Mangelernährung im Krankenhaus: Unappetitliches Essen

Mangelernährung im Krankenhaus

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Verkochtes Gemüse, zähes Tiefkühlschnitzel, trockenes Graubrot – Krankenhausessen hat keinen guten Ruf. Tatsächlich ist es auch ernährungsmedizinisch oft kaum geeignet, Patient*innen schnellstmöglich wieder auf die Beine zu bringen. Das soll sich mit der anstehenden Krankenhausreform ändern. Unsere Gastautorin Eva Kiesswetter hat sich im Rahmen eines Reviews genauer mit dem Thema Mangelernährung im Krankenhaus beschäftigt.

Krankenhäuser sollen eine gesundheitsförderliche, schmackhafte und nachhaltige Verpflegung sowie eine adäquate ernährungsmedizinische Versorgung anbieten. Klingt trivial, ist im Alltag deutscher Krankenhäuser gegenwärtig aber nur schwer umsetzbar. Denn die entsprechenden Leistungen werden oft nicht ausreichend vergütet.

Im Zuge der aktuell laufenden Krankenhausreform wurde daher auch die Forderung nach einer verbesserten Ernährung im Krankenhaus laut. Im April wendete sich ein Bündnis von 25 medizinischen Fachgesellschaften in einer Stellungnahme an die Politik. Darin machen die Fachleute konkrete Vorschläge zur Stärkung der Ernährungsmedizin, unter anderem durch routinemäßige Screenings auf Mangelernährung, evidenzbasierte ernährungstherapeutische Maßnahmen, die Einrichtung interprofessioneller Ernährungsteams und bessere ernährungsmedizinische Kompetenz an deutschen Kliniken durch eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung. Im Juni 2023 fand dazu ein Expertengespräch des Gesundheitsausschusses des Bundestags statt. Aus diesem Anlass wollen wir einen Blick auf die Evidenz zum Thema werfen.

Was ist Mangelernährung und ist sie in Krankenhäusern überhaupt ein Problem?

Mangelernährung beschreibt ein Defizit an Energie und/oder bestimmten Nährstoffen, welches mit einer Abnahme von Fett- und Muskelreserven sowie Beeinträchtigungen körperlicher Funktionen, wie der Immunabwehr, einhergeht. Studien kommen zu dem Schluss, dass in Deutschland etwa jede*r vierte Krankenhauspatient*in mangelernährt ist oder ein erhöhtes Risiko für eine Mangelernährung aufweist. Auf geriatrischen Stationen sind sogar etwa die Hälfte der Patient*innen betroffen. Häufig besteht die Mangelernährung schon bei Einweisung. Doch auch der Krankenhausaufenthalt selbst kann dazu beitragen.

Mangelernährung hat gravierende Folgen. So zeigen Verlaufsanalysen für Patient*innen mit Mangelernährung unter anderem vermehrte Krankheitskomplikationen und häufigere Wiedereinweisungen ins Krankenhaus. Mangelernährung ist im Vergleich zu gut ernährten Patient*innen mit einem verstärkten funktionellen Abbau, einer verminderten Lebensqualität sowie einer erhöhten Sterberate verbunden.

Wie kann man Mangelernährung im Krankenhaus behandeln?

Klinische Leitlinien sehen als erste wichtige Schritte die Identifizierung betroffener Personen sowie eine detaillierte Beurteilung des Ernährungszustands vor. Das soll es ermöglichen, einen passenden Behandlungsplan zu erstellen. Das Spektrum möglicher Maßnahmen ist breit. Es erstreckt sich von Ernährungsberatung über die Anreicherung der Kost mit Energie und bestimmten Nährstoffen oder die Gabe von Trinknahrung bis hin zur künstlichen Ernährung, etwa durch eine Magensonde. Die Kulinarik des Krankenhausessens spielt in klinischen Leitlinien allerdings naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle.

Und was sagt die Evidenz zur Wirksamkeit von Ernährungstherapien?

Ein 2017 publizierter Cochrane Review mit 244 eingeschlossenen Studien untersuchte die Effekte der oben genannten Ernährungsmaßnahmen im Vergleich zu Kontrollgruppen ohne Intervention bei Krankenhauspatient*innen mit Risiko für Mangelernährung. Die Autor*innen fanden jedoch keine Hinweise auf Unterschiede hinsichtlich des Sterberisikos oder schwerwiegender Komplikationen. Allerdings schätzten sie die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE hierfür als niedrig ein. Noch schlechter (GRADE: sehr niedrig) fiel die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz in punkto Gewichtszunahme und Lebensqualität aus. Dies bedeutet, dass die tatsächlichen Effekte unter Umständen erheblich von den gefundenen abweichen können.

Gründe für das geringe Vertrauen in die Evidenz können beispielsweise die sehr unterschiedlichen Kriterien zur Bestimmung der eingeschlossenen Arbeiten für ein Mangelernährungsrisiko oder die subjektive Einschätzung einiger Endpunkte durch die Untersucher sein. Eine weitere generelle Limitation bei ernährungstherapeutischen Interventionen besteht darin, dass auch die Kontrollgruppen im Rahmen ihrer Standardversorgung Ernährungsmaßahmen erhalten können.

Der Review liefert also nur wenig robuste Evidenz zur Frage, welchen Nutzen Ernährungsmaßnahmen im Krankenhaus wirklich haben. Allerdings sind seit dem 2017 erschienenen Review einige große und gut gemachte randomisierte kontrollierte Studien publiziert worden. Besonders interessant ist hier die Schweizer EFFORT-Studie mit ihrem pragmatischen Ansatz, der sich dicht an der Versorgungsrealität orientiert. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine individualisierte Ernährungstherapie bei Krankenhauspatient*innen mit Mangelernährungsrisiko durchaus helfen kann, negative klinische Ereignisse und auch das Sterberisiko zu reduzieren. Zudem zeigt sie Vorteile für die subjektiv empfundene Lebensqualität. Neue Studien wie diese könnten die Ergebnisse des genannten Cochrane Reviews verändern. Allerdings ist unklar, wann eine aktualisierte Fassung dieses Reviews zu erwarten ist.

Neuer Cochrane Review in Arbeit

Bereits in Arbeit ist ein anderer Cochrane Review zum Thema aus unserer Arbeitsgruppe am Institut für Evidenz in der Medizin am Uniklinikum Freiburg. Für diese Übersichtsarbeit konzentrieren wir uns auf Studien zu Ernährungsinterventionen speziell bei älteren Krankenhauspatient*innen mit Risiko für Mangelernährung, also einer besonders vulnerablen Gruppe. Zudem verwenden wir strengere Kriterien für die Definition einer Mangelernährung. Dieser Review nutzt den Ansatz der Netzwerkmetaanalyse. Er erlaubt es, mehrere unterschiedliche Interventionsstrategien gleichzeitig zu vergleichen, um besonders geeignete Maßnahmen zu identifizieren. Zudem werden wir die Analyse auf Basis von individuellen Patient*innen-Daten durchführen. Dafür fragen wir bei den Autor*innen der eingeschlossenen Studien deren zugrundeliegende Datensätze an. Die Nutzung solcher Daten kann helfen, die Heterogenität der Ergebnisse zu reduzieren und deren Aussagekraft zu erhöhen. Allerdings dauert diese Vorgehensweise auch länger – der Review wird daher voraussichtlich erst im kommenden Jahr fertig.

Das Thema Mangelernährung im Krankenhaus ist aktuell jedenfalls in aller Munde, die Evidenzbasis wird zusehends breiter. Das dürfte dazu beitragen, dass das Krankenhausessen der Zukunft mehr dazu beiträgt, wieder gesund zu werden. Nicht unter den Tisch fallen sollte dabei der aus Patientensicht vielleicht wichtigste Indikator für eine gute Ernährung: der Geschmack.


Text: Eva Kiesswetter ist promovierte Ökotrophologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evidenz in der Medizin am Uniklinikum Freiburg

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