Multiple Sklerose

Verlaufsmodifizierende Therapien bei MS – Recap der Cochrane Evidenz

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In diesem zweiten von drei Beiträgen zu Multipler Sklerose (MS) teilt die freiwillige Cochrane Übersetzerin Brita Fiess Fakten zu verlaufsmodifizierenden Therapien bei MS, die sie im Laufe ihrer Arbeit in Erfahrung gebracht hat. Sie berichtet über diese Therapieform, da sie der langfristigen Behandlung von MS dient und daher für alle Verlaufsformen von MS von Bedeutung ist.

Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, d.h. das Immunsystem des Körpers, das eigentlich dazu dienen soll, diesen vor Krankheitserregern zu schützen, richtet sich gegen den eigenen gesunden Körper. Verlaufsmodifizierende Therapien stellen eine der grundlegenden Therapieformen bei MS dar und wirken direkt auf das Immunsystem. Wie aussagekräftig ist die Evidenz bezüglich dieser Behandlungsform?

Die Ursache, weshalb sich bei MS das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet ist noch nicht abschließend geklärt. Hier sind neben genetischen Faktoren, Umwelteinflüsse, Vitamin-D-Mangel und die Ernährung im Gespräch.

Was jedoch sicher zu sein scheint, ist, dass sich bei MS die für die Immunabwehr des Körpers zuständigen B- und T-Zellen gegen die Substanz richten, die die Nervenfasern umhüllt, das so genannte Myelin. Das Myelin gewährleistet als Schutzhülle, dass die elektrischen Impulse im Nervensystem weitergeleitet werden. Der Angriff der B- und T-Zellen auf die Myelinhülle der Neuronen löst eine Entzündung aus und führt zu verschiedenen Symptomen. Das Auftreten eines oder mehrerer MS-Symptome, die über 24 Stunden hinaus bestehen, wird als Schub bezeichnet.

Verlaufsmodifizierende Therapie als MS-Therapie-Form

Die Behandlung von MS zielt auf verschiedene Ebenen: Neben der Schubtherapie, die auf die Behandlung eines akuten Schubs abzielt, und der symptomatischen Therapie, die zur Linderung von Symptomen eingesetzt wird, die durch die Entzündungsprozesse hervorgerufen werden, stellt die so genannte verlaufsmodifizierende Therapie eine der bedeutenden Therapiesäulen bei MS dar. Diese Behandlung wirkt auf die der Krankheit zugrundeliegenden Mechanismen, d.h. direkt auf das Immunsystem. Die verlaufsmodifizierende Therapie soll verhindern, dass die entzündlichen Veränderungen fortschreiten und Entzündungsherde zunehmen. Somit soll sie dem MS-PatientInnen zu einer möglichst lang andauernden beschwerdefreien bzw. beschwerdearmen Zeit verhelfen.

Wie funktioniert die verlaufsmodifizierende Therapie?

Bei der verlaufsmodifizierenden Therapie kommen so genannte Immunsuppressiva und Immunmodulatoren zum Einsatz. Letztere beeinflussen die Immunreaktion des Körpers und stellen eine Balance zwischen immunstimulierenden und immunhemmenden Mechanismen her. Typische medikamentöse Immunmodulatoren sind z.B. so genannte rekombinante, d.h. biotechnologisch hergestellte Beta-Interferone, die wie natürliche, im Körper vorkommende Botenstoffe das Immunsystem regulieren und im Gleichgewicht halten. Immunsuppressiva hingegen sind bspw. aus der Transplantationsmedizin bekannt, wo sie zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion dienen. Sie unterdrücken die Funktion der Immunzellen in einem Umfang, dass ihr Angriff auf die Neuronen verhindert wird.

Was sagt die Evidenz?

Cochrane-AutorInnen untersuchten in elf Reviews verschiedene verlaufsmodifizierende MS-Therapien.

Die beiden am häufigsten angewendeten verlaufsmodifizierenden MS-Therapien sind der Immunmodulator Glatirameracetat, ein synthetisches Eiweißmolekül, das dem Myelin ähnelt und die Entzündungsreaktion bei MS reduzieren soll, und die oben schon erwähnten immunmodulatorisch wirkenden Beta-Interferone. Die Wirksamkeit beider Maßnahmen wurde von Cochrane-AutorInnen in einem in 2016 aktualisierten Review untersucht. Dabei stellten sie fest, dass die beiden Therapien anscheinend ähnliche Wirkungen in Bezug auf Rückfälle und Progression haben, bzw., dass nur geringfügige Unterschiede bestehen. Die Qualität der Evidenz wurde als moderat eingestuft.

Tatsächlich wurde bei nur drei von elf Reviews die Qualität der eingeschlossenen Studien als „hoch“ eingestuft. Einer dieser Reviews untersuchte das Immunsuppressivum Alemtuzumab, einen in der MS-Therapie eingesetzten Antikörper, der die B- und T-Zellen zerstört. Der Review betrachtete diesen Wirkstoff im Vergleich zu einem subkutan (unter die Haut) verabreichten Beta-Interferon, Interferon-beta-1a. Dabei senkte Alemtuzumab das Risiko eines Rückfalls, verbesserte die Körperfunktion und schien das Gesamtrisiko für Nebenwirkungen nicht zu erhöhen. Die Cochrane-AutorInnen stellten jedoch bei ihrer Betrachtung auch fest, dass die Qualität der Evidenz für die wichtigsten Endpunkte, rückfallfreies Überleben, progressionsfreies Überleben und unerwünschte Ereignisse, sehr niedrig bis moderat sei.

Die anderen beiden Reviews (Immunmodulatoren und Immunsuppressiva bei Multipler Sklerose: Eine Netzwerk-Metaanalyse; Immunmodulatoren und Immunsuppressiva bei schubförmig remittierender multipler Sklerose: Netzwerk-Meta-Analyse) beinhalteten Netzwerk-Metaanalysen. Diese untersuchten die Wirksamkeit und das Nutzen-Risiko-Profil von 15 bzw. 11 in der Behandlung von MS zum Einsatz kommenden Wirkstoffen auf der Basis mehrerer Studien (39 bzw. 44) an einer großen Anzahl von PatientInnen (25.113 bzw. 17.401). Hierbei zeigte sich, dass einige Wirkstoffe (Interferon-β-1a und -1b, Glatirameracetat, Natalizumab, Mitoxantron) Schüben und dem Fortschreiten einer Behinderung bei Personen mit schubförmiger MS vorbeugen können.

In beiden Reviews zeigte sich ein anderes Problem, das die Aussagekraft von Studien zu MS-Medikamenten beeinträchtigt: die kurze Studiendauer. Die AutorInnen dieser – und auch anderer – Reviews bemängeln, dass diese häufig zu kurz (meist nur 24 Monate) ist, um die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit der Präparate ermitteln zu können. Dies ist insbesondere bei einer chronischen Krankheit wie MS von besonderer Bedeutung, da die PatientInnen die Medikamente über lange Zeiträume anwenden müssen. Beide oben genannten Netzwerk-Metaanalysen sowie der Review zu Glatirameracetat und Beta-Interferonen sind auch auf andere Weise exemplarisch – bei diesen wiesen die AutorInnen darauf hin, dass die zugrundeliegenden Studien von der pharmazeutischen Industrie finanziert wurden. Die Unabhängigkeit ist somit möglicherweise nicht gewährleistet.

Weitere Studien werden benötigt

In Anbetracht der besonderen Rolle, die der verlaufsmodifizierenden Therapie als Möglichkeit zur Verlängerung des beschwerdefreien Zeitraums für die MS-PatientInnen zukommt, sind die Ergebnisse der AutorInnen eher ernüchternd. Unabhängige Studien, qualitativ hochwertige Evidenz und vor allem Studien zur Sicherheit und Langzeitwirksamkeit von Immunsuppressiva und Immunmodulatoren werden benötigt, damit sich MS-PatientInnen objektiv über die für sie so wichtigen Präparate informieren können.

Text: Brita Fiess

11 Cochrane Review-Zusammenfassungen zu MS:

1.„Immunmodulatoren und Immunsuppressiva bei schubförmig remittierender multipler Sklerose: Netzwerk-Meta-Analyse“
2. „Immunmodulatoren und Immunsuppressiva bei Multipler Sklerose: Eine Netzwerk-Metaanalyse“
3. „Ein Vergleich der Wirksamkeit und Sicherheit der zwei häufigsten Therapien für Personen mit Multipler Sklerose (MS)“
4. „Beta-Interferon bei sekundär progredienter Multipler Sklerose“
5. „Daclizumab bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose“
6. „Laquinimod bei Multipler Sklerose“
7. „Teriflunomid bei Multipler Sklerose“
8. „Rituximab bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose“
9. „Fingolimod bei rezidivierend-remittierender multipler Sklerose“
10. „Alemtuzumab bei Multipler Sklerose“
11. „Mycophenolat-Mofetil bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose“

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