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Von der Schlange gebissen: weltweiter Gegengift-Vorrat geht zur Neige

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Manche medizinische Behandlungen sind so offensichtlich wirksam, dass eine wissenschaftliche Überprüfung im Rahmen von randomisierten, kontrollierten Studien nicht sinnvoll erscheint. Es wäre unethisch, einem Teil der Studienteilnehmer die wirksame Therapie in einer klinischen Vergleichsstudie vorzuenthalten. Dazu gehören Gegengifte, die Patienten nach dem Biss einer Giftschlange möglichst schnell verabreicht werden.

In einem im Juni veröffentlichten Cochrane Review konnte entsprechend auch keine randomisierte Studien gefunden werden, die die Wirksamkeit von Gegengiften bei einer der tückischsten Folge von Schlangenbissen untersucht hätte, einem Totalausfall der Blutgerinnung (sogenannte Verbrauchskoagulopathie). Gleichwohl wird der Nutzen der Schlangenseren nicht ernsthaft bestritten; nach ihrer Einführung konnte die Sterblichkeit bei Schlangenbissen drastisch gesenkt werden.

Aufwendige Produktion

Ein Schlangenserum besteht oft aus einem Cocktail von Antikörpern gegen das Gift derjenigen Schlangen, die in einer bestimmten geographischen Region am häufigsten vorkommen. Wer von Viper, Mamba, Kobra & Co. zugebissen hat, kann oft nicht festgestellt werden. Man stellt daher durch die Kombination sicher, dass Antikörper gegen die wahrscheinlichsten Schlangengifte enthalten sind. Die Herstellung dieser sogenannten „polyvalenten Antiseren“ ist aufwendig: Das Gift wird den diversen Schlangen entnommen und dann Pferden oder anderen grossen Säugetieren gespritzt. Deren Blut wird entnommen, daraus die neu gebildeten Antikörper gewonnen, gereinigt und als Antiserum aufbereitet.

Eines der bekanntesten ist das Schlangenserum „FAV-Afrique“ des französischen Pharmariesen Sanofi-Pasteur. Es hat unzähligen Menschen in Afrika südlich der Sahara vor den schweren Folgen eines Schlangenbisses bewahrt. Schätzungen zufolge werden in Afrika jährlich 5 Millionen Menschen von Schlangen gebissen: davon müssen bei etwa 300.000 ein Arm oder Bein amputiert werden und 100.000 sterben daran. Oft trifft es Feldarbeiter, Frauen oder Kinder, die in entlegenen Gegenden leben. Die oft lebensrettende Dosis Gegengift kostet über 100 Euro und bedeutet für betroffene Familien, die unter der Armutsgrenze leben, oft den finanziellen Ruin. Das ist an sich schon skandalös genug.

Nicht beißen lassen!

Nur dass Sanofi-Pasteur die Produktion von FAV-Afrique schon 2010 eingestellt hat – mit dem Hinweis, dass die Nachfrage zuletzt stark gesunken sei und die Produktionsanlagen besser für die Herstellung von Serum gegen Tollwut verwendet würden. Unter den Anbietern von Ersatzprodukten tummeln sich Hersteller in Indien; die Wirksamkeit ihrer Antiseren ist jedoch zweifelhaft.

Letztes Jahr gingen bei Sanofi-Pasteur die letzten Dosen von FAV-Afrique aus dem Lager. Weder springt ein anderer Hersteller noch eine öffentliche Institution in die Bresche, um die Produktion zu übernehmen. Die WHO ist beunruhigt.

So werden die vorhandenen Vorräte von FAV-Afrique also einfach aufgebraucht – Ende der Geschichte. Und die Moral? Lifestyle-Medikamente für Industrieländer sind ein interessanterer Markt als ein Schlangengegengift, das Leben rettet aber teuer in der Herstelllung ist. Damit ist im Wettbewerb der Pharmagiganten um lukrative Märkte und Renditeprozente kein Blumentopf zu gewinnen. Ach, übrigens: Augen auf bei der nächsten Safari! Es könnte sein, dass sich auch in den beliebten Reiseländern Afrikas bald kein wirksames Gegengift mehr auftreiben lässt. Dann hilft auch kein schneller Rücktransport in die Heimat, den uns die Reiseversicherungen versprechen.

Details auf Cochrane Kompakt

Autor: Erik von Elm

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