1.9 Früher ist nicht unbedingt besser

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Dies ist der Neunte einer Reihe von über 30 Blog-Artikeln, der sich auf die Schlüsselkonzepte zur besseren Bewertung von Aussagen zu Behandlungen bezieht, die vom IHC-Projekt (Informed Health Choices) entwickelt wurden. Jeder Blog-Artikel erklärt eines dieser Schlüsselkonzepte, um Aussagen zu Wirkungen von Behandlungen besser verstehen und einordnen zu können.

Rein intuitiv könnte man denken, dass, je früher man ein gesundheitliches Problem erkennt, desto besser ist es. Zu diesem Zweck wurden Screening-Programme eingeführt – um gesundheitliche Probleme zu entdecken, die sich bislang nicht in Symptomen manifestiert haben. Manchmal ist ein Screening nützlich, zum Beispiel zur Erkennung und zur Behandlung eines symptomlosen erhöhten Blutdrucks, um einer Herz-Kreislauf-Erkrankung vorzubeugen. Manchmal schadet jedoch ein Screening mehr als dass es dient.

Betrachten wir einmal einige Beispiele:

Wann Screening nützlich ist

Phenylketonurie (Abkürzung: PKU, auch Følling-Krankheit genannt) ist eine seltene Erbkrankheit (1). Kinder mit PKU können Phenylalanin, einen in Nahrungsmitteln wie Milch, Fleisch und Eiern enthaltenen Stoff, nicht abbauen. Ohne eine frühzeitige Behandlung können Kinder mit PKU einen schweren Hirnschaden, rezidivierendes Erbrechen und Tremor entwickeln. Glücklicherweise werden Säuglinge im Vereinigten Königreich im Rahmen eines Blut-Screenings im Alter von 5 Tagen auf diese Krankheit getestet  [füher in Deutschland](2). Aus der Ferse des Säuglings werden einige Tropfen Blut entnommen. Das Blut wird auf neun seltene, schwerwiegende, jedoch behandelbare Erkrankungen, darunter auch PKU, getestet. Bei einer frühzeitigen Diagnose und bei richtiger Behandlung sind die meisten Kinder in der Lage, ein gesundes Leben zu führen.

Wann Screening schädlich ist

Prostatakrebs ist der häufigste Krebs bei Männern im Vereinigten Königreich [sowie in Deutschland] (3). Es kann eine sehr ernsthafte Erkrankung sein und Metastasen können sich schnell in anderen Körperteilen bilden; wesentlich häufiger entwickelt sich Prostatakrebs jedoch langsam und stellt im Leben eines Mannes eventuell keine Gesundheitsbedrohung dar (4). Eine Behandlung von Prostatakrebs ist eher unangenehm und kann Inkontinenz und Impotenz zur Folge haben. Wie bei der PKU werden auch für das Screening auf Prostatakrebs Bluttests eingesetzt. Im Gegensatz zum Screening auf PKU sind die Bluttests zum Screening auf Prostatakrebs jedoch unzuverlässig.

Bei der Blutentnahme beim Mann wird die Konzentration des Prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut gemessen. Ein hoher PSA-Wert kann ein Zeichen für eine Krebserkrankung sein. Allerdings ist das Testergebnis bei einer von fünf Personen, die tatsächlich an Prostatakrebs erkrankt sind, beim Screening nicht positiv. Bei ihnen würde der Krebs bei einem solchen Screening also nicht erfasst (4).

Darüber hinaus können auch rezeptfreie Arzneimittel, Infektionen, nicht maligne Prostatatumoren eine hohe PSA-Konzentration bei Menschen verursachen. Diese würden daher positiv auf Prostatakrebs getestet, obwohl sie in Wirklichkeit vollkommen gesund sind. Diese Personen würden also fälschlicherweise glauben, sie hätten Krebs. Dies würde eine große seelische Belastung für die Personen darstellen.

Eine Untersuchung des Prostatakrebs-Screenings ergab, dass der aktuelle Test auf eine spezifische Substanz im Blut nicht in der Lage ist, eine Prostatakrebserkrankung mit einer entsprechenden Sicherheit zu bestätigen oder auszuschließen (5). Diese Unsicherheit stellt eindeutig ein Problem dar. Ein Screening sollte den Personen einen Hinweis auf ihren Gesundheitszustand geben und ihnen die Möglichkeit bieten, entsprechend zu reagieren, und sie nicht mit unglaubwürdigen Ergebnissen eines unpräzisen Screening-Tests belasten.

Wann sollte ein Screening durchgeführt werden?

  • Wenn eine wirksame Behandlung für die Krankheit verfügbar ist, auf die im Screening getestet wird.
  • Wenn eine Früherkennung einen Nutzen hat (d.h. die Personen, die vor dem Auftreten von Symptomen der Krankheit behandelt werden, müssen gegenüber Personen, die nach dem Auftreten von Symptomen behandelt werden, einen Vorteil haben).
    UND
  • Wenn die Screening-Methode entsprechend so präzise ist, dass eine Überdiagnose oder eine Unterdiagnose selten ist.

Wenn eine frühzeitige Erkennung die Gesundheit nicht verbessern kann, macht Screening keinen Sinn. Ein Screening mit unsicheren Ergebnissen ist häufig schlechter als gar kein Screening, da es den Patienten sehr verängstigen kann, und dazu führen kann, dass Personen eine Behandlung mit Nebenwirkungen erhalten, die gar keine Behandlung benötigt hätten. Und bei anderen kann es dazu führen, dass sie denken, sie sind gesund, wenn sie es in Wirklichkeit nicht sind. Eine Früherkennung, die sachgemäß durchgeführt wird, kann sehr nützlich sein, aber eine Früherkennung ist nicht notwendigerweise besser.

Man sollte nicht einfach davon ausgehen, dass eine frühzeitige Erkennung eines gesundheitlichen Problems sinnvoll ist, außer diese wurde tatsächlich nachgewiesen. Wir müssen die Evidenz betrachten. Um festzustellen, inwiefern eine Früherkennung zu besseren Ergebnissen führt, müssen faire Vergleiche von Personen, die ein Screening durchlaufen haben, mit Personen durchgeführt werden, die kein Screening durchlaufen haben.

Text: Ed Walsh

Übersetzt von: Brita Fiess

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Sie finden die weiteren Blog-Artikel dieser Reihe unter den Tags: #Schlüsselkonzepte #Key Concepts

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