Mann auf Waage mit Smartphone-App

Mit Smartphone-Apps gegen Adipositas: Hilfreich oder sinnlos?

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Digitale Gesundheitsanwendungen unterstützen Patientinnen und Patienten dabei, mit ihrer Erkrankung umzugehen und ihren Alltag leichter zu gestalten. Auch für Adipositas gibt es entsprechende Apps. Die bisher vorliegende zusammengefasste Evidenz zeigt jedoch keinen konsistenten Nutzen von Smartphone-Applikationen für das Gewichtsmanagement von adipösen Jugendlichen und Erwachsenen. Einzelne Apps könnten dennoch Chancen bieten.

Adipositas (starkes Übergewicht, Fettleibigkeit) wurde im Juli 2020 vom Deutschen Bundestag als chronische Krankheit anerkannt. Sie breitet sich weltweit rasant aus [1], manche Expert*innen sprechen gar von einer „Adipositas-Pandemie“. In Deutschland ist fast jeder vierte Erwachsene adipös – Tendenz steigend. Das Problem: Adipositas erhöht das Risiko für zahlreiche Gesundheitsprobleme wie Herz-Kreislauferkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, Gelenkprobleme und Atemwegserkrankungen. Doch was kann man dagegen tun? Bevor Medikamente oder eine Magenverkleinerungs-OP infrage kommen, wird empfohlen, zunächst Lebensstilmaßnahmen auszuschöpfen, d.h. Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität sowie Verhaltensmodifikation. Einfach ist das nicht – Gewichtsreduktion erfordert viel Motivation, Engagement und Durchhaltevermögen.

Smartphone-Apps gegen Adipositas

Dabei helfen sollen spezielle Smartphone-Apps, die im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens entwickelt wurden. In App-Stores kann man zahlreiche Apps herunterladen, die einen gesundheitlichen Mehrwert bieten sollen. Darunter finden sich auch DiGAs, also Medizinprodukte, die der Kontrolle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterliegen und CE-zertifiziert sein müssen. Die CE-Kennzeichnung gewährleistet aber nur, dass die Software bestimmte Mindestanforderungen erfüllt, sagt aber noch nichts über ihren medizinischen Nutzen aus.

Nur wenn DiGAs beweisen, dass sie einen solchen Nutzen haben, werden sie dauerhaft in eine spezielle Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen. Ärztinnen und Ärzte können dort gelistete Apps verschreiben, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Um in diese Liste aufgenommen zu werden, muss eine digitale Gesundheitsanwendung in mindestens einer Studie ihren gesundheitlichen Nutzen zeigen. Für Adipositas sind aktuell zwei Apps dauerhaft in die BfArM-Liste aufgenommen: Oviva direkt und Zanadio.

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Probleme mit der Datensicherheit von DIGAs

Im Sommer 2022 deckte das ehrenamtliche Kollektiv „ZERFORSCHUNG“, eine Gruppe von Datenschutz-Aktivist*innen, die immer wieder auf Schwachstellen in Anwendungen aufmerksam machen, gravierende Datenschutzlücken bei zwei DIGAS auf.
Offenbar prüfte das BfArM Anforderungen an die IT-Sicherheit bislang überwiegend anhand der Angaben des Herstellers. Dieser konnte einen beliebigen externen Dienstleister beauftragen, einen sogenannten Penetrationstest durchzuführen, der das unerlaubte Eindringen in ein IT-System simuliert. Ob bei diesen Sicherheitstests nicht einige Augen zugedrückt werden, konnte das BfArM nicht überprüfen. Immerhin tut sich jetzt etwas: Ab August 2024 müssen App-Entwickler durch spezielle Zertifikate nachweisen, dass ihre Anwendungen datenschutzkonform sind.

Cochrane Review: Nutzen der Smartphone-Apps gegen Adipositas nicht bewiesen

Mit Hilfe von Apps wie Oviva direkt und Zanadio sollen Betroffene einen selbstverantwortlichen Umgang mit dem krankhaften Übergewicht erlernen und Kompetenzen zum Selbstmanagement aufbauen. Das Ziel sind Lebensstiländerungen in den drei Bereichen Verhalten, Bewegung und Ernährung, konkret umgesetzt durch interaktive Lerninhalte und das Setzen von persönlichen Zielen.

Um herauszufinden, ob das funktioniert, werteten die Cochrane-Autor*innen die in den Studien berichteten Auswirkungen auf folgende Parameter aus:

  • Body-Mass-Index,
  • Körpergewicht,
  • körperliche Aktivität,
  • kardio-respiratorische Fitness,
  • Einhaltung ernährungsbezogener Empfehlungen (z.B. mediterrane Diät) und
  • Lebensqualität.

Die Ergebnisse des Reviews sind enttäuschend [2]: Die verfügbare Evidenz zeigt keinen Nutzen von Smartphone-Applikationen für Jugendliche und Erwachsene mit Übergewicht oder Fettleibigkeit auf. Einbezogen wurden 18 Studien mit 2703 Personen. Die vorliegenden Vergleiche von Apps mit entweder keiner oder einer minimalen Intervention (bzw. anderen Methoden der Gewichtsreduktion, die den Betroffenen in der Versorgungsrealität offen standen) oder mit einem persönlichem Coaching zeigen keine konsistenten Effekte, die für den Einsatz der Apps sprechen würden. Für Jugendliche gibt es kaum Daten (nur 2 Studien).

Zudem fehlen Daten zu den letztlich relevanten langfristigen Effekten. Nur fünf der Studien umfassten einen Zeitraum von 6 bis 8 Monaten und nur vier Studien hatten einen Untersuchungszeitraum von 12 Monaten. Generell zeigen Studien mit schwer Übergewichtigen, die mit konservativen Maßnahmen abnehmen wollen, dass nach einem anfänglichen Abnehmerfolg das Gewicht meist schnell wieder ansteigt.


Smartphone-App gegen Adipositas
Screenshots der App „Oviva Direkt für Adipositas“ [aus 4]

Wesentliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Apps

Ein Gesamtfazit ist jedoch dadurch erschwert, dass sich die einzelnen Apps in ihren Inhalten und Komponenten stark unterscheiden. So beinhalten manche Strategien zur Stressbewältigung, Techniken zur Stimulus- und Impulskontrolle sowie Methoden zur Regulation von Emotionen, andere zielen auf Selbst-Monitoring und -Management und Wissensvermittlung ab. Ein möglicherweise wichtiger Unterschied ist auch die Frage, ob persönlicher Kontakt oder Feedback möglich waren, z.B. in Form von Chats oder einem Erstgespräch mit Ernährungsexpert*innen.

Eine beträchtliche Zahl der in den eingeschlossenen Studien untersuchten Apps wurden nach Abschluss der Studie nicht auf den Markt gebracht. Nur eine der in dem Review untersuchten Apps („zanadio“; deutsche Studie über 12 Monate [3]) findet sich im Verzeichnis der verschreibungsfähigen DIGAS des BfArM.

Die 34 laufenden Studien zu Adipositas-Apps deuten auf ein anhaltendes Interesse am Thema hin, wobei in den nächsten zwei Jahren neue Veröffentlichungen zu erwarten sind. Der Trend geht zu stärker personalisierten Apps mit anpassungsfähigen Algorithmen („Just-in-time adaptive interventions“).

Smartphone-Apps gegen Adipositas bieten Chancen, stecken jedoch noch in den Kinderschuhen

Es ist und bleibt schwer, bei Adipositas durch Lebensstiländerungen Gewicht zu verlieren und diese Gewichtsabnahme auch dauerhaft zu stabilisieren. Apps können diesen Weg begleiten, Verhaltensänderungen erfordern jedoch – mit oder ohne App – vor allem Einsatz und Geduld. Das sollte den Anwendenden im Vorfeld klar sein. In den deutschen Studien brach rund jeder Fünfte die Anwendung der App vorzeitig ab [3, 4].

Auch der Barmer-Arztreport 2024 kommt zu dem Schluss, dass der App-Einsatz aufgrund falscher Erwartungen und zu wenig Detailwissen oft vorzeitig abgebrochen wird. In einer Umfrage der AOK bewerten 58 Prozent der Befragten digitale Gesundheitsanwendungen zwar als sinnvolle Ergänzung ihrer Therapie. Allerdings bezeichneten nur 26 Prozent der Befragten die verschriebene Anwendung als für sie „unverzichtbar“.

Smartphone-Apps könnten einer digital versierten Zielgruppe als Unterstützung im herausfordernden Prozess der Lebensstilumstellung bei Adipositas dienen. Sie haben den Vorteil, dass sie zeitlich flexibel eingesetzt werden können. Ihr Einsatz sollte aber ärztlich begleitet werden, beispielsweise im Rahmen des neuen Disease-Management-Programms „Adipositas“.


Text: Dr. Birgit Schindler

Quellen

[1] NCD Risk Factor Collaboration (NCD-RisC). Worldwide trends in underweight and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population-representative studies with 222 million children, adolescents, and adults. Lancet 2024; 403: 1027-1050.

[2] Metzendorf M-I, Wieland LS, Richter B. Mobile health (m‐health) smartphone interventions for adolescents and adults with overweight or obesity. Cochrane Database of Systematic Reviews 2024, Issue 2. Art. No.: CD013591. DOI: 10.1002/14651858.CD013591.pub2

[3] Roth L, Ordnung M, Forkmann K, Mehl N, Horstmann A. A randomized-controlled trial to evaluate the app-based multimodal weight loss program zanadio for patients with obesity. Obesity (Silver Spring). 2023; 31: 1300-1310.

[4] Gemesi K, Winkler S, Schmidt-Tesch S, Schederecker F, Hauner H, Holzapfel C. Efficacy of an app-based multimodal lifestyle intervention on body weight in persons with obesity: results from a randomized controlled trial. Int J Obes 2024; 48: 118-126.

Titelbild: adobe.stock/amfer75

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