Der Name sagt es: ein Schlaganfall tritt in aller Regel „schlagartig“ auf, meist ohne erkenntliche Vorboten. Und versursacht dabei häufig Einschränkungen und Behinderungen, die alles andere als schlagartig wieder weggehen und oftmals einer langwierigen Rehabilitation bedürfen.
Während in Deutschland jährlich rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall erleiden, sind in der Schweiz durchschnittlich 12.000Menschen jährlich hiervon betroffen. Ein Schlaganfall ist eine akute Schädigung von Teilen des Gehirns, die entweder durch eine Minderdurchblutung (durch Gefäßverschluss) oder eine Hirnblutung verursacht werden kann. Abhängig von Art, Ort und Ausdehnung kann ein Schlaganfall zu erheblichen Behinderungen führen. Zu den häufigsten Folgen gehören halbseitige Lähmungen, Sprachstörungen, Beeinträchtigungen des Gleichgewichts sowie Gefühls- und Wahrnehmungsstörungen. Diese Beeinträchtigungen können die Durchführung alltäglicher Aktivitäten wie das Anziehen, Einkaufen und Essen oder Treppensteigen und damit die gesellschaftliche Teilhabe an sozialen Anlässen und Freizeitaktivitäten und das Ausüben eines Berufes erheblich erschweren oder gar unmöglich machen.
Physiotherapeutische Einzeltherapie ist essenziell, aber häufig nicht ausreichend
Physiotherapie ist in aller Regel ein zentraler Bestandteil der Rehabilitation von Menschen nach einem Schlaganfall. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bzw. der Rehabilitationsklinik bedürfen viele dieser Menschen einer kontinuierlichen ambulanten Weiterbehandlung. Diese erfolgt in erster Linie im Rahmen einer physiotherapeutischen Einzelbetreuung. Die Vorteile einer individuellen Physiotherapie liegen auf der Hand: individuelle Defizite können gezielt aufgearbeitet und die Behandlung auf die spezifischen Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnitten werden. Diesen Vorteilen stehen jedoch insbesondere Beschränkungen der Behandlungsfrequenz und -dauer entgegen. Die Einzeltherapie wird sowohl von Patienten als auch Therapeuten oft als „nicht ausreichend“ betrachtet. Der Zugang zu einer umfänglicheren Behandlung, insbesondere aber zu intensiveren Rehabilitationsmaßnahmen, ist in aller Regel sehr begrenzt.
Fortschritte durch stetiges Üben
Neuere Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften unterstreichen die Bedeutung einer ausreichend umfänglichen Therapie. So zeigen Forschungsergebnisse zum „Motorischen Lernen“, dass viele Übungswiederholungen notwendig sind, um eine Verbesserung motorischer (bewegungsbezogener) Funktionen zu erreichen (Lohse et al. 2014). Dabei wird empfohlen, keine abstrakten „Turnübungen“ durchzuführen, sondern bevorzugt Übungen mit einem konkreten Bezug zu Aufgaben aus dem Alltag, wie zum Beispiel das Aufstehen von einem Stuhl oder das Greifen eines Gegenstandes. Ein kürzlich veröffentlichter Cochrane Review enthielt Evidenz dafür, dass ein solches aufgabenorientiertes Training die Arm- und Beinfunktion wirksam verbessern kann.
Gruppen-Zirkeltraining um schneller wieder auf die Beine zu kommen
Ein Zirkeltraining in der Gruppe könnte eine sinnvolle und möglicherweise leichter zugängliche Option für eine aufgabenspezifische Therapie mit vielen Übungswiederholungen darstellen. Bei einem solchen Training werden alltagsbezogene und aufgabenorientierte Aktivitäten gezielt und wiederholt geübt, mitunter kombiniert mit einem Krafttraining. Das Trainieren in der Gruppe mit anderen Betroffenen kann auch die Motivation positiv beeinflussen.
Ist ein Gruppen-Zirkeltraining wirklich eine wirksame und zudem sichere Maßnahme zur Verbesserung der Durchführung von Alltagsaktivitäten, des Gleichgewichts und anderer Einschränkungen? Ein aktualisierter Cochrane Review ist dieser Frage nachgegangen und hat die Wirksamkeit von Zirkeltraining für von einem Schlaganfall betroffene Menschen untersucht. In den Review wurden 17 Studien mit insgesamt 1297 erwachsenen Teilnehmern eingeschlossen. In den Studien wurde ein Zirkeltraining mit der üblichen Versorgung bzw. einer Scheinrehabilitation verglichen. Die meisten Studienteilnehmer konnten zu Beginn der Studien mindestens 10 Meter ohne Unterstützung gehen. Die Autoren fanden Evidenz von moderater Qualität dafür, dass ein Gruppen-Zirkeltraining in Bezug auf die Fähigkeit, weiter, unabhängiger und schneller zu gehen sowie, in einigen Fällen, das Gleichgewicht leichter und sicherer zu halten, wirksamer ist als andere Therapieformen.
Sie fanden zudem heraus, dass die positiven Wirkungen des Zirkeltrainings gleichermaßen bei Patienten auftraten, deren Schlaganfall über ein Jahr zurücklag, und solchen, deren Schlaganfall sich innerhalb des vorausgegangenen Jahres ereignet hatte. Dies bedeutet, dass Patienten nach einem Schlaganfall länger Fortschritte machen können als bislang beschrieben wurde. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es weiterer Forschung bedarf um zu ermitteln, ob ein Gruppen-Zirkeltraining für Patienten mit Schlaganfällen jeglicher Ausprägung geeignet ist, und ob bestimmte Aufgaben bevorzugt geübt werden sollten..
Es kann sich also für von einem Schlaganfall betroffene Menschen lohnen, an einem wohnortnahen Zirkeltraining teilzunehmen. Physiotherapiepraxen sollten über solche Angebote Auskunft geben können.
Text: Cordula Braun und Gudrun Diermayr
Cordula Braun: Physiotherapeutin; PhD im Bereich Orthopädie/Physiotherapie, Teesside Unversity, GB; seit 2009 Dozentin für Physiotherapie im Bereich Gesundheit an der Hochschule 21, Buxtehude; u.a. Autorin des monatlichen „Cochrane Updates“ in der „pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten“ und der „Cochrane für die Physiotherapie“-Datenbank; Beteiligung an Cochrane-Übersetzungen Physiotherapie; aktuelle Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Muskuloskelettale Physiotherapie, Evidenzbasierte Praxis/Gesundheitsversorgung.
Gudrun Diermayr: Physiotherapeutin; PhD im Bereich Motorische Kontrolle/Motorisches Lernen, Columbia University, USA; seit 2013 Professorin für Neurorehabilitation an der Fakultät für Therapiewissenschaften, SRH Hochschule Heidelberg. Mitglied im Cochrane Übersetzungsteam Physiotherapie; aktuelle Arbeits- & Forschungsschwerpunkte: Neurorehabilitation und Umsetzung Evidenzbasierte Praxis.
Literatur
Lohse, K. R., Lang, C. E., & Boyd, L. A. (2014). Is more better? Using metadata to explore dose
response relationships in stroke rehabilitation. Stroke, 45(7), 2053–2058.
doi:10.1161/STROKEAHA.114.004695