Schlangenbisse sind in tropischen Gebieten eine häufige Todesursache, gehören aber trotzdem zu den vernachlässigten tropischen Krankheiten. Bis Mitte diesen Jahres gab es das wichtigste Gegengift gegen Schlangenbisse in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara noch: Das von der französischen Pharmafirma Sanofi produzierte FAV-Afrique. Dieses Antiserum ist eins der wenigen Produkte, das die Bisse der zehn gefährlichsten Schlangen südlich der Sahara behandeln kann.
FAV-Afrique ist bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit von guter Qualität und rettete schon oft Leben oder bewahrte Menschen vor Verstümmelungen. Letztes Jahr wies Wissen Was Wirkt bereits auf den Produktionsstopp von FAV-Afrique hin, nun ist seit Juni 2016 das Verfallsdatum der letzten Chargen abgelaufen und es ist noch immer kein Ersatz in Sicht. Die Behandlung von Schlangenbissen ist deutlich erschwert, Ärzte vor Ort werden zukünftig nur noch Symptome behandeln können. Globale Akteure des Gesundheitswesens und Regierungen betroffener Regionen zeigen irritierenderweise recht wenig Interesse an diesem Problem, das in manchen Regionen eine enorme Dimension hat.
Alle 5 Minuten stirbt ein Mensch durch einen Schlangenbiss
Allein in Afrika wird die Zahl der jährlich Gebissenen auf eine Million geschätzt, davon benötigt die Hälfte eine Behandlung. Die geschätzten Zahlen der Toten durch Schlangenbisse pro Jahr schwanken zwischen 4.000 und 30.000. Meist sind 10- bis 30-Jährige betroffen, die in armen bäuerlichen Gegenden mit mangelnder Gesundheitsversorgung leben. Da viele Opfer entweder keine Hilfe suchen oder zu traditionellen Heilern gehen, ist die tatsächliche Zahl der Toten vermutlich höher. Der Verlust von Gliedmaßen durch Notfall-Amputationen nach Schlangenbissen ist mit einer lebenslangen Einschränkung der Betroffenen bezüglich Familie und Arbeit verknüpft.
Gegengifte als einzige effektive Behandlungsmöglichkeit
Vergiftungen durch Schlangenbisse lassen sich vor allem durch Antiseren behandeln, in denen Antikörper gegen Schlangengifte enthalten sind. Das im Blut des Opfers zirkulierende Gift wird durch das Serum in der Menge reduziert und in der Giftigkeit gemindert. Deshalb müssen Gegengifte besser und breiter verfügbar gemacht werden und gehören in jeden Erste-Hilfe-Koffer eines Arztes in Risikogebieten. Seit 1977 sind Antiseren in der WHO-Liste der unentbehrlichen Medikamente aufgeführt. Die Herstellung eines Antiserums wie FAV-Afrique ist aufwendig und macht es zu einem vergleichsweise teuren Medikament.
Sanofi steigt aus der FAV-Produktion aus
Wie erst später bekannt wurde, fiel die Entscheidung bei Sanofi intern schon 2010, das Serum FAV-Afrique nicht mehr herzustellen. Auf Nachfrage von Ärzte ohne Grenzen entgegnete der Pharmariese im Juli 2013, es gebe bereits viele Konkurrenzprodukte aus Indien oder Lateinamerika und der Absatz von FAV-Afrique habe sich wirtschaftlich nicht mehr rentiert. Die letzte Charge lief bei Sanofi im Januar 2014 vom Band und war sehr schnell ausverkauft, was wiederum zu Engpässen führte. Nun ist FAV-Afrique vom Markt verschwunden, das Verfallsdatum der letzten Dosen endete im Juni 2016. Sanofi selbst fokussiert nun auf die Produktion von Tollwut-Antiseren und hofft auf die Übergabe der FAV-Herstellung an ein anderes Unternehmen (Tech Transfer) bis Ende 2016. Bis Produktion und Vertrieb jedoch laufen, wird Zeit vergehen: Ein Ersatz für FAV-Afrique wird vermutlich erst Ende 2018 oder Anfang 2019 auf dem Markt sein. Es ist eine gefährliche Lücke in der Versorgung entstanden, die vielen Menschen das Leben oder die Unversehrtheit kosten kann.
Ein Problem in den Fokus der Öffentlichkeit rücken
Allerdings ist der Verlust von FAV-Afrique nicht für alle Schlangenbissopfer spürbar. Viele von ihnen können sich das Medikament ohnehin nicht leisten. Eine Behandlung mit vier Phiolen Serum kostet 480 Euro und entspricht oft mehreren Jahresgehältern der am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen. Patienten haben darauf nur deshalb Zugriff, weil Hilfsorganisationen ihnen das Mittel zur Verfügung stellen.
Von Sanofi fordern Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, sofort mit der überbrückenden FAV-Afrique-Produktion zu beginnen, um die Versorgungslücke zu schließen, bis ein Ersatzprodukt verfügbar ist. Gleichzeitig soll der Pharmakonzern die Vertragsverhandlungen mit potentiellen Interessenten beschleunigen, damit der Tech Transfer schnell abgeschlossen werden kann.
Internationale Geberländer werden aufgefordert, den Schlangenserum-Markt finanziell zu fördern, damit qualitativ hochwertige Produkte insbesondere für Entwicklungsländer verfügbar werden. Nicht selten greifen arme Länder auf billigere zweitklassige Produkte zurück, die zudem noch nicht ausreichend bewertet wurden. Daher müssen andere Anbieter Studien durchführen, die die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Produkte belegen, damit auch Alternativen zu FAV-Afrique eingesetzt werden können.
Vielleicht ist ein Anfang gemacht
Die WHO hat kürzlich begonnen, ein Programm zur Evaluation bereitzustellen, das es erlaubt, die Qualität und Sicherheit alternativer Antiseren zu prüfen und zu bewerten. Finanziell wird das Programm auch von Ärzte ohne Grenzen unterstützt. „Langfristig ist die Idee, dass Afrika eine eigene Produktion von Antiseren aufbaut“, sagt Marco Alves, Koordinator der Medikamenten-Kampagne bei Ärzte ohne Grenzen.
Text: Stephanie Heyl
Bildnachweis: Tambako The Jaguar CC BY-ND 2.0