Tiergestützte Therapie für ältere Menschen

Wie wirksam ist eine Therapie mit Tieren für ältere Menschen

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Sarah Chapman von Cochrane UK schaut sich in diesem Blog-Beitrag zwei aktuelle systematische Reviews mit Evidenz zur Wirksamkeit einer tiergestützten Therapie für ältere Menschen an. Studienteilnehmende waren Menschen in Pflegeheimen und Tagespflegeeinrichtungen, inklusive Menschen mit Demenz.

Meine Mutter war noch nie so wirklich eine „Tierliebhaberin“. Deshalb war ich sehr überrascht darüber, wie sehr sie sich freute, als ich ihr vor ein paar Jahren ein mikrowellentaugliches Lamm-Stofftier schenkte. Als ich es ihr schenkte wusste ich, dass ihr zumindest die Wärme des Tierchens gefallen würde. Aber ich hätte mir niemals erträumen lassen, dass meine Mutter mit „Gorgeous George“ (dem schönen Georg) einmal sprechen, ihn streicheln und ihn als ihren guten Freund bezeichnen würde. Das war einfach so untypisch für sie. Oft kommen bestimmte Charakterzüge im Alter ja verstärkt zum Vorschein. Manchmal scheinen sich Charakterzüge aber auch komplett zu wandeln, vor allem wenn Demenz ins Spiel kommt. Für Tiernarren wie mich, die nichts mehr mag als mit meiner Katze zu kuscheln, sind Tiere einfach immer eine Bereicherung. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich das jemals wandeln könnte.

Das allgemeine Interesse an tiergestützter Therapie für Menschen mit physischen und/oder psychischen Bedürfnissen wächst. Roboter- und Spielzeugtiere bieten hier eine Alternative zu lebendigen Tieren. Eine überraschende Vielfalt von Tieren wird genutzt, um Menschen therapeutisch zu unterstützen. Hier spielt vor allem der Faktor „emotionale Nähe“ eine große Rolle (sogar ein Truthahn soll Berichten zufolge auf einen Flug mitgenommen worden sein, anstatt als Gemüsebeilage zu dienen). Aber was sagt die Evidenz zur allgemeinen Wirksamkeit der tiergestützten Therapie, sowohl zu ihrem Nutzen als auch zu möglichen Risiken? In einem Leitartikel im British Medical Journal stellen Elena Ratschen und Trevor Sheldon von der University of York fest, dass der therapeutische Einsatz von Tieren in den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens mittlerweile weit verbreitet ist und dass „das Gesundheits- und Sozialwesen im Allgemeinen einen evidenzbasierten Ansatz für Interventionen verwendet. Tiergestützte Interventionen sind hier jedoch bisher eine bemerkenswerte und wohl auch rätselhafte Ausnahme.“

Ich habe mir zwei neue systematische Reviews angeschaut, die im Jahr 2019 veröffentlicht wurden. Zuerst stelle ich einen Cochrane Review vor, der die Auswirkungen von tiergestützter Therapie auf Menschen mit Demenz untersucht. Genauer gesagt wurde in diesem Review der Einsatz von trainierten Tieren in Therapiesitzungen begutachtet.

Tiergestützte Therapie für Menschen mit Demenz

Die Evidenz dieses Cochrane Reviews stammt aus neun kleinen, randomisierten kontrollierten Studien, an denen 305 Menschen mit Demenz in Pflegeheimen und an Tagesstätten in Europa und den USA teilnahmen. Alle bis auf eine Studie verglichen die tiergestützte Therapie mit der Standardversorgung bei Demenz oder mit nicht-tiergestützten Aktivitäten. Die verbleibende Studie verglich den Einsatz von lebendigen Tieren mit Roboter- und Stofftieren. Die Studien wiesen viele Unterschiede auf, z. B. bezüglich der Länge und Häufigkeit der Therapiesitzungen. Auch wie die Ergebnisse (wie z. B. Depression) gemessen wurden, variierte. Diese und andere Einschränkungen der Evidenz bedeuten, dass wir nicht in der Lage sind, klare Aussagen bezüglich der Ergebnisse zu treffen.

Die Autoren:innen des Reviews fanden heraus, dass Menschen mit Demenz, die eine tiergestützte Therapie erhalten, am Ende der Behandlung möglicherweise etwas weniger depressiv sind als Menschen, die eine Standardbehandlung oder Aktivitäten ohne Tiere erhalten. Es bleibt unklar, wie sich die tiergestützte Therapie auf andere Ergebnisse (wie z. B. innere Unruhe) auswirkt, und es gibt in keiner der Studien Informationen zur Sicherheit oder zu den Auswirkungen der Therapie auf die Tiere.

Tier-Roboter in Pflegeheimen

Der Einsatz von tierähnlichen Robotern vermeidet einige der Probleme, welche die tiergestützte Therapie mit lebendigen Tieren in Pflegeeinrichtungen mit sich bringt, wie z. B. Bedenken hinsichtlich Hygiene, Allergien und Tierschutz. Eine systematische Übersichtsarbeit eines Forschungsteams der Universität Exeter hat sowohl quantitative als auch qualitative Erkenntnisse zusammengetragen über die Auswirkungen von Tier-Robotern auf ältere Menschen (einschließlich Menschen mit Demenz) in Pflegeheimen, sowie auf Personal und Familienmitglieder. So war das Team in der Lage, die Auswirkungen der tiergestützten Therapie anhand von Zahlen (z. B. Veränderungen in den Ergebnissen eines Fragebogens zur Depression) und Erfahrungsberichten zu untersuchen.

In 15 der 19 Studien wurde die Roboter-Robbe PARO verwendet. Zwei Studien verwendeten Roboter-Katzen, JustoCat und NeCoRo (sieht aus wie meine Katze, nur etwas heller), eine Studie den (felllosen!) Roboterhund Aibo. Eine andere nutzte den Roboter-Teddy CuDDler – wohl nicht so tierähnlich, aber das Team entschied, dass er genug Eigenschaften mit der Robbe gemeinsam hatte, um einbezogen zu werden. Die Art und Weise, wie sie eingesetzt wurden, variierte stark von Studie zu Studie: Forscher:innen oder Therapeuten:innen leiteten entweder Einzel- oder Gruppensitzungen, oder die Bewohner:innen beschäftigten sich mit den Robotertieren, wie sie es wünschten. Die Sitzungen variierten auch in Länge, Häufigkeit und Zweck.

Wie beim oben genannten Cochrane Review bedeuten die Einschränkungen der quantitativen Evidenz, einschließlich der kurzen Dauer und geringen Größe der Studien sowie der fehlenden Nachbeobachtung der Studienteilnehmenden, dass viele Unsicherheiten bezüglich der Wirksamkeit der tiergestützten Therapie bestehen bleiben. Es gab einige Hinweise darauf, dass Roboter-Tiere eine positive Wirkung auf innere Unruhe haben könnten, aber die Auswirkungen auf andere Ergebnisse sind unklar.

Wir hoffen, dass mehr Studien durchgeführt werden, die die Evidenzbasis zur tiergestützten Therapie stärkt. Davon können diejenigen profitieren, die diese Art der Therapie in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen in Betracht ziehen. Die systematischen Reviews beleuchten den Stand des Wissens, indem sie dieses Wissen bündeln. Zudem zeigen sie die Lücken auf, die zukünftige Studien schließen sollten.

Erfahrungen der Bewohner:innen mit Tier-Robotern

Die Erfahrungen der Menschen, die in den qualitativen Studien erfasst wurden, geben einen Einblick in das Potenzial der tiergestützten Therapie. Sie berichten auch von den Möglichkeiten, wie ältere Menschen davon profitieren könnten. So wurden drei Themengebiete identifiziert:

  • Die Beschäftigung mit dem Roboter-Tier selbst – dazu gehörten Faktoren wie die Tatsache „sich um etwas kümmern zu können,“ die Möglichkeit „zu kommunizieren und sich auszutauschen“ sowie der Faktor „Unterhaltung“ allgemein.
  • Verbesserte zwischenmenschliche Interaktionen dank des Roboter-Tiers – Für einige Menschen waren die Tiere Auslöser für Gespräche und verbesserte soziale und zwischenmenschliche Kontakte, dem Personal und den Familien.
  • Wahrgenommene Auswirkung auf die Lebensqualität der Bewohner:innen – dazu gehörten Faktoren wie weniger Einsamkeit, mehr Freude und Spaß, erhöhtes Wohlbefinden und Sicherheit sowie verringerte verhaltensbezogene und psychologische Symptome der Demenz.

Die Studien zeigten allerdings auch, dass nicht jeder von der tiergestützten Therapie profitiert; einige Bewohner:innen waren desinteressiert, während andere negativ beeinflusst wurden – z. B. in Form von erhöhter Unruhe. Zudem konnten die individuellen Reaktionen von Mal zu Mal variieren. Die Autoren:innen des Reviews vermuten, dass die Vorgeschichte einer Person in Bezug auf Haustiere ebenfalls wichtig sein könnte.

Die qualitativen Studien berücksichtigten glücklicherweise auch die Erfahrungen von Personal und Familienmitgliedern. Dabei zeigten die vielfältigen und komplexen Erfahrungen ebenfalls sowohl positive als auch negative Aspekte. Die Studien deuten darauf hin, dass es wichtig ist, das Personal für eine tiergestützte Therapie zu schulen. Ebenso wichtig sei es, Erkenntnisse über die tiergestützte Therapie zu verbreiten.

Fazit

Zwei kürzlich erschienene systematische Reviews zeigen den Mangel an Evidenz zur Auswirkung der tiergestützten Therapie auf ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen, einschließlich auf Menschen mit Demenz. Die qualitative Evidenz eines dieser beiden Reviews bietet einen gewissen Einblick in den potenziellen Nutzen, die Risiken sowie die Herausforderungen der tiergestützten Therapie. Sie legt nahe, dass einige Menschen, wenn auch nicht alle, wahrscheinlich davon profitieren können. Der Einsatz von Roboter-Haustieren in der Therapie bietet eine Alternative zu lebendigen Tieren. Mehr Forschung zur Wirksamkeit beider Formen der tiergestützten Therapie ist jedoch erforderlich.

Text: Sarah Chapman

Übersetzt und adaptiert von Cochrane Deutschland.
Zum Originaltext: https://www.evidentlycochrane.net/pet-therapy/


Bild Sarah Chapman Cochrane UK

Sarah Chapman kümmert sich bei Cochrane UK um die Wissensvermittlung, insbesondere um den Blog „Evidently Cochrane“.


Dies ist der fünfte Artikel unserer Serie zur Gesundheit im Alter.

Hier alle verfügbaren Artikel der Serie:


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