedoch die Weindauer der Säuglinge verringern. Somit spricht nichts dagegen, als Schwangere oder Stillende prophylaktisch oder unterstützend bei Säuglingskoliken Probiotika zu sich zu nehmen. Denn eine halbe Stunde weniger Weinen kann schon das Wohlbefinden des Säuglings und die Lebensqualität der Eltern verbessern. Nichtsdestotrotz sollte ein Arzt aufgesucht werden, wenn der Säugling zusätzlich zu den Koliken noch Fieber bekommt.

Text: Anne Borchard

Die laienverständliche deutsche Zusammenfassung, auf der dieser Artikel basiert, wurde dank der finanziellen Unterstützung der Fondation SANA  übersetzt.

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

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