Künstliche Flüssigkeitszufuhr in der Palliativmedizin

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Für die künstliche Flüssigkeitszufuhr in der palliativen Versorgung gibt es bislang keine klaren Richtlinien. Ein Cochrane-Review sollte dies ändern und belegen, ob Infusionen am Lebensende mehr nutzen als schaden. Allerdings lässt sie aktuelle Studienlage nach wie vor keine allgemeinen Schlüsse zu. Solange diese Navigationshilfe fehlt, bekommen die Erfahrungen des Gesundheitspersonals und die Wünsche der Patient:innen umso mehr Gewicht, um sorgfältige Entscheidungen zu treffen.

Viele Menschen mit einer weit fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung trinken kaum noch selbständig, lassen auch kein Durstgefühl erkennen. Diese Veränderung – die Abwendung vom Alltäglichen – ist für Angehörige oft unerträglich. Sie befürchten, dass ihre Lieben durch den Flüssigkeitsmangel leiden oder sogar sterben müssen. Häufig wird dann eine Infusion gefordert, um ein „Austrocknen“ zu verhindern.

Emma Buchan kennt diese Situation sehr gut aus ihrem beruflichen Alltag. Sie versteht die Sorgen der Angehörigen. „Trinken ist wie Essen kulturell und sozial sehr bedeutsam. Es gehört einfach dazu, ein Leben lang“, so Buchan, die als Palliativmedizinerin im St. Vincent’s Private Hospital im australischen Brisbane arbeitet.

Auch wenn sie die Erwartungen der Angehörigen gut nachvollziehen kann, bekommen keineswegs alle von Buchans Patient:innen in diesem Krankheitsstadium eine künstliche Flüssigkeitszufuhr per Tropf in eine Vene, per Sonde in den Magen oder per Injektion unter die Haut. Denn aus fachlicher Sicht sind diese Flüssigkeitsgaben für schwer kranke Patient:innen in der letzten Lebensphase nicht unbedingt so segensreich wie es intuitiv vielleicht erscheinen mag.

Bekannte Risiken

„Es kann zu Komplikationen kommen statt der gewünschten Symptomverbesserung“, gibt Buchan zu bedenken. Jeden Nadelstich, um eine Infusion „anzuhängen“, überlegt sie ganz genau. Möglicher Nutzen und Schaden, Prognose und Präferenzen der Patient:innen spielen dabei eine Rolle. Ihre Abwägungen folgen einer ganz gezielten Motivation: „Ich möchte, dass meine Patient:innen sich besser fühlen“.

Buchan weiß, dass das achtsame Einsetzen oder das bewusste Weglassen von Interventionen in der Palliativmedizin einer komplexen Bewertung bedarf. Klare Richtlinien, die auf einer eindeutigen Datenlage basieren, wären gerade für Gesundheitspersonal ohne Spezialisierung auf Palliativversorgung wertvoll. Für die künstliche Flüssigkeitszufuhr fehlen solche Navigationshilfen bislang.

Emma Buchan wollte dies ändern und bisherigen Unsicherheiten mit Fakten aus den besten verfügbaren Studien begegnen – und zwar im Rahmen eines aktualisierten Cochrane-Reviews [1]. Dieser ist Ende 2023 erschienen und ein Teil von Buchans wissenschaftlicher Ausbildung zur Fachärztin.

Ein besseres und längeres Leben?

In der systematischen Übersichtsarbeit galt es herauszufinden, ob Erwachsene, die eine palliative Versorgung erhalten und sich in der letzten Lebensphase befinden, von einer künstlichen Flüssigkeitszufuhr profitieren: Haben diese Patient:innen eine höhere Lebensqualität? Ist ihre Lebenszeit länger? Erleiden sie häufiger Komplikationen wie Infektionen und Wasseransammlungen in der Lunge?

Dafür durchkämmten Buchan und ihr Team (Alison Haywood, William Syrmis, Phillip Good) drei Datenbanken nach randomisiert-kontrollierten Studien, filterten diese nach vorab festgelegte Kriterien und hatten vor, die Ergebnisse rechnerisch zu gepoolten Effekten zusammenzufassen. Erhofftes Ziel dieser Meta-Analyse: endlich besser abgesicherte und verallgemeinerbare Aussagen, damit es in der Praxis mehr Klarheit gibt.

Die Ergebnisse des Cochrane-Reviews sind allerdings viel weniger eindeutig als Emma Buchan dies erhofft hat. Es lassen sich aus den vier eingeschlossenen Studien mit 422 an Krebs erkrankten Teilnehmerinnen keine Empfehlungen für oder gegen die künstliche Flüssigkeitszufuhr ableiten. Dies sei etwa den kleinen Studien und der schwierigen Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus den Einzelstudien geschuldet. Die schlechte Studienlage ist leider ein häufiges Phänomen in der Palliativmedizin.

Abwägen und entscheiden – ganz individuell

„Unsere Arbeit unterstreicht die Bedeutung des individuellen Ansatzes – und dass wir nicht automatisch davon ausgehen können, dass Flüssigkeitszufuhr am Lebensende immer hilfreich ist. Natürlich können wir es auch nicht ausschließen“, schließt Cochrane-Autorin Buchan.

Sie wollen mehr zur Palliativversorgung wissen? Hier findest Du einen Blogbeitrag von Wissen Was Wirkt zur frühen Palliativversorgung bei fortgeschrittenem Krebs.

Quelle

Buchan EJ, Haywood A, Syrmis W, Good P. Medically assisted hydration for adults receiving palliative care. Cochrane Database of Systematic Reviews 2023, Issue 12. Art. No.: CD006273. DOI: 10.1002/14651858.CD006273.pub4. Accessed 15 July 2024.



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