Attractive woman at the dental office. Dentist examining patient's teeth in clinic.

Vorsorgeuntersuchungen beim Zahnarzt – wie oft ist oft genug?

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Sollte man wirklich jedes halbe Jahr zur Vorsorgeuntersuchung zum Zahnarzt, auch wenn eigentlich nichts fehlt? Unser Autor Patrick Fee ist Clinical Research Fellow und Specialty Registrar in Restorative Dentistry an der Universität Dundee. Zudem ist er Hauptautor eines kürzlich aktualisierten Cochrane Reviews zur optimalen Häufigkeit zahnärztlicher Vorsorgesuchungen. Hier stellt er uns die wichtigsten Ergebnisse vor.

Wie oft sollten wir eine Patientin oder einen Patienten für Vorsorgeuntersuchungen zu uns bitten? Diese Frage gehört zu den häufigsten im Alltag einer Zahnarztpraxis. Üblich ist es, erwachsene Patienten alle sechs Monate zu einer Routineuntersuchung einzuladen, unabhängig vom individuellen Risiko für Probleme wie Karies oder Zahnfleischerkrankungen. In einer Umfrage in Großbritannien gaben die meisten Erwachsenen (61 Prozent) eine Vorsorgeuntersuchung als Grund für den Gang zum Zahnarzt an. (Hill 2013).

Zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen ermöglichen die frühzeitige Erkennung von Zahnerkrankungen, insbesondere Karies und Zahnfleischerkrankungen. Sie helfen auch zu erkennen, ob sonst alles im Mund in Ordnung ist. Zahnärzt*innen erlaubt dies, Probleme frühzeitig zu behandeln, bevor Karies oder Zahnfleischerkrankungen fortschreiten und eine komplexere Behandlung erforderlich wird. Mit Hilfe der gesammelten Informationen und auf Basis ihrer Erfahrung können sie das wahrscheinliche Risiko für die Entwicklung zukünftiger Zahnerkrankungen vorhersagen und passende Ratschläge geben. Dies können Tipps für eine bessere Mundhygiene und Ernährung, oder auch Ratschläge zur Rauch- oder Alkoholentwöhnung sein.

Das Risiko, an einer Zahnerkrankung zu erkranken, variiert von Mensch zu Mensch. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in Großbritannien empfiehlt daher seit 2004 ein personalisiertes, risikobasiertes Untersuchungsintervall. Die Zeit zwischen den Vorsorgeuntersuchungen sollte demnach vom Risiko einer Person abhängen, eine Zahnerkrankung zu entwickeln. Sie kann zwischen 3 und 24 Monaten variieren. Diese Empfehlung basiert jedoch auf Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit. Und so bleibt die Aufforderung an Patient*innen, alle sechs Monate zu einer Vorsorgeuntersuchung zu kommen, weit verbreitet.

Neue Cochrane-Evidenz

Der aktuelle Cochrane Review ist das Update eines zuletzt 2013 aktualisierten Reviews. 2013 enthielt der Review Evidenz von sehr geringer Vertrauenswürdigkeit aus nur einer Studie. Er machte somit vor allem einen Mangel an Evidenz deutlich, um die gängige Praxis von halbjährlichen Vorsorgeuntersuchungen zu unterstützen oder zu widerlegen (Riley 2013).

Unser aktualisierter Cochrane Review enthält Ergebnisse aus einer zusätzlichen britischen Studie, die Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit für die Fragestellung des Reviews liefert. Wir haben insgesamt 1736 Personen aus zwei Studien eingeschlossen, die regelmäßige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen hatten. Eine Studie wurde in einer öffentlichen Zahnklinik in Norwegen mit Kindern und jungen Erwachsenen im Alter von unter 20 Jahren durchgeführt. Sie verglich 12-monatliche und 24-monatliche Untersuchungsintervalle und wertete die Ergebnisse nach zwei Jahren aus. Die andere Studie wurde an Erwachsenen in 51 Zahnarztpraxen in Großbritannien durchgeführt. Sie verglich halbjährliche, 24-monatliche und personalisierte, risikobasierte Intervalle für Kontrolluntersuchungen und bewertete die Ergebnisse nach vier Jahren.

Die Studien untersuchten, wie sich unterschiedliche Zeiträume zwischen den Vorsorgeuntersuchungen auf eine Reihe von Kriterien (Endpunkten) auswirkten:

  • die Anzahl der Personen mit Karies
  • die Anzahl der von Karies betroffenen Zahnoberflächen
  • Zahnfleischerkrankungen (Prozentsatz der blutenden Stellen im Zahnfleisch);
  • und die Lebensqualität (Wohlbefinden) in Bezug auf gesunde Zähne und gesundes Zahnfleisch.

Der Review enthält Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit (siehe unten) dafür, dass es bei Erwachsenen wenig bis keinen Unterschied zwischen halbjährlichen und individuellen risikobasierten Vorsorgeuntersuchungen gibt. Dies gilt in Bezug auf:

  • die Anzahl der von Karies betroffenen Zahnoberflächen
  • Zahnfleischerkrankungen
  • das Wohlbefinden nach vier Jahren

Es gab wahrscheinlich auch wenig bis keinen Unterschied in der Anzahl der Personen, die eine mittelschwere bis schwere Karies entwickelten (Evidenz von moderater Vertrauenswürdigkeit).

Für Erwachsene zeigt Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit, dass es keinen Unterschied macht, ob man einem halbjährlichen oder einem risikobasierten Vorsorgeintervall folgt. Darüber hinaus gibt es Evidenz von moderater bis hoher Vertrauenswürdigkeit dafür, dass auch kein Unterschied zwischen einem 24-monatigen, einem sechsmonatigen oder einem risikobasierten Untersuchungsintervall gibt, bezogen auf einen Beobachtungszeitraum von vier Jahren.

Angesichts der insgesamt hohen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz kamen wir zu dem Schluss, dass weitere Studien zum Vergleich des optimalen Intervalls von Vorsorgeuntersuchungen bei Erwachsenen in der normalen Versorgung angesichts der bestehenden Evidenz unnötig erscheinen.

Für Kinder und Jugendliche fanden wir nicht genügend verlässliche Evidenz zu den Auswirkungen von 12-monatlichen Untersuchungen im Vergleich 24-monatlichen Untersuchungen. Deshalb empfehlen wir, weitere Studien in diesem Bereich durchzuführen.

Was bedeuten diese Erkenntnisse für Erwachsene?

Dieser Cochrane Review zeigt, dass die herkömmliche Praxis einer halbjährlichen Routineuntersuchung ohne Berücksichtigung des individuellen Risikos die Zahngesundheit bei Erwachsenen wahrscheinlich nicht verbessert, wenn man sie mit einer personalisierten, risikobasierten Untersuchung oder einer Vorsorgeuntersuchung alle zwei Jahre vergleicht.

Diese Ergebnisse unterstützen ein risikobasiertes Untersuchungsintervall, da es der Zahngesundheit nicht abträglich zu sein scheint. Zudem wird es von den Patientinnen akzeptiert . Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass sich diese Ergebnisse auf Routineuntersuchungen bei Erwachsenen beziehen. Sie gelten nicht für Patientinnen, die eine Notfallbehandlung benötigen und auch nicht für Kinder.

Gibt es weitere Risiken bei selteneren Vorsorgeuntersuchungen?

Eines der hartnäckigen Argumente für die Beibehaltung der halbjährlichen zahnärztlichen Untersuchungen ist, dass Zahnärztinnen bei Patientinnen, die seltener zum Check-Up kommen, die Gelegenheit verpassen könnten, frühe Stadien von Mundkrebs festzustellen.

In den Studien dieses Reviews wurde dies nicht thematisiert. Die Inzidenz von Mundkrebs bei Männern ist innerhalb von Großbritannien in Schottland am höchsten, mit 10 Fällen pro 100.000 Männern (Conway 2018). Eine Studie aus Schottland berichtet, dass mehr als die Hälfte (53,7 %) der Patientinnen, bei denen Mundkrebs diagnostiziert wurde, in den zwei Jahren vor der Diagnose überhaupt keine zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung wahrgenommen hatten (Purkayastha 2018). Die Autoren dieser Studie schätzen, dass Zahnärztinnen in Schottland je nach geografischer Lage alle 10 bis 20 Jahre mit einem Fall von Mundkrebs konfrontiert werden.

Darüber hinaus haben Erwachsene mit einem höheren Mundkrebsrisiko auch ein höheres Risiko für Karies und Zahnfleischerkrankungen. Dazu zählen Menschen mit höherem Alkoholkonsum und Raucher. Personalisierte, risikobasierte Untersuchungen würden es ermöglichen, Menschen mit einem höheren Risiko häufiger zu untersuchen, während andere Patientinnen weniger häufig zur Kontrolle kommen müssten. Die Überprüfung der Mundgesundheit über Zahnprobleme hinaus bei jeder Vorsorgeuntersuchung ist nach wie vor empfehlenswert. Ebenso sollten Patientinnen mit hohem Risiko für Zahnerkrankungen und Mundkrebs häufiger zur Untersuchung als solche mit geringem Risiko.

Die COVID-19-Pandemie und die zahnärztliche Versorgung

Dieser Review ist auch relevant, wenn man die globalen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betrachtet, welche den Zugang zur zahnärztlichen Behandlung erheblich einschränken. Es ist gut zu wissen, dass Kontrolluntersuchungen über die üblichen sechs Monate hinaus verlängert werden können, ohne dass dies der Zahngesundheit schadet.

Wie hoch ist mein persönliches Risiko einer Zahnerkrankung?

Bei der Abwägung des individuellen Risikos für Zahnerkrankung bewerten Zahnärzt*innen Faktoren wie:

  • die persönlichen Mundhygienegewohnheiten (z. B. Zähneputzen, Verwendung von Zahnseide)
  • Ernährungsgewohnheiten – einschließlich der Menge und der Häufigkeit des Zuckerkonsums
  • Fluoridnutzung
  • Tabakkonsum
  • Alkoholkonsum
  • Anzeichen einer aktiven Erkrankung
  • Zahnbelag
  • Menge und Qualität des Speichels (der hilft, die Zähne vor Krankheiten zu schützen)
  • Krankheitsvorgeschichte (diese lässt sich anhand der Anzahl der Zähne mit Füllungen oder der Zähne, die zuvor gezogen wurden, beurteilen)
  • medizinische Vorgeschichte, einschließlich der Faktoren, die sich auf die Zahngesundheit auswirken können

Wenn Zahnärztinnen all diese Informationen mit ihrem klinischen Wissen zusammenführen, können sie Vorhersagen zum zukünftigen Krankheitsverlauf einer Person machen und ein maßgeschneidertes Untersuchungsintervall für Vorsorgeuntersuchungen empfehlen. Dies ist natürlich eine gemeinsame Entscheidung von Zahnärztin und Patientin. Faktoren wie die Finanzierung oder die Wünsche der Patient*innen spielen hier ebenfalls eine große Rolle.

Im Zweifelsfall kann man sich zunächst auch für ein kürzeres Untersuchungsintervall entscheiden, das man dann bei einer günstigen Einschätzung verlängert. Umgekehrt sollten lange Abstände bei Bedarf natürlich verkürzt werden, etwa wenn in einer Untersuchung neue Risikofaktoren auftauchen.


Text: Patrick Fee ist Clinical Research Fellow und Specialty Registrar in Restorative Dentistry an der Dundee Dental School und Erstautor des hier vorgestellten Cochrane Reviews. Sein Beitrag erschien ursprünglich auf dem englischen Cochrane-Blog Evidently Cochrane.

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GRADE – Was ist das?

GRADE ist ein seit 20 Jahren stetig weiterentwickeltes, international anerkanntes System, mit dessen Hilfe sich die Vertrauenswürdigkeit (früher oft auch „Qualität“) der Evidenz in systematischen Übersichtsarbeiten und Leitlinien einschätzen lässt. Auch Cochrane nutzt in seinen Reviews seit vielen Jahren konsequent GRADE, um zu kommunizieren, wie zuverlässig bestimmte Ergebnisse eines Reviews sind. Das Verfahren ist komplex (mehr dazu hier), doch es kommt zu leicht fassbaren Ergebnissen. Die Vertrauenswürdigkeit von Evidenz wird in GRADE auf einer von vier Stufen angegeben:

Sehr niedrig: Der aus den Studienergebnissen abgeleitete Effekt (z.B. einer bestimmten Behandlung) unterscheidet sich wahrscheinlich deutlich vom gesuchten, wahren Effekt. Weitere Studien werden diesen vermeintlichen Effekt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in die eine oder andere Richtung verändern.
Niedrig: Die Autoren sind etwas zuversichtlicher, dass ihr Ergebnis dem wahren Effekt nahe kommt. Weitere Studien können das Ergebnis aber noch merklich verändern.
Moderat: Die Autoren glauben, dass das Ergebnis dem wahren Effekt nahe kommen.
Hoch: Die Autoren sind sich sicher, dass das Ergebnis dicht am wahren Effekt liegt.

Was bedeutet dies in der Praxis?
Sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit der Evidenz bedeutet, dass wir uns nicht darauf verlassen können und dass die Evidenz keine brauchbare Grundlage für Entscheidungen (etwa für oder gegen eine bestimmte Behandlung) abgibt.
Niedrige Vertrauenswürdigkeit wird in Cochrane Reviews meist mit Beschreibungen wie „Maßnahme X könnte den Effekt Y haben“. Solche Evidenz kann man mit entsprechender Vorsicht für Entscheidungen nutzen.
Moderate Vertrauenswürdigkeit: „Maßnahme X hat wahrscheinlich den Effekt Y“.
Hohe Vertrauenswürdigkeit: „Maßnahme X hat den Effekt Y“. Die Bewertung moderat oder hoch bedeutet, dass die vorliegende Evidenz unter Beachtung aller Einschränkungen eine brauchbare Basis für Entscheidungen abgibt.

Die Abkürzung GRADE steht übrigens für Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation.

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