Gesundheitscheck (Symbolbild)

Gesundheitschecks: nicht wirksam, aber wichtig?

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Ein Cochrane Review von Cochrane Österreich zeigt, warum allgemeine Gesundheitschecks für viele Menschen wichtig sind, obwohl sie laut Forschung nicht die erhofften Effekte erzielen. Und er ist ein gutes Beispiel, warum eine qualitative Evidenzsynthese zu Gesundheitschecks sinnvoll ist. Warum? Das klärt unsere Blog-Autorin Julia Harlfinger, die an diesem Review selbst mitgearbeitet hat. Aber eins nach dem anderen.

Rundum-Gesundheitschecks sind in vielen Ländern ein fester Bestandteil der Präventionsangebote. In Deutschland beispielsweise kennt man sie als „Check up 35“, in Österreich als „Gesundenuntersuchung“. Sie gehen oft mit Beratungen zur Prävention einher und sollen dazu beitragen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und Gesundheitsrisiken zu senken – ganz im Sinne des bekannten Leitsatzes: „Vorbeugen ist besser als heilen!“

Doch was auf den ersten Blick plausibel klingen mag, hält einer genaueren Prüfung nicht unbedingt stand: Ein viel beachteter, wenngleich kritisch diskutierter Cochrane Review aus dem Jahr 2019 kam zu einem ernüchternden Befund: Allgemeine Gesundheitschecks führen demnach im Durchschnitt weder zu einer höheren Lebenserwartung noch zu einem besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung, auch wenn einzelne Personen durchaus profitieren können. Zudem verursachen solche Screenings Kosten und können unerwünschte Folgen haben, etwa belastende Fehlalarme und unnötige Behandlungen. (Dazu haben wir hier schon mal ausführlicher berichtet.)

Dennoch erfreuen sich Gesundheitschecks bei etlichen Menschen großer Beliebtheit. Warum ist das so? Welche Werte, Erfahrungen oder Bedürfnisse liegen dieser Haltung zugrunde? Und was führt bei anderen Menschen dazu, dass sie Gesundheitschecks skeptisch oder gar ablehnend gegenüberstehen? Diesen Fragen ist ein achtköpfiges Team um Isolde Sommer von Cochrane Österreich an der Universität für Weiterbildung Krems nachgegangen. Ihre qualitative Evidenzsynthese bündelt den aktuellen Forschungsstand und richtet den Fokus auf die Wahrnehmungen und Erfahrungen derjenigen, die allgemeine Gesundheitschecks durchführen oder selbst in Anspruch nehmen. Auch die Perspektiven von politischen Entscheidungsträger*innen und Programmverantwortlichen sind in die Übersichtsarbeit eingeflossen.

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Qualitative Evidenzsynthese: Welche Arten von Studien wurden berücksichtigt?

Für die qualitative Evidenzsynthese sichtete das Team um Isolde Sommer 146 qualitative Studien und wählte 36 davon gezielt aus, um unterschiedliche geographische Regionen, Personengruppen und Gesundheitssysteme abzudecken. Zunächst wurden zentrale Aussagen aus Interviews, Fokusgruppen und Beobachtungen extrahiert, anschließend zu wiederkehrenden Mustern geordnet und schließlich zu übergeordneten Konzepten verdichtet.
Mit dem international anerkannten methodischen Ansatz GRADE-CERQual wurde für jedes Ergebnis geprüft, wie viel Vertrauen in die Evidenz vorhanden ist – anhand der Kriterien „methodische Einschränkungen“, „Kohärenz“, „Angemessenheit der Daten“ und „Relevanz“.

Was hinter der anhaltenden Beliebtheit von Gesundheitschecks steckt

„Mit einer qualitativen Evidenzsynthese können wir verstehen, warum Gesundheitschecks trotz begrenzter Wirksamkeit Bestand haben. Sie zeigt, welche Rollen zum Beispiel Kommunikation, kulturelle Faktoren, finanzielle Anreize oder politische Einflussnahme spielen – Aspekte, die in quantitativen Analysen unsichtbar bleiben“, sagt Sommer.

Damit liefert Sommers Review keine Gegenposition zu dem bereits erwähnten quantitativen Review aus 2019, sondern schlicht eine andere, ergänzende Perspektive auf das Thema „Gesundheitschecks“. Die Ergebnisse von Isolde Sommer und ihrem Team zeigen nämlich, dass Gesundheitschecks in sehr verschiedenen Zusammenhängen eine Rolle spielen – und für Individuen und Institutionen Bedeutungen haben, die über einen eng definierten medizinischen Nutzen weit hinausgehen.

Zwischen Motivation und Vorbehalt

So befürworten manche Menschen, die Gesundheitschecks in Anspruch nehmen, diese Untersuchungen, weil sie darin eine Motivation zu einem gesünderen Lebensstil sehen oder sich dadurch mehr Gewissheit über den eigenen Gesundheitszustand erhoffen. „Sie suchen beim Gesundheitscheck die Bestätigung durch Fachpersonal, dass sie ‚auf dem richtigen Weg‘ sind“, fasst Sommer zusammen. „Viele Teilnehmende erwarten sich für ihr Sicherheitsgefühl auch möglichst umfassende Untersuchungen – nach dem Motto: je mehr Tests, desto besser.“

Doch auch Gründe für Zurückhaltung oder Ablehnung kamen in der qualitativen Evidenzsynthese zutage. Dazu zählen die Sorge vor belastenden Untersuchungsergebnissen ebenso wie ein geringes Vertrauen in das Gesundheitssystem. Mitunter werden Ärzt*innen auch „nur“ als Anlaufstelle bei Krankheit gesehen, aber nicht als Ansprechpartner für Fragen der Prävention. Praktische Hürden wie Zeitmangel oder hohe Kosten wurden mehrfach genannt. „Ich habe keine Zeit für Untersuchungen, ich muss arbeiten und Geld verdienen“, so ein Studienteilnehmer aus Südkorea.

Nähe schaffen

Auch Ärzt*innen und andere Gesundheitsdienstleister*innen haben unterschiedliche Haltungen zu Gesundheitschecks: Viele sehen darin eine Gelegenheit, mit ihren Patient*innen ausführlicher ins Gespräch zu kommen und ganz individuelle Betreuung zu leisten – etwas, das im eng getakteten Praxisalltag sonst oft zu kurz kommt.

Gleichzeitig zeigt der aktuelle Review, dass Ärztinnen und Gesundheitsdienstleisterinnen Gesundheitschecks durchaus kritisch sehen: Solche Untersuchungen durchzuführen, kann organisatorisch und finanziell belastend sein. Außerdem stehen die präventiven Maßnahmen in Konkurrenz zu kurativen Behandlungen. Manche äußerten Zweifel, ob Check-ups überhaupt jene Personengruppen erreichen, die am meisten profitieren würden.

„Außerdem gibt es Ärzt*innen, die die grundsätzliche Wirksamkeit dieser Programme in Frage stellen oder zumindest die Check-ups stärker auf das individuelle Risikoprofil ihrer Patient*innen zuschneiden möchten“, berichtet Erstautorin Sommer.

Politik der Vorsorge

Für politische und administrative Entscheidungsträger*innen sind Gesundheitschecks oft ein fixer Bestandteil von Präventionsstrategien. Laut der qualitativen Evidenzsynthese von Sommer und ihren Kolleginnen hängt die Umsetzung dieser Checkups von einem günstigen politischen Umfeld und klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. Die Bewertung von Gesundheitschecks stützt sich also auch hier nicht allein auf wissenschaftliche Daten, sondern auch auf politische und gesellschaftliche Faktoren.

Die vielen Definitionen von Wirksamkeit

Die acht Autorinnen aus Österreich kommen zu dem Schluss: Allgemeine Gesundheitschecks werden – unabhängig von ihrer medizinischen Wirksamkeit – auf vielen Ebenen geschätzt und genutzt bzw. angeboten. Offenbar erfüllen sie Bedürfnisse, die ansonsten in den verschiedenen nationalen Gesundheitssystemen nur wenig Raum finden – etwa den Wunsch nach persönlicher Zuwendung und ausführlicher Kommunikation.

Die Review-Autorinnen betonen, dass künftige Strategien zur Prävention und Gesundheitsförderung dies berücksichtigen sollten – sowohl, wenn solche Strategien weiterentwickelt als auch wenn sie möglicherweise neu ausgerichtet werden. Gleichzeitig müsse gewährleistet bleiben, dass Gesundheitschecks auf wissenschaftlicher Evidenz basieren und auch wirtschaftlich verantwortbar sind.

„Das Verständnis von allgemeinen Gesundheitschecks erfordert mehr, als nur zu wissen, ob sie wirken“, betont Isolde Sommer. „Wir müssen auch verstehen, warum sie genutzt werden, warum sie beliebt sind, warum sie diejenigen oft nicht erreichen, die am meisten davon profitieren könnten, und wie sie in verschiedenen Gesundheitssystemen funktionieren. Dafür brauchen wir die Kombination von quantitativer und qualitativer Evidenz.“



Gratis-Webinar von Cochrane Norway: “What influences the commissioning, delivery, and uptake of general health checks?“ mit Isolde Sommer am 1. Dezember 2025.

Informationen und Anmeldung

Online-Workshop von Cochrane Österreich: „Einführung in Qualitative Evidenzsynthesen“: Ein ganztägiger Online-Workshop am 25. Februar 2026 – durchgeführt von Isolde Sommer, mit Fokus auf Methoden wie Framework Synthesis, Thematic Synthesis und Meta-Ethnographie inklusive Teilnahmezertifikat.

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