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CEOsys: Fundiertes Wissen zu COVID-19

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In der Pandemie fehlt es vor allem an einem: gesichertem Wissen. Dabei gibt es inzwischen eine große Zahl von Studien – und täglich werden es mehr. Doch was bleibt von dieser Flut von qualitativ oft fragwürdiger Evidenz unterm Strich übrig? Genau dies zu klären, ist die Mission von CEOsys, dem COVID-19-Evidenz-Ökosystem. Das Ziel des Forschungsverbunds, an dem auch Cochrane beteiligt ist: Entscheidungen zu Covid-19 auf Basis von Daten und fundierten Belegen anstatt Spekulationen und Meinungen.

Vor etwa einem Jahr wurden in Deutschland die ersten Infektionen mit SARS-CoV-2 festgestellt. Über das „neuartige Coronavirus“, wie es anfangs noch genannt wurde, war zunächst so gut wie nichts bekannt. Und so legten sich Forschende aus aller Welt ins Zeug, möglichst schnell möglichst viel über das Virus und die Krankheit COVID-19 herauszufinden. Wichtige Ergebnisse wie die Sequenzierung des Virus-Genoms standen dadurch schon wenige Wochen nach den ersten Berichten über die neue Viruserkrankung zur Verfügung.

Seither ist der Strom wissenschaftlicher Publikationen zu SARS-CoV-2, COVID-19 und den möglichen Maßnahmen gegen die Pandemie stetig angeschwollen. So enthält Medline, die wichtigste Datenbank für wissenschaftliche Publikationen, bereits mehr als 100.000 Einträge zum Schlagwort „COVID“.

Eine Flut von Wissen und Halbwissen

Im Prinzip ist es natürlich erfreulich, dass es so schnell so viele Forschungsergebnisse zu einer neuen Erkrankung gibt. Schließlich sollte auch das Pandemiemanagement wie alle Gesundheitsentscheidungen auf Basis der besten verfügbaren Evidenz aus wissenschaftlichen Studien erfolgen. Doch es ist schon für altbekannte Krankheiten nicht einfach, sich einen Überblick über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Evidenz zu verschaffen. Systematische Übersichtsarbeiten wie die Reviews von Cochrane sind hierfür ein sehr gutes Mittel. Doch ihre Erstellung nach den bewährten Verfahren dauert Monate, wenn nicht Jahre.

Die Studien zu COVID-19 indes überrollen uns regelrecht wie eine Flut. Und sie sind noch dazu von sehr unterschiedlicher Qualität – man denke nur an sogenannte Preprint-Publikationen, die Ergebnisse zwar schnell, aber ohne die sonst übliche Qualitätskontrolle an die Öffentlichkeit bringen. Das macht es Wissenschaftlern, Ärztinnen, Politikern und allen anderen, die in der Pandemie Entscheidungen treffen müssen, schwer, sich ein Bild vom aktuellen Wissensstand zu machen.

CEOsys schafft Ordnung

„Eben hier setzt das COVID-19-Evidenz-Ökosystem, kurz CEOsys, an“, erklärt Jörg Meerpohl, der als Direktor sowohl dem Institut für Evidenz in der Medizin an der Uniklinik Freiburg, als auch Cochrane Deutschland vorsteht. Meerpohl koordiniert das Verbundprojekt, an dem sich neben Freiburg noch 19 weitere deutsche Universitätskliniken und etliche weitere Partner beteiligen. „Die Idee des Evidenz-Ökosystems ist es, die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu den dringendsten Fragen zu Prävention, Behandlung und Folgen von COVID-19 zu sammeln, ihre methodische Qualität zu bewerten und sie in kompakten Evidenzsynthesen zusammenzufassen. Soweit es die Evidenzlage zulässt, werden daraus konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet, auf die sich Medizin, Politik und Bevölkerung stützen können. Wir klären auf diese Weise aber auch, in welchen Bereichen, und für welche konkreten Fragen noch Löcher in unserem Wissen klaffen. Denn ein guter Überblick über diese zahlreichen Evidenzlücken ist eine wichtige Voraussetzung, um die Forschung auf die drängendsten Fragen zu fokussieren und gleichzeitig unnötige Doppelungen zu vermeiden“, so Meerpohl.

Ein Riff aus Evidenz-Korallen

Belege sammeln, bewerten und zusammenfassen – all dies leisten im Prinzip auch etablierte Formen von Evidenzsynthesen wie systematische Reviews und auf solcher Evidenz basierende Leitlinien. Doch es braucht Zeit, wenn man für jede sich ergebende Frage von neuem mit der Literatursuche beginnen muss. Das Besondere am Konzept des Evidenz-Ökosystems ist es, dass aktuell veröffentlichte Studienergebnisse rasch gesichtet und bewertet werden, sodass sie für die weitere Auswertung in Evidenzsynthesen zur Verfügung stehen. Um im Bild zu bleiben: Es entsteht ein „Lebensraum“ für Studienevidenz, aus dem sich dann nach Bedarf schnell die passende Evidenz zu einer konkreten klinischen Fragestellung fischen lässt. „Das spart Zeit und ermöglicht rasche Reaktionen auch auf sich neu ergebende Fragen“, sagt Meerpohl. Zum Ökosystem-Ansatz von CEOsys gehört auch, dass die aus der Evidenz abgeileteten Evidenzsynthesen lebend sind, dass sie also engmaschig auf den neuesten Stand gehalten werden.

In diesem Sinne lebend sollen auch die Handlungsempfehlungen und Leitlinien sein, welche die graue Evidenz in die Praxis von Klinikpersonal, Politik und breiter Öffentlichkeit übertragen. Dabei spielt die Kooperation von CEOsys mit der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) eine zentrale Rolle. Die AWMF Task Force COVID-19 Leitlinien mit insgesamt 33 Fachgesellschaften ermöglicht auf Basis der in CEOsys identifizierten Evidenz die Erstellung beziehungsweise Aktualisierung von S3-Leitlinien im qualitätsgesicherten AWMF -Leitlinienregister, in dem sich bereits 17 Leitlinien zu COVID-19-Themen finden. „Die Fachexpertinnen und -experten kennen die wichtigsten Studien“, sagt Monika Nothacker, stellvertretende Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement. „Gerade bei strittigen Fragen ist jedoch eine systematische Aufbereitung und Dokumentation der Studienbewertung von hohem Wert. Diese kann auch dazu dienen, Unsicherheiten des Wissens aufzuzeigen. Die Kooperation von Klinikern und Methodikern hat sich als sehr positiv erwiesen.“

Evolution braucht Zeit

Ein derart komplexes Ökosystem medizinisch-wissenschaftlicher Belege für die extrem dynamische Forschung zu COVID-19 aufzubauen, ist eine große Herausforderung. Konkret fokussiert sich CEOsys auf sechs Themenfelder. Diese decken ein breites Spektrum ab, von Fragen der Diagnostik über die klinische und ambulante Versorgung von COVID-Patienten und die Wirksamkeit verschiedener Public-Health-Maßnahmen bis hin zu den psychischen Folgen der Pandemie. Für den Anfang orientiert sich die Suche an einer Reihe konkreter Fragestellungen, zu denen CEOsys Evidenzsynthesen entwickelt. Mittelfristig soll daraus dann das umfassende Ökosystem für Studienevidenz zu COVID-19 entstehen. Mit wieviel Leben sich dieses füllen lassen wird, hängt allerdings von dem noch ungelösten Problem einer langfristigen Finanzierung für CEOsys ab – ursprünglich war die Unterstützung durch das Bundesforschungsministerium nur bis Ende März 2021 befristet. Auch die kürzlich erfolgte Verlängerung bis Mitte des Jahres bietet kaum genügend Zeit für die Evolution des Ökosystems.

Dabei hat das Projekt durchaus auch über ein hoffentlich nicht allzu fernes Ende der Bedrohung durch COVID-19 hinaus Bedeutung – als Blaupause für eine bessere, evidenzbasierte Antwort auf die nächste Pandemie, aber auch als Vorbild für Evidenz-Ökosysteme zu wohlbekannten Volkskrankheiten.

Studienergebnisse zu COVID-19 zu suchen und auszuwerten steht bei CEOsys im Mittelpunkt, es ist aber nicht alles. Ein wichtiger Aspekt des Projekts ist es, die Ergebnisse so zu kommunizieren, dass sie die jeweilige Zielgruppe auch wirklich erreichen. Eine eigene Arbeitsgruppe innerhalb von CEOsys entwickelt dafür passende Formate, vom tabellarischen Evidenzprofil für Krankenhausmitarbeitende bis zum knapp gehaltenen evidence brief für politische Entscheider.

Erste Ergebnisse

Seit im September 2020 der offizielle Startschuss durch das Netzwerk Universitätsmedizin erfolgte, arbeiten die weit über einhundert Forschenden der beteiligten deutschen Unikliniken und Partnerorganisationen, darunter auch Cochrane Deutschland, Cochrane France und Vertreter des internationalen Teams von Cochrane in London, mit Hochdruck an der Umsetzung des ambitionierten Projekts. „Erste Ergebnisse auf Basis der Arbeit von CEOsys liegen inzwischen vor. So erschien Anfang Februar eine neue S3-Leitlinie für Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos an Schulen, deren Evidenzgrundlage im Rahmen von CEOsys bereitgestellt wurde. Ende des Monats erschien dann die bereits fünfte Aktualisierung der deutschen Leitlinie für die stationäre und intensivmedizinische Behandlung von COVID-Patienten. Hier konnten vor allem Fragen der medikamentösen Therapie mit Evidenzsynthesen hinterlegt werden – ebenfalls auf Basis der Arbeit und unter Beteiligung von CEOsys“, sagt Meerpohl.

Diese und alle noch folgenden Resultate werden in unterschiedlich aufbereiteter, stets aktuell gehaltener Form auf der CEOsys-Webseite verfügbar sein. Dort sind auch weitere Informationen zum Projekt zu finden. Stets über die Fortschritte von CEOsys auf dem Laufenden halten kann man sich auch über einen Newsletter und den Twitter-Account @COVID_Evidenz.

Text: Georg Rüschemeyer

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