Logo 30 Jahre Cochrane

Die Cochrane Collaboration wird 30!

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Vor 30 Jahren wurde in Oxford die Cochrane Collaboration gegründet. Zum runden Geburtstag werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Organisation, der wir inzwischen mehr als 9000 Cochrane Reviews verdanken.

Es war ein heiterer Herbsttag Mitte Oktober 1993, als in Oxford eine Gruppe von 77 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus elf Ländern zusammenkam, um nicht weniger als eine kleine Revolution in der Medizin anzuzetteln. Das Ziel der verschworenen Truppe um den englischen Arzt Iain Chalmers war es, die Medizin endlich auf eine solide Basis aus Evidenz zu stellen. Denn weite Teile der medizinischen Praxis standen damals auf ausgesprochen wackeligen Füßen. Die Expertenmeinung zählte oft mehr als wissenschaftliche Studien – wenn es diese überhaupt gab.

Die Geburtsstunde der Cochrane Collaboration

Die Anwesenden waren entschlossen, dies zu ändern. Ihr Plan: Die Schaffung eines internationalen, unabhängigen Forschungsnetzwerks, das dabei helfen sollte, die Medizin auf ein möglichst solides Fundament aus der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz zu stellen. Auch das Mittel der Wahl für diesen Zweck war klar: Die Systematische Übersichtsarbeit. Denn mit ihrer Hilfe lässt sich aus der oft unübersichtlichen Studienlage zu einer Fragestellung der aktuelle Stand des Wissens herausdestillieren.

Gruppenfoto der Teilnehmenden des ersten Cochrane Colloquiums 1993

Damit das Kind einen Namen hat

Fehlte nur noch ein Name für die neue Organisation. Doch auch der war schnell gefunden: Namenspate sollte Archibald Cochrane sein, ein erst fünf Jahre zuvor verstorbener schottischer Epidemiologe (siehe Kasten). Er hatte sich für die evidenzbasierte Medizin eingesetzt, lange bevor es diesen Begriff gab. So hatte er schon 1979 das Fehlen „kritischer Zusammenfassungen aller relevanten randomisierten kontrollierten Studien“ für die verschiedenen Fachgebiete der Medizin bemängelt und damit auch das Prinzip der Systematischen Übersichtsarbeit skizziert. Und so wurde das Treffen 1993 zum ersten von mittlerweile 27 Cochrane Colloquien und zur Geburtsstunde der Cochrane Collaboration. Deren zweiter Namensteil sollte die für die großen Ziele notwendige Kooperation in den Vordergrund stellen, als Gegenentwurf zum sonst in der Wissenschaft oft vorherrschenden Konkurrenzdenken.

Archibald L. Cochrane
beenhere

Wer war Archie?

Das internationale Netzwerk Cochrane hat seinen Namen vom schottischen Arzt und Wissenschaftler Archibald Leman Cochrane, der als einer der Begründer der evidenzbasierten Medizin gilt. Wer war dieser Mann?
Archie wird 1909 in Schottland geboren und studiert in Cambridge, London und Wien, wo er fließend Deutsch lernt. 1935 meldet er sich freiwillig für den Sanitätsdienst auf Seiten der Antifaschisten im spanischen Bürgerkrieg. 1940 zieht er dann als Armeearzt in den zweiten Weltkrieg, gerät allerdings schon 1941 auf Kreta in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Bereits in seinem ersten Kriegsgefangenenlager in Saloniki führt Cochrane seine erste randomisierte kontrollierte Studie durch. Sie soll zeigen, ob die Gabe von Hefe gegen die unter den Gefangenen grassierenden Hungerödeme helfen kann. Die Hefe hilft tatsächlich und Cochrane schafft es mit Hilfe seiner guten Deutschkenntnisse, die Lagerleitung davon zu überzeugen, den Hungernden nicht nur Hefe, sondern auch etwas größere Essensrationen bereitzustellen.
Später durchläuft Archie mehrere Lager in Deutschland, darunter auch das Lager Elsterhorst bei Hoyerswerda, in dem er für die ärztliche Versorgung von Tausenden von zumeist französischen Mitgefangenen verantwortlich war. Von dem Lager steht heute nur noch Cochranes ehemaliger Wirkungsort, die Lazarett-Baracke, in der eine Ausstellung des Stadtmuseums Hoyerswerda untergebracht ist. Diesem unscheinbaren, aber geschichtsträchtigen Gebäude droht aktuell der Abriss, der hoffentlich noch verhindert werden kann.
Seine Erfahrungen als Arzt in insgesamt vier Gefangenenlagern prägen Cochrane sehr. Und sie begründen auch seine Ansicht, dass es vielen damals gängigen Behandlungen an guten Wirksamkeitsnachweisen fehle. Nach dem Krieg wird Cochrane zu einem der prominentesten Fürsprecher für das, was wir heute „evidenzbasierte Medizin“ nennen. Als Epidemiologe führt er selbst zahlreiche Studien durch, etwa zu Staublungen bei walisischen Kohleminenarbeitern.
Cochrane setzt sich zudem für systematische Übersichtsarbeiten auf Basis vorhandener Studienergebnisse ein. Sie sollen der bis heute verbreiteten Unsitte entgegenwirken, sich aus dem Kuchen der Evidenz zu einem Thema nur jene Rosinen heraus zu picken, die ins jeweilige Konzept passen. Zudem tritt er in seinem Heimatland Großbritannien für eine gerechtere medizinische Versorgung ein, in der gute evidenzbasierte Behandlungen für alle kostenlos verfügbar sein sollten.
Archibald Cochrane stirbt am 18. Juni 1988. Als sich fünf Jahre später in Oxford eine kleine Gruppe Gleichgesinnter trifft, um die Produktion von systematischen Reviews besser zu organisieren, ist schnell ein passender Name für die neue Organisation gefunden: The Cochrane Collaboration.

Cochrane: Der „Goldstandard“ für Evidenz

Die Gründung der Cochrane Collaboration (oder kurz Cochrane) war ein bahnbrechender Moment in der Geschichte der medizinischen Forschung. Denn obwohl es auch schon vorher Übersichtsarbeiten gab, setzte das Netzwerk von Anfang an auf höchste Qualitätsstandards für systematische Reviews. Schnell wurde die Cochrane Collaboration zu einer weltweit angesehenen Quelle für hochwertige und vertrauenswürdige Evidenz und die von Cochrane etablierten und stetig weiterentwickelten Methoden zur Erstellung systematischer Reviews zum „Goldstandard“ der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung – nachzulesen im legendären „Cochrane Handbook of Systematic Reviews of Interventions“.

Das Herz der Organisation ist bis heute die Cochrane Library, über die sämtliche Cochrane Reviews veröffentlicht werden. Zu Beginn war diese Datenbank noch auf großen Floppy-Discs zu finden, dann auf CD-ROM. Natürlich ist sie längst online unter www.cochranelibrary.com verfügbar. Die „CLIB“ enthält inzwischen mehr als 9.000 Cochrane Reviews, die regelmäßig auf den aktuellen Stand der Evidenz gebracht werden.

Global denken – lokal handeln

30 Jahre nach den bescheidenen Anfängen als „Grasroots-Movement“ unter ein paar verschworenen Mediziner*innen sind aus den 77 Gründungsmitgliedern weltweit Zehntausende von Wissenschaftler*innen, Gesundheitsfachleuten, Patient*innen und anderen Unterstützer*innen geworden, die maßgeblich zur Arbeit von Cochrane und einem steten Strom neuer Reviews beitragen. In über 50 Ländern gibt es zudem nationale Vertretungen, zu denen auch Cochrane Deutschland in Freiburg gehört. Als nationales Zentrum hat Cochrane Deutschland vor allem die Aufgabe, die in Cochrane Reviews zusammengeführte und kritisch bewertete Evidenz allen zugänglich zu machen, die sie benötigen – vom Betroffenen und Ärzt*innen bis hin zu politischen Entscheidern. Die deutsche Vertretung setzt sich auch für die Nutzung dieser Evidenz in der Praxis und die Vermittlung des nötigen wissenschaftlichen Grundverständnisses ein. Zudem unterstützt das Team Autor*innen bei der Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten, beispielsweise durch eine Vielzahl von Workshop-Angeboten.

Masse statt Klasse?

In den 30 Jahren der Cochrane Collaboration gab es große Erfolge. So sind Cochrane Reviews heute fast selbstverständlich ein entscheidender Teil der Basis für medizinische Leitlinien in aller Welt, so auch jenen der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Doch es gab auch Herausforderungen. Dazu zählt beispielsweise die inflationäre Vermehrung systematischer Reviews außerhalb der Cochrane Library. Während die Gesamtzahl der jährlich veröffentlichten systematischen Reviews in den 1990er Jahren noch in der Größenordnung von 500 lag (ein Großteil davon stammte von Cochrane), ist diese Zahl heute auf mehr als 42.000 angewachsen – pro Jahr! Aktuell machen Cochrane Reviews nur noch einen Bruchteil (unter 1 %) dieser Massenproduktion aus.

Cochrane in 30 Jahren

Doch mehr Reviews sind nicht automatisch besser. Das Problem: Eine beträchtliche Anzahl der heutigen Review-Produktion außerhalb von Cochrane ist redundant, klinisch wenig nützlich und methodisch mangelhaft. Cochrane Reviews sind zwar auch nicht unfehlbar. Was die methodische Qualität angeht, ragen sie aber aus dieser Flut von Publikationen deutlich heraus. Damit dies auch so bleibt, plant Cochrane auf internationaler Ebene eine Reihe von Veränderungen, die nun schrittweise umgesetzt werden. Ziel ist es, die Speerspitze bei der Produktion hochwertiger und vertrauenswürdiger systematischer Reviews zu bleiben – auch für die nächsten 30 Jahre.


Weitere Informationen zum Jubiläum (auf Englisch)

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