Psychedelika-unterstützte Therapie für lebensbedrohlich Erkrankte gegen ihre existenzielle Angst

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Psychedelika in der Medizin haben eine bewegte Geschichte hinter sich – von der Euphorie in den 1960er und frühen 1970er Jahren über die Verdammung in den folgenden Jahrzehnten bis hin zur aktuellen Erforschung ihres potenziellen therapeutischen Nutzens in methodisch hochwertigen RCTs. Ein aktueller Cochrane Review untersucht nun, ob Psychedelika-gestützte Therapien dabei helfen können, bei Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung Niedergeschlagenheit und Verzweiflung zu lindern.

LSD, MDMA, Psilocybin – das sind die bekanntesten psychedelischen Drogen. Der Begriff psychedelisch leitet sich aus dem Griechischen ab, von psyche: die Seele, und delos: klar, offenkundig. Dem Begriff nach sollten sie also wie eine Art „Seelenklarspüler“ wirken.

Psilocybin, der in „Magic Mushrooms“ enthaltene Wirkstoff, und LSD (Lysergsäurediethylamid) sind klassische Psychedelika, die den berühmt-berüchtigten „Trip“ provozieren. Dagegen wirkt MDMA (chemisch: 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) anders. Auch als „Ecstasy“ bekannt wird MDMA der Gruppe der „Entaktogene“ zugeschrieben. Die Effekte von MDMA auf das Nervensystem führen zu einer intensiveren Wahrnehmung der eigenen Emotionen und Sinneseindrücke sowie einer gesteigerten emotionalen Verbundenheit mit der Umwelt.

Medizinische Nutzung von Psychedelika noch nicht weit verbreitet

In den Ländern der EU werden alle drei Wirkstoffe derzeit nicht medizinisch eingesetzt. In Australien können autorisierte Ärztinnen und Ärzte seit 2023 Psilocybin bei behandlungsresistenten Depressionen und MDMA bei posttraumatischen Belastungsstörungen verordnen. In den USA hat die die Gesundheitsbehörde FDA dagegen vor Kurzem den Antrag auf Zulassung von MDMA zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen abgelehnt [1]. In der Schweiz können Mediziner*innen bereits seit 2014 beim Bundesamt für Gesundheit eine Ausnahmebewilligung für den Einsatz von Psychedelika beantragen, allerdings nur wenn eine stark beeinträchtigende Krankheit anders nicht ausreichend behandelt werden kann [2]. Dass die Schweiz ein „Psychedelika-Pionierland“ ist, hängt auch mit der historischen Entdeckung des Schweizer Chemikers Albert Hofmann zusammen. Im Jahr 1943 entdeckte er zufällig die halluzinogene Wirkung von LSD, als er mit einer kleinen Menge des Stoffs in Kontakt kam und einige Tage später ein Selbstexperiment durchführte – den ersten bewusst erlebten LSD-Trip. Fünfzehn Jahre später isolierte Hofmann dann erstmals Psilocybin aus „Zauberpilzen“. Damit war der Grundstein für Studien zu psychedelischen Substanzen gelegt [3].

Renaissance der Psychedelika-Forschung

Seitdem haben sich Forschende weltweit mit der Wirksamkeit psychedelischer Drogen bei verschiedenen psychischen Erkrankungen beschäftigt. Während der ersten Welle dieser Forschung in den 1960er und frühen 1970er Jahren experimentierte man auch mit gesunden Probanden, um anhaltende Bewusstseinserweiterung durch Ich-Entfremdung und spirituelle Erfahrungen zu untersuchen. Allerdings hatten die Studien auch erhebliche methodische Mängel wie eine fehlende Kontrollgruppe und einen Selektionsbias, d.h. es nahmen vor allem Menschen teil, die eine positive Erwartungshaltung hatten und besonders neugierig auf spirituelle Erfahrungen waren.

Nach dieser anfänglichen LSD-Psilocybin-Euphorie ebbten die Forschungsaktivitäten ab, auch weil der zunehmend unkontrollierte Konsum als „Hippie-Drogen“ unter politischem Druck zum Verbot der Substanzen in den 1970er-Jahren führte [3]. Dadurch kam die psychiatrische Forschung mit Psychedelika weitgehend zum Erliegen. Erst im neuen Jahrtausend begann eine „psychedelische Renaissance“, diesmal auch mit methodisch robusteren Studiendesigns (randomisiert kontrollierten Studien, RCTs).

Ein Cochrane Review zur Wirksamkeit in der Palliativmedizin

Seit 2011 nahmen an solchen RCTs auch lebensbedrohliche erkrankte Menschen teil. Schwer Erkrankte leiden nach ihrer Diagnose häufig unter anhaltenden Ängsten, Depressionen und existenzieller Not. Gleichzeitig sind die vorhandenen Antidepressiva am Lebensende nur begrenzt wirksam. Es besteht ein offensichtlicher Bedarf an neuen, effizienteren und schnell wirksamen Interventionen für Patient*innen, die nicht mehr so viel Lebenszeit haben. Der Therapieansatz beruht darauf, dass eine psychedelische Erfahrung eine Aufhebung der gewöhnlichen Ego-Grenzen beinhalten kann und oft ein Gefühl der Einheit mit dem Universum eintritt. Solche „mystischen“ Erfahrungen können ein guter Ansatzpunkt für die therapeutische Arbeit mir schwer Erkrankten sein, weil die eigene Situation und die eigenen Ängste aus einer anderen Perspektive wahrgenommen werden können.

Der aktuelle Cochrane Review von der Arbeitsgruppe um den Palliativmediziner Christopher Böhlke (Universitätsspital und Palliativzentrum Basel) hat alle Studien, die für diese Patientengruppe vorliegen, zusammengefasst und bewertet [4].

Wichtige Eckdaten der Studien des Reviews

Die Autor*innen fanden sechs Cross-over-Studien: drei mit Psilocybin, zwei mit LSD und eine mit MDMA. Insgesamt wurden lediglich 149 Erwachsene (36 bis 64 Jahre) rekrutiert; vorgesehen war bei den meisten Studien eine Nachbeobachtungszeit von 6 bis 12 Monaten. Die lebensbedrohlich erkrankten Teilnehmenden litten unter Angstzuständen, Depressionen oder existenzieller Not. Die psychotherapeutische Unterstützung der Psychedelika-Therapie geschah in den Studien beispielsweise durch zwei vorbereitende Therapiesitzungen, eine Begleitung während der Substanzwirkung und mehrere anschließende „integrierende“ Sitzungen. Insgesamt waren die therapeutischen Gespräche also zeitintensiv. Christopher Böhlke sieht den Einsatz daher auch eher bei Menschen, die noch Monate zu leben haben, als am Sterbebett [5].

Die größte Studie (Psilocybin) umfasste 56 Personen und die kleinste Studie (MDMA) nur 12 Personen. Die Studien fanden alle entweder in der Schweiz oder den USA statt. Die meisten Studien erhoben die Ergebnisse nach einer Studiendauer von einer bis 12 Wochen. Pharmaunternehmen waren nicht an der Studienfinanzierung beteiligt. Stattdessen wurde die Finanzierung von Organisationen getragen, deren Ziel es ist, die Entwicklung von psychedelisch-assistierten Therapien voranzutreiben [4].

Neue Hoffnung nach „therapeutischem Trip“

Eine mit klassischen Psychedelika (Psilocybin, LSD) unterstützte Therapie verringert möglicherweise im Vergleich zu aktivem Placebo (Niedrigdosis) die bestehenden Ängste um 8,4 Punkte, gemessen mit dem STAI-T (State-Trait Anxiety Inventory – Trait) (95%-KI: – 12.9 bis -3.9; Skala von 20 bis 80, 5 Studien mit 122 Teilnehmenden). Auch depressive und demoralisierende Gefühle nehmen möglicherweise ab. „Möglicherweise“ deshalb, weil das Vertrauen in die Effektschätzung begrenzt ist. Der Cochrane Review fand mittlere Effektstärken, wie man sie üblicherweise bei anderen zugelassenen Medikamenten findet. Für MDMA sind die Daten dagegen sehr unsicher, da nur eine Studie mit 18 Teilnehmenden vorliegt. Das sehr breite Konfidenzintervall umfasst sowohl die Möglichkeit eines signifikanten Effekts als auch die eines fehlenden Effekts.

Es wurden keine behandlungsbedingten schwerwiegenden Nebenwirkungen gemeldet. Zu den häufigen leichten bis mittelschweren Nebenwirkungen klassischer Psychedelika zählten erhöhter Blutdruck, Übelkeit, Angstzustände, emotionale Belastung sowie psychoseähnliche Symptome wie Pseudohalluzinationen, bei denen die Teilnehmenden erkennen, dass sie halluzinieren.

Vielversprechend ist, dass aktuell sieben Studien laufen, die die Evidenzbasis für die Psychedelika-unterstützte Therapie für diese Patient*innengruppe bald erweitern werden [4].

Die Grundsatzprobleme der Psychedelika-Forschung

Die Verblindung war in den Studien größtenteils wirkungslos, denn für die Probanden ist es recht eindeutig, ob sie das Psychedelikum bekommen haben oder nicht. Es gibt zwar beispielsweise die Möglichkeit, verschiedene Dosen der Substanz zu untersuchen (Mini- und Mikrodosing als Kontrollgruppe) oder ein aktives Placebo (z.B. Niacin) zu nutzen. Selbst mit einem aktiven Placebo ist es allerdings schwierig, die Psychedelika-Wirkung zu simulieren. Ein weiteres Problem ist der Selektionsbias bei der Auswahl der Studienteilnehmenden: Es machen eher Leute mit, die in ihrem Leben bereits gute Erfahrungen mit Psychedelika gemacht haben oder die besonders offen für „mystische“ Erfahrungen sind. Man müsste in neuen Studien daher mehr Studienteilnehmende rekrutieren, die noch keinerlei Psychedelika-Erfahrung haben. Diese würden auch ein Placebo nicht so leicht erkennen [5].

Keine schnelle Lösung

Die Gabe von Psychedelika ist eher nicht der schnelle medikamentöse Segen – so wurden die Wirkstoffe in den Studien auch nicht untersucht. Der Einsatz erfolgte eingebettet in eine recht zeitintensive therapeutische Begleitung. Derzeit ist unklar, wie die psychologische Vor- und Nachbereitung genau ausgestaltet sein sollte. Während der „therapeutischen Reise“ spielen zudem „Set und Setting“ eine wichtige Rolle. Es stellen sich Fragen wie: In welchem emotionalem Zustand befindet sich der/ die Behandelte? Welche Erwartungen hat er/sie? In welcher Umgebung erfolgt die Einnahme? Mit oder ohne beruhigende Musik? Was muss die Begleitperson während der „therapeutischen Reise“ vermitteln: Ruhe, Empathie, Vertrauen? Das macht Studien methodisch anspruchsvoll. Set und Setting könnten sogar entscheidend dafür sein, ob die ‚substanzunterstützte Reise‘ heilend und einsichtsreich oder traumatisch und beängstigend verläuft.

Hoffnung in Sicht, aber Geduld gefragt

Christopher Böhlke hält es für wahrscheinlich, dass sterbenskranke Menschen in Zukunft Psilocybin, LSD oder MDMA zur Therapie von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin angeboten bekommen könnten. Allerdings schätzt er, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis dies der Fall ist – eher zehn Jahre als fünf.


Text: Dr. Birgit Schindler


Quellen

[1] Medscape. 14. August 2024. Hoffnung geplatzt: FDA lehnt Zulassungsantrag für Ecstasy-Medikament bei PTBS ab – das kritisieren deutsche Experten. Verfügbar unter: https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4914062?form=fpf#vp_3. Letzter Zugriff: 27.09.2024.

[2] Bundesamt für Gesundheit BAG. Ausnahmebewilligungen und Bewilligungen für verbotene Betäubungsmittel. Verfügbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-bewilligungen/gesuche-bewilligungen/ausnahmebewilligungen-bewilligungen-betmg.html. Letzter Zugriff: 27.09.2024.

[3] Pollan, M. How to Change Your Mind: What the New Science of Psychedelics Teaches Us About Consciousness, Dying, Addiction, Depression, and Transcendence. Penguin Press, 2018.

[4] Schipper S, Nigam K, Schmid Y, Piechotta V, Ljuslin M, Beaussant Y, Schwarzer G, Boehlke C. Psychedelic‐assisted therapy for treating anxiety, depression, and existential distress in people with life‐threatening diseases. Cochrane Database of Systematic Reviews 2024, Issue 9. Art. No.: CD015383.

[5] C. Böhlke, S. Schipper. Podcast zu “Psychedelic-assisted therapy for treating anxiety, depression and existential distress in people with life-threatening diseases”. Verfügbar unter: https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD015383.pub2/related-content/podcast/90152/

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