Wie kann man Menschen mit Depressionen helfen, ihre Krankentage im Beruf zu reduzieren? Ein aktueller Cochrane Review kommt zu dem Schluss, dass gezielte Veränderungen der Arbeitssituation in Kombination mit medizinischer oder psychologischer Unterstützung von Nutzen sein könnten.
Depressionen sind eine häufige psychische Krankheit. Schätzungen zufolge erleiden bis zu 20 Prozent der Menschen hierzulande im Laufe ihres Lebens eine depressive Erkrankung. Menschen mit einer Depression können sich über Wochen und Monate traurig, antriebslos oder reizbar fühlen. Nichts macht mehr Freude. [1-4]. Auch im Beruf fällt es den Betroffenen oft schwer, ihre Aufgaben zu bewältigen. Fehltage am Arbeitsplatz sind nicht selten die Folge. Eine Studie aus den USA etwa zählte bei Berufstätigen mit einer Depression gut 27 Krankenstandstage pro Jahr [5].
Eine Krankschreibung wegen einer Depression soll einerseits Entlastung schaffen und das Abklingen der Depression begünstigen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Arbeit selbst Teil des Problems ist, etwa weil es dort persönliche Konflikte gibt oder weil man sich im Job über- oder auch unterfordert fühlt. Andererseits haben die Betroffenen bei längeren Fehlzeiten weniger Tagesstruktur und leiden oft unter einem verminderten Selbstwertgefühl, Einkommenseinbußen oder geringerer gesellschaftlicher Teilhabe. Eine Krankschreibung kann sich deshalb auch als kontraproduktiv erweisen [1-4]. Tatsächlich bevorzugen viele Betroffene, nach Möglichkeit weiter zur Arbeit zu gehen.
Verschiedene Maßnahmen, weniger Fehltage
Wie kann eine effektive Unterstützung für Menschen mit Depressionen aussehen, welche die Zahl der Fehltage in der Arbeit reduzieren möchten? Ein aktueller Cochrane-Review [1] untersucht verschiedene Ansätze, die bereits in der Praxis verwendet werden und hinterfragt, welchen Nutzen diese wirklich haben.
Der Review zeigt, dass manche der untersuchten Interventionen offenbar tatsächlich helfen, die Zahl der Fehltage zu reduzieren. Am besten von Evidenz unterstützt sind Maßnahmen, die an der Arbeitssituation selbst ansetzen, etwa Anpassungen der Aufgaben und Arbeitszeiten. In Kombination mit sogenannten klinischen Interventionen wie Medikamenten oder Psychotherapie, erzielen sie wahrscheinlich eine Reduktion der jährlichen Fehlzeiten um etwa 25 Tage.
12.109 Erwachsene…
Wie kamen die sechs Forscherinnen und Forscher aus den Niederlanden und Deutschland zu ihren Ergebnissen? Für ihre Übersichtsarbeit durchsuchten sie zunächst im April 2020 systematisch wissenschaftliche Datenbanken und andere Quellen nach relevanten Studien. Nach einer kritischen Bewertung blieben 45 Studien für eine Auswertung der Effekte übrig. Die eingeschlossenen Studien wurden zwischen 1991 und 2020 veröffentlicht.
Der Review enthält die Daten von 12.109 berufstätigen Erwachsenen aus Europa, Australien und Nordamerika. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten zu Studienbeginn eine depressive Erkrankung, also entweder eine ärztlich diagnostizierte Depression oder zumindest eine Reihe von ernsthaften selbstberichteten depressiven Beschwerden.
…und 49 untersuchte Interventionen
Für die Studien wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip („randomisiert-kontrolliert“) aufgeteilt. In den Interventionsgruppen kamen zusätzlich zur üblichen Versorgung unterschiedlichste Maßnahmen zum Einsatz, die gegen die Depressionen im Beruf wirken sollten – teils einzeln, teils kombiniert, mit unterschiedlicher Dauer. Dabei stand einerseits die Arbeitssituation selbst im Fokus, etwa durch Veränderungen von Arbeitszeit und Aufgaben oder indem die Teilnehmenden gezielte Unterstützung bei der schrittweisen Rückkehr an den Arbeitsplatz und beim Bewältigen der gestellten Aufgaben erhielten. Andererseits wurden auch sogenannte klinische Interventionen angewandt. Dazu zählten Medikamente und Psychotherapie, aber auch Sport und eine bessere Ernährung und allgemeine Gesundheitsversorgung. In den Kontrollgruppen fand lediglich die jeweils übliche Versorgung statt. Die Studien dauerten zwischen 1 Monat und 5 Jahren. Am Ende sollte der Vergleich zwischen den Gruppen zeigen, ob die Interventionen mehr bewirken können als die übliche Versorgung.
Wirksam – aber nicht immer
Tatsächlich deuten die Ergebnisse darauf hin, dass manche – aber nicht alle – Interventionen einen gewissen Effekt haben. Positiv sticht vor allem die Kombination aus Arbeits-Maßnahmen und klinischen Interventionen hervor. Durch sie gibt es wahrscheinlich über ein ganzes Jahr hinweg rund 25 Krankenstandstage weniger. Darüber hinaus deutet sich an, dass diese kombinierten Interventionen die Symptome einer Depression ein wenig lindern können.
Interessanterweise haben diese Maßnahmen aber offenbar keinen Einfluss darauf, ob die Teilnehmenden mittelfristig, also in den Monaten nach Behandlungsende, weiter aktiv im Beruf bleiben oder wieder in den Krankenstand gehen. Eine Erklärung für diese Diskrepanz kann die Übersichtsarbeit nicht geben.
Wichtige Hinweise, aber keine eindeutigen Belege
Die Einschätzungen aus dem Cochrane-Review sind unterschiedlich gut belegt, die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz liegt zumeist im niedrigen bis moderaten Bereich. Unschärfen in der Aussagekraft sind etwa dem Umstand geschuldet, dass das Autor*innenteam insgesamt zwar viele Interventionen berücksichtigt hat, zu den einzelnen Interventionen aber oft nur wenig Daten vorlagen. Auch die „übliche Versorgung“ in der Kontrollgruppe war oft nicht klar definiert. Weil es an Vergleichbarkeit mangelte, musste das Cochrane-Team oft auf die rechnerische Zusammenfassung der Daten verzichten.
Außerdem ist Vorsicht geboten, weil in manchen Studien Daten unvollständig berichtet wurden oder weil die Beurteilung der Depression möglicherweise verzerrt war.
Was wir nicht wissen
Der Cochrane Review gibt Hinweise auf erfolgversprechende Maßnahmen, er lässt aber noch viele Fragen offen. Es bleibt unklar, welche konkreten Interventionen am besten wirken und in welcher Kombination. Unklar bleibt ebenso, für welche Zielgruppen oder welche Arbeitswelten diese Interventionen die größten Effekte zeigen. Da die Studien nur in Europa, Nordamerika und Australien durchgeführt wurden, bleibt auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Weltregionen fraglich.
Keine solide Antwort gibt es auch darauf, welche unerwünschten Nebenwirkungen die einzelnen Interventionen haben können. Inwiefern sich die Lebensqualität der Betroffenen verändert, wenn sie weniger Fehltage in der Arbeit haben, wurde ebensowenig untersucht, wie die Perspektive der Arbeitgeber.
Trotz all dieser unbeantworteten Fragen und der nicht immer zuverlässigen Evidenz, macht der Review aber doch Mut. Denn er zeigt, dass die Kombination verschiedener Maßnahmen Menschen mit Depressionen vermutlich helfen kann, die Zahl ihrer Krankentage deutlich zu reduzieren und trotz ihrer Krankheit im Beruf aktiv zu bleiben.
Quellen
[1] Nieuwenhuijsen K, Verbeek JH, Neumeyer-Gromen A, Verhoeven AC, Bültmann U, Faber B. Interventions to improve return to work in depressed people. Cochrane Database Syst Rev. 2020 Oct 13;10(10):CD006237.
[2] Gesundheitsinformation.de: Depression . Abgerufen am 2.9.2021
[3] UpToDate: Patient education: Depression in adults (Beyond the Basics) . Abgerufen am 2.9.2021
[4] Dynamed: Major depressive disorder. Abgerufen am 2.9.2021 (kostenpflichtig)
[5] Kessler RC, Akiskal HS, Ames M, Birnbaum H, Greenberg P, Hirschfeld RM, Jin R, Merikangas KR, Simon GE, Wang PS. Prevalence and effects of mood disorders on work performance in a nationally representative sample of U.S. workers. Am J Psychiatry. 2006 Sep;163(9):1561-8.