Zahnwurm, Abbildung aus einem zahnärztlichen Lehrbuch des 18. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich

Fluorid gegen Karies: Damit der Zahnwurm auf Granit beißt

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Früher oder später erwischt sie uns: Die Zahnkaries. Fluoride können den Löchern im Zahn Einhalt gebieten. Im dritten Teil unserer Serie zur evidenzbasierten Zahnmedizin stellen wir Evidenz für den Nutzen verschiedener Fluroidierungsmaßnahmen vor.

„Lasse mich zwischen Zähnen und Zahnfleisch wohnen! Der Zähne Blut will ich trinken, des Zahnfleisches Wurzeln will ich fressen!“ Mit diesen Worten bringt einem alten babylonischen Text zufolge der Zahnwurm kurz nach der Erschaffung der Welt das Ungemach der Zahnkaries über die Menschen. Die Vorstellung eines sich durch die Zähne bohrenden Wurms als Verursacher der Karies hielt sich über Jahrtausende und zahlreiche Kulturen hinweg – unser Titelbild stammt aus einem zahnärztlichen Lehrbuch des 18. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich.

Eine Geißel der Menschheit bleibt die Caries dentium, so der lateinische Fachausdruck, bis heute. Schon im Schulalter sind in den Industrieländern die meisten davon betroffen, Erwachsene ganz ohne kariöse Löcher sind fast schon eine zahnmedizinische Rarität.

Unbehandelte Zahnkaries führt zu einer fortschreitenden, oft schmerzhaften Zerstörung der Zähne. Reparatur und Ersatz verfallener Zähne sind zeit‐ und kostenaufwendig und stellen eine große Belastung für Gesundheitssysteme dar. Daher hat die Vorbeugung von Karies, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, Vorrang vor der Behandlung.

Wie entsteht Karies?

Der Glaube an den Zahnwurm hielt sich in der Volksmedizin mancherorts bis ins 20. Jahrhundert. Aber auch in der modernen Naturwissenschaft konnte man sich lange nicht so recht auf eine Erklärung einigen, wie die zunächst unscheinbaren Löcher in Zahnschmelz und Zahnbein entstehen. Nach und nach wurde klar, dass die Plaque, also der aus Speiseresten und Speichelbestandteilen bestehende Zahnbelag und die darin lebenden Bakterien, eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Karies spielt. Typische Plaque-Bakterien wie Streptococcus mutans verstoffwechseln Zucker und Kohlenhydrate und produzieren dabei Milchsäure. Diese ist es, die dann den Zahnschmelz angreift.

Inzwischen folgen die meisten Forscher*innen der „ökologischen Plaquehypothese“. Sie sieht das Umkippen des bakteriellen Ökosystems zugunsten kariesverursachender (kariogener) Bakterienarten als entscheidend für die Entstehung von Karies. Schuld daran ist demnach das Zusammenspiel vieler Faktoren, von mangelnder Zahnhygiene über genetische Merkmale bis zu einer ungünstigen, zuckerlastigen Ernährung.

„Dieses Ungleichgewicht lässt sich aber auch wieder in Balance bringen“, sagt unser WissenWasWirkt-Zahnexperte Falk Schwendicke von der Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Berliner Charité. Dafür müsse man zunächst die Bildung der Plaque kontrollieren. Hier helfe eine gute Zahnhygiene, um die es im vorangegangen Beitrag dieser Serie ging. Wichtig sei auch eine Reduzierung der Zufuhr von Zucker und anderen Kohlenhydraten.

Um eine dritte Maßnahme soll es in diesem Beitrag gehen: Das Härten des angegriffenen Zahnschmelzes mit Hilfe von Fluorid. Fluoridierte Zahnpasta spielte bereits in der letzten Folge unserer Serie eine Rolle. Heute wollen wir uns Cochrane-Evidenz zur Wirksamkeit weiterer Maßnahmen ansehen, welche die Zähne mit Hilfe von Fluorid weniger anfällig für Karies machen sollen.

Fluorid macht die Zähne hart

Fluorid kann angegriffenen Zahnschmelz wieder härten und so das Fortschreiten einer Karies stoppen beziehungsweise der Entstehung neuer Karies-Läsionen vorbeugen. Die genauen Mechanismen dieser sogenannten Remineralisation des Zahnschmelzes durch Fluorid sind noch nicht abschließend geklärt. Die entscheidende Rolle spielt offenbar im Speichel gelöstes Fluorid, das direkt auf der Zahnoberfläche Lücken in der Matrix des angegriffenen Zahnschmelzes füllt und diesen gleichzeitig vor weiteren Angriffen der Säure aus der Plaque schützt.

Gefahr durch Fluorid?

Allerdings stehen manche Menschen einer künstlichen Zufuhr von Fluorid kritisch gegenüber, weil sie gesundheitsschädliche Wirkungen befürchten. Größere Mengen Fluorid sind tatsächlich giftig, allerdings entscheidet wie so oft auch hier die Dosis. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA beispielsweise empfiehlt, täglich rund 0,05 Milligramm Fluorid pro Kilogramm Körpergewicht zu sich zu nehmen. Fluorid, das etwa nach dem Zähneputzen wieder ausgespuckt wird, zählt hier nicht mit. Liegt die Aufnahme dauerhaft darüber, kann es vor allem bei Kindern zu einer harmlosen, aber oft als unschön empfunden Verfärbung der Zähne kommen, der Dentalfluorose. Bauchschmerzen als Folge einer akuten Überdosierung können ab der zehnfachen Menge (0,5 mg/kg) vorkommen, gefährliche Vergiftungserscheinungen erst beim Hundertfachen (5mg/kg) . Dafür muss ein Kleinkind aber schon eine ganze Tube Erwachsenen-Zahnpasta verschlucken – ein unwahrscheinliches Szenario, das einen sofortigen Anruf bei einer Giftnotruf-Zentrale erfordert.

An dieser Stelle wollen wir uns aber auf die Effekte von Fluorid auf die Zahngesundheit konzentrieren. Einige der im Folgenden vorgestellten Reviews der Cochrane Oral Health Group sind schon etwas älter. Dies gilt allerdings erst recht für viele der zugrundeliegenden Studien, die zum Teil noch aus den Sechziger und Siebziger Jahren stammen. Zu manchen Fragestellungen gibt es seither kaum noch aktuelle Forschung, so dass die Ergebnisse noch aktuell sein dürften.

Das Ausmaß der Karies wurde in den meisten eingeschlossenen Studien mit Hilfe eines etablierten Verfahrens gemessen, dem DMFT-Index (decayed, missing, filled teeth).

Fluorid-Zahnpasta

Über den deutlichen Effekt von fluoridhaltiger Zahnpasta auf die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen haben wir bereits im letzten Beitrag dieser Serie berichtet. Das wichtigste Ergebnis des dort vorgestellten Cochrane Review auf Basis von über 70 Studien: Nach rund drei Jahren des Putzens mit Fluorid lag der Anteil geschädigter Zähne rund ein Viertel niedriger als bei Verwendung einer Zahnpasta ohne Fluorid. Cochrane-Autoren haben aber auch die Evidenz für weitere Arten des Fluorid-Einsatzes gegen die Karies untersucht.

Fluoridhaltige Mundspülungen…

„Die regelmäßige Anwendung von fluoridhaltiger Mundspülung unter Aufsicht führt zu einer starken Verminderung von Zahnkaries in den bleibenden Zähnen von Kindern“, lautet das Fazit der Autorinnen eines zuletzt 2016 aktualisierten Cochrane Reviews auf der Grundlage von 37 Studien mit fast 16.000 Kindern. Diese nahmen zumeist in ihren Schulen an entsprechenden Programmen teil. Unterm Strich war der Effekt ähnlich groß, wie jener von fluoridhaltiger Zahnpasta: Die Kinder hatten rund ein Viertel weniger Zahnschäden im Vergleich zu Kindern, die nicht an den Programmen teilnahmen. Die Autorinnen schätzten die Vertrauenswürdigkeit ihrer Ergebnisse nach dem GRADE-System als moderat ein. Hinweise auf unerwünschte Nebenwirkungen fanden sie kaum, allerdings machten viele Studienveröffentlichungen keine Angaben zu diesem Aspekt.

…und Gele für Kinder und Jugendliche

Dasselbe Team von Autorinnen veröffentlichte 2015 einen Cochrane Review zu Fluoridgelen für die Karies-Prävention. Solche hochdosierten Gele werden gezielt auf die Zähne aufgetragen oder einfach wie Zahnpasta benutzt. Wegen der höheren Fluorid-Konzentration sollte dies allerdings in größeren zeitlichen Abständen geschehen, beispielsweise einmal pro Woche. Auch hier zeigte sich, dass Fluoridgel den Kariesbefall der bleibenden Zähne und Milchzähne deutlich verringert. Die Größenordnung lag abermals bei rund einem Viertel weniger Zahnschäden im Vergleich zu Kindern, die ein fluoridfreies Placebo-Gel oder gar keine spezielle Behandlung erhielten. Zu möglichen unerwünschten oder schädlichen Wirkungen aufgrund ungewollten Herunterschluckens des Gels fanden sich kaum Angaben.

Fluorid-Lacke

Eine Methode, Fluoride noch länger (12 Stunden und mehr) einwirken zu lassen, sind fluoridhaltige Lacke, die auf die Zähne aufgetragen werden. Ein Cochrane Review von 2013 wertet die Ergebnisse von 22 Studien mit insgesamt mehr als 12.000 Teilnehmenden aus, deren Zähne über ein Jahr mehrfach mit solchen Lacken behandelt wurden. Der Effekt der Lacke im Vergleich zu Placebo lag hier sogar in der Größenordnung von 40 Prozent weniger kariöser, gefüllter oder fehlender Zähne – dies gilt in vergleichbarer Weise für bleibende, wie auch für Milchzähne. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE schätzen die Autorinnen als moderat ein.

Fluoridiertes Trinkwasser

Ein ganz anderer Ansatz, die Schutzwirkung von Fluoriden für weiten Bevölkerungsgruppen zu nutzen, ist die Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Fluoriden. So hat fluoridiertes Speisesalz in Deutschland in Deutschland einen Marktanteil von rund 60 Prozent, in der Schweiz sind es sogar 85 Prozent.

Darüber hinaus konsumierten im Jahr 2012 knapp eine halbe Milliarde Menschen weltweit mit Fluorid versetztes Trinkwasser, eine Praxis die vor allem in den USA weit verbreitet ist. Allerdings ist gerade die Trinkwasserfluoridierung umstritten. Kritiker sehen darin eine unzulässige Massenmedikation, die in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreife. Viele Länder, darunter auch die meisten Staaten Europas, verzichten deshalb heute auf eine flächendeckende Fluoridierung des Trinkwassers. Allerdings enthält Trinkwasser schon von Natur aus Fluorid in von Region zu Region schwankenden Konzentrationen.

Was die Trinkwasser-Fluoridierung dem Zahnschmelz bringt, ist Frage eines weiteren Cochrane Reviews aus dem Jahr 2015. Die Autor*innen konnten mehr als 100 Studien identifizieren, an denen insgesamt mehrere Zehntausend zumeist junge Menschen teilnahmen. Allerdings wurde ein großer Teil dieser Untersuchungen vor dem Jahr 1975 durchgeführt, was Fragen zur Übertragbarkeit der Ergebnisse auf heutige Verhältnisse aufwirft.

Die Einführung von Wasserfluoridierung führte demnach zu einer Verminderung der Zahl von kariösen, fehlenden oder gefüllten Milchzähnen um gut ein Drittel. Für bleibende Zähne lag dieser Effekt bei 26 Prozent. Die Resultate der Studien deuten darauf hin, dass ein Fluoridgehalt des Wassers von 0,7 ppm (parts per million), wie er beispielsweise von der US-Regierung empfohlen wird, bei etwa einem Zehntel der Kinder zu harmlosen Verfärbungen des Zahnschmelzes (Zahnfluorose) führen kann.

Fluorid und Karies: Fragen Sie Ihre Zahnärztin oder Ihren Zahnarzt des Vertrauens

Fluorid schützt die Zähne effektiv vor Karies, dies machen die hier vorgestellten Cochrane Reviews deutlich. Die Stärke dieses Effekts lag zumeist bei rund einem Viertel bis einem Drittel weniger Zahnschäden auf dem DMFT-Index durch Fluoridzufuhr im Vergleich zu Kontrollgruppen, die kein Fluorid erhielten. Natürlich summieren sich diese Effekte nicht auf. Vielmehr kann die Kombination zu vieler Fluorid-Maßnahmen sogar zu einer Überdosierung führen. Aus diesem Grunde sollte man sich stets mit seiner Zahnärztin oder seinem Zahnarzt besprechen, welche Maßnahmen mit welchen Mengen von Fluorid sinnvoll sind. Denn das hängt von einer Reihe von Faktoren wie dem natürlichen Fluorid-Gehalt des Trinkwassers oder dem persönlichen Karies-Risiko ab.

Früher war nicht alles besser

„Die bessere Versorgung mit Fluorid dürfte entscheidenden Anteil daran haben, dass wir heute bei Kindern und Jugendlichen wesentlich weniger kariöse Zähne sehen, als früher“ , sagt Jens Christoph Türp Jens Christoph Türp, Leiter der Abteilung Myoarthropathien/Orofazialer Schmerz an der Klinik für Oral Health & Medicine am Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB). Diesen Rückgang kann man schön an den „Deutschen Mundgesundheitsstudien“ (DMS) ablesen, die seit 1989 fünf Mal durchgeführt wurden. In der letzten DMS von 2014 hatten erfreuliche acht von zehn Zwölfjährigen (81%) Zähne ganz ohne Karies – 1989 hatte dieser Wert noch bei gerade einmal 13 Prozent gelegen.


BOX: Was sagt die Leitlinie?

Zum Thema „Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe“ gibt es in Deutschland eine lediglich konsensbasierte S2k-Leitlinie aus dem Jahr 2013, die zur Aktualisierung ansteht. Hier die wichtigsten Empfehlungen.

Fluoridhaltige Mundspülungen

Bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Kariesrisiko führt die tägliche überwachte Anwendung von Mundspüllösungen (in einer Konzentration von 0,05% NaF) bzw. die einmal wöchentliche überwachte Anwendung einer Mundspüllösung (0,2% NaF) zu einer deutlichen Reduktion des Kariesanstiegs. Da dieser Effekt unabhängig von der Anwendung anderer fluoridhaltiger Präparate wie zum Beispiel Zahnpasten ist, wird bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Kariesrisiko die Anwendung einer fluoridhaltigen Mundspüllösung empfohlen. Aufgrund der vorliegenden Studienlage kann davon ausgegangen werden, dass fluoridhaltige Spüllösungen bei Jugendlichen (insbesondere wenn eine kieferorthopädische Behandlung mit festsitzenden Geräten durchgeführt wird) zur Kariesprävention beiträgt.

Anmerkung: Kinder unter 6 Jahren sollten keine fluoridhaltigen Mundspüllösungen verwenden, um zu vermeiden, dass toxikologisch relevante Fluoridmengen
verschluckt werden.

Fluoridlacke

„Bei Kindern und Jugendlichen, vor allem solchen mit erhöhtem Kariesrisiko, soll zweimal jährlich eine Applikation eines fluoridhaltigen Lackes erfolgen. Die lokale Fluoridlackapplikation kann unabhängig von bereits durchgeführten, breitenwirksamen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Bei Patienten mit stark erhöhtem Kariesrisiko sollte die Frequenz der Fluoridapplikation mehr als zweimal (in der Regel viermal) pro Jahr betragen, weil dann eine verbesserte kariesreduzierende Wirkung zu erwarten ist.“

Fluoridhaltige Gele

  1. Fluoridgele sollen unabhängig von bereits bestehenden Basisfluoridierungs-Maßnahmen, wie zum Beispiel fluoridhaltige Zahnpasta, verwendet werden.
  1. Da der kariespräventive Effekt von Fluoridgelen unabhängig von der Art der Applikationsmethode ist (zahnärztliche Applikation vs. Applikation durch den Patienten; Trayapplikation vs. Einbürsten), sollte die Art der Applikation individuell gewählt werden. Bei kariesaktiven Patienten sollte eine mehrmalige Applikation fluoridhaltiger Gele erfolgen, da der kariespräventive Effekt mit der Applikationsfrequenz und der Applikationsintensität pro Jahr (Frequenz x Fluoridkonzentration) korreliert.

Georg Rüschemeyer
Text: Georg Rüschemeyer, Cochrane Deutschland

Weitere relevante Cochrane Reviews:
Fluoride supplementation (with tablets, drops, lozenges or chewing gum) in pregnant women for preventing dental caries in the primary teeth of their children (2017)
Xylitolhaltige Produkte zur Vorbeugung von Zahnkaries bei Kindern und Erwachsenen

Zu den anderen Beiträgen unserer Serie zur evidenzbasierten Zahnmedizin:

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