Ältere Frau schlaflos im Bett

Wenn die Nacht zum Tag wird: Was tun gegen Schlafstörungen bei Demenz?

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Schlafstörungen gehören zum Alltag von Menschen mit Demenz. Doch was dagegen tun? Wir stellen Cochrane-Evidenz vor, die mögliche Behandlungsansätze untersucht hat.

Angehörige und Pflegende können davon ein Lied singen: Ältere Menschen mit Demenz wälzen sich oft nachts im Bett, wandern orientierungslos durch das Haus oder über Stationsflure und stürzen im schlimmsten Fall unbeobachtet. Tagsüber leiden sie dann an Schläfrigkeit und sind abermals unruhig und agitiert, sobald der Abend anbricht.

Rund 25 – 35 % aller Menschen mit Demenz leiden an Schlafstörungen – für Angehörige und Pflegende, als auch für die Demenz-Patient*innen selbst ist dies eine der größten Belastungen im Alltag. Tatsächlich sind neuropsychiatrische Syndrome der häufigste Grund für eine Einweisung in institutionelle Pflegeeinrichtungen. Dazu zählen neben Agitation und verstärktem Bewegungsdrang (man spricht auch von Hin- bzw. Weglauftendenzen) eben auch Schlafstörungen.

Das ist Anlass genug, sich Gedanken über mögliche Therapiemaßnahmen zu machen. In diesem Beitrag soll es also weniger um Behandlungsmöglichkeiten der Demenz an sich gehen. Vielmehr interessiert uns die symptomatische Therapie von Schlafstörungen bei Demenz-Patient*innen.

Fakt ist: Zurzeit gibt es keine deutsche Leitlinienempfehlungen für Schlafstörungen bei Demenz . Doch es gibt eine Reihe von Ansätzen, die sich grob in medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungen einteilen lassen. Zu beiden Behandlungsformen haben Cochrane-Autor*innen die Evidenz aus wissenschaftlichen Studien zusammengefasst und bewertet.

1) Medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen bei Demenz

Medikamente sind eine beliebte und zugegebenermaßen bequeme Möglichkeit, die Kliniken, Praxen und Pflegeeinrichtungen häufig einsetzen. Doch wie steht es um die Wirksamkeit von Medikamenten und vor allem um deren Nebenwirkungen bei Demenz-Patient*innen?

Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2018 untersucht die Wirkung des Wirkstoffs Valproat auf agitiertes Verhalten bei Demenz-Patient*innen. Bei Valproat handelt es eigentlich um ein Antikonvulsivum, das primär zur Anfallsprophylaxe von Epilepsie-Patient*innen eingesetzt wird. Die Autor*innen fanden lediglich zwei randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), die nahelegen, dass Valproat nach 6-wöchiger Einnahme wahrscheinlich nur einen geringen oder gar keinen Effekt auf das Ausmaß der Agitation hat. Außerdem ist das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder Harnwegsinfektionen im Vergleich zu einem Placebo-Medikament möglicherweise verdoppelt. Insgesamt kommen die Autor*innen zu dem Schluss, dass Valproat zur Behandlung von Agitation bei Demenz-Patient*innen ungeeignet und weitere Forschung in diesem Gebiet nicht gerechtfertigt sei.

Ein umfassenderer Cochrane Review aus dem Jahr 2020 untersucht die Wirkungen verschiedener Medikamentenklassen auf die Schlafqualität von Menschen mit Demenz. Dabei handelt es sich in sechs Studien um das „Schlafhormon“ Melatonin bzw. dessen Rezeptor-Agonist Ramelteon. Eine Studie untersuchte Trazodon, ein sedierendes Antidepressivum, und zwei weitere Studien die neuen Orexin-Antagonisten Suvorexant und Lemborexant. Orexin ist ein Neuropeptid, das als „Wachhormon“ bekannt ist. Orexin-Antagonisten blockieren dessen Andockstellen im Gehirn, was wiederum schlaffördernd wirken soll.

Eine Wunderpille gibt’s noch nicht

Die Evidenz für Melatonin- und Ramelteon-haltige Präparate bei Patient*innen mit moderater bis schwerer Demenz ist nur von geringer Vertrauenswürdigkeit (nach GRADE), die wiederum nur auf eine geringe oder gar keine Wirksamkeit schließen lässt.

Trazodon hingegen verbessert möglichweise die gesamte nächtliche Schlafenszeit und die Schlafeffizienz. „Möglicherweise“, weil auch hier die Evidenz nur von geringer Vertrauenswürdigkeit ist. Grund ist vor allem die geringe Studiengröße von nur 30 Teilnehmenden. Die Untersuchung der Orexin-Antagonisten anhand von 2 RCTs mit 323 Teilnehmenden legt auf Basis von immerhin moderat vertrauenswürdiger Evidenz positive Effekte nahe. Im Durchschnitt schliefen die Studienteilnehmenden nachts 28 Minuten länger und verbrachten nach dem ersten Einschlafen 15 Minuten weniger Zeit im Wachzustand. Es gab auch Evidenz für einen geringfügigen Anstieg der Schlafeffizienz , die Studienteilnehmer*innen verbrachten also insgesamt weniger Zeit wach im Bett. Auf die Anzahl der Wachphasen hatten die Orexin-Antagonisten jedoch keine Auswirkungen.

Achtung: Interessenkonflikte!

Die randomisiert kontrollierte Studie zum Wirkstoff Suvorexant wurde von dem entsprechenden Pharmaherstellers Merck Sharp & Dohme (MSD) finanziert. Acht der neun beteiligten Autor*innen sind oder waren MSD-Mitarbeiter*innen. Eine Finanzierung durch die pharmazeutische Industrie bei Zulassungsstudien von neuen Medikamenten ist per se nicht ungewöhnlich. Problematisch wird es jedoch bei der randomisiert kontrollierten Studie zu Lemborexant: Sie wurde von dem japanischen Pharmaunternehmen Eisai gesponsert und die protokollierten Studienendpunkte nur unvollständig und ohne Peer-Review-Verfahren publiziert. Einschränkend kommt außerdem hinzu, dass beide Präparate momentan nur auf dem amerikanischen Markt zugelassen sind.

Immerhin ergaben die vier der insgesamt neun Studien, die Nebenwirkungen systematisch erfassten, keinen Hinweis auf ein häufigeres Auftreten von unerwünschten Wirkungen in den Studiengruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen.

Zusammenfassend müssen wir feststellen, dass die Studienlage zur Wirkung von Medikamenten auf die Schlafqualität von Demenz-Patient*innen unzureichend ist. Es bedarf hier mehr und besserer Forschung, die frei von finanziellen Interessenskonflikten sein sollte, um Empfehlungen für die Praxis ableiten zu können.

2) Nicht‐pharmakologische Interventionen bei Schlafstörungen von Menschen mit Demenz

Eine Alternative zu Medikamenten können sogenannte nicht-pharmakologische Interventionen sein. Deren Nutzen und Schaden untersucht ein eben erst veröffentlichter Cochrane Review. Konkret handelt es sich bei den untersuchten nicht-pharmakologischen Interventionen um:

  • den Einsatz einer Lichttherapie
  • Interventionen zur Steigerung von körperlichen und sozialen Aktivitäten
  • Instruktionen für pflegende Angehörige
  • eine Einschränkung des Tagesschlafs
  • eine langsame Rückenmassage
  • eine transkranielle Elektrostimulation
  • multimodale Interventionen, die mehrere der genannten Elemente vereinen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Evidenz zur Lichttherapie so wenig vertrauenswürdig ist, dass man daraus keinerlei Aussagen ableiten kann. Auch die wenig vertrauenswürdige Evidenz für einen eingeschränkten Tagesschlaf, Rückenmassagen und die transkranielle Elektrostimulation legt nahe, dass es nur einen sehr geringen bis keinen Unterschied in der Schlafqualität zwischen Interventions- und Kontrollgruppe gibt. Körperliche und soziale Aktivitäten hingegen haben möglicherweise das Potential die Gesamtschlafdauer und die Schlafeffizienz geringfügig zu verbessern. Auch multimodale Interventionen zeigen nur geringfügige Effekte, während Instruktionen für Pflegende die Gesamtschlafdauer moderat steigern können. Konkret handelte es sich bei den Instruktionen um individuelle Fallbesprechungen, in denen die Schlafenszeit geplant wurde oder schlaffördernde Maßnahmen besprochen wurden.

Studien kranken an methodischen Schwächen

Gemein ist allen Interventionen, dass die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nur gering ist, u.a. weil die meisten Studien methodische Schwächen haben. Deshalb könnten die Behandlungseffekte in den Studien verzerrt sein und von ihrem „wahren“ Effekt abweichen.

Obwohl immerhin 19 randomisierte kontrollierte Studien eingeschlossen werden konnten, lässt sich gegenwärtig keine einzelne oder multimodale Maßnahme eindeutig als geeignet für eine breite Anwendung identifizieren.

In Anbetracht der unsicheren Evidenzlage ist es also gar nicht so verwunderlich, dass es bisher keine Leitlinienempfehlungen für Schlafstörungen bei Demenz gibt. Umso größer ist der Bedarf an weiteren randomisiert kontrollierten Studien, die Schlafstörungen bei Demenz-Patient*innen untersuchen. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass in der vom Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten prospektiven MoNoPol-Sleep-Studie die Wirksamkeit eines nicht-medikamentösen Maßnahmenpakets zur Vermeidung von Schlafproblemen bei Menschen mit Demenz in Pflegeheimen untersucht werden soll. Schließlich wird die Frage nach wirksamen Behandlungsmöglichkeiten in Zukunft angesichts des demographischen Wandels immer relevanter werden.


Text: Timo Brugger ist Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Cochrane Deutschland

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