Atmung

COPD: Die Lunge frei atmen?

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Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen oder COPD beinträchtigen die Lungenfunktion und somit die Atmungskapazität von Betroffenen und bedürfen medikamentösen Therapien. Zusätzlich werden immer häufiger ‚alternative‘ Methoden angewandt, um medikamentöse Therapien zu unterstützen. Alternative Therapieformen sind oft darauf ausgerichtet, den Atemrhythmus zu verbessern oder die Atmung zu unterstützen. Was sagt die Evidenz zu einigen dieser Optionen?

Wir bleiben Mensch bis zum letzten Atemzug. Dies hat mein Vater mir zuletzt in einem seiner weisen Momente gesagt. Stimmt – und mehr noch: Es zeigt, wie bedeutsam der Atem für uns ist, und auch, wie verletzlich wir sein können, wenn der Atem stockt. Menschen, die unter chronisch obstruktiver Lungenerkrankung leiden, sind oft auch kurzatmig. Bei vorhandener Kurzatmigkeit oder Atemnot – auch als Dyspnoe bezeichnet – hat der Betroffene das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen und nicht tief genug einatmen zu können. In der Folge atmen sie sehr schnell und das Atmen erfordert eine große Anstrengung. Auf Grund dessen liegt es nahe zu vermuten, dass Atemtraining oder -Gymnastik auch eine positive Wirkung auf bestehende Kurzatmigkeit hat.

Längerer Atem dank Atemtherapie?

Schon im Jahr 2012 untersuchten Cochrane-Autoren*, ob Atemübungen Kurzatmigkeit verringern, die körperliche Leistungsfähigkeit stärken und das allgemeine Wohlbefinden von Menschen, die unter COPD leiden, verbessern können. Die untersuchten Atemübungen wurden über mehr als 15 Wochen durchgeführt und waren darauf ausgerichtet, den Atemrhythmus zu stärken.
Die Autoren schlossen 16 Studien mit 1233 Teilnehmern in ihrem Review ein. Die meisten Teilnehmer litten unter schwerer COPD. Die Atemübungen, die untersucht wurden, beinhalteten die Lippenbremse (durch ‚halb-geschlossene Lippen‘ ausatmen), die Zwerchfellatmung (tiefe Atmung in den Unterbauch hinein), Pranayama (Yoga-Atem-Übungen mit Fokussierung auf die Ausatmung), Änderung des Atemmusters, um die Atemfrequenz zu verlangsamen und die Ausatmungsphase zu verlängern, oder Kombinationen dieser Techniken. Signifikante unerwünschte Wirkungen konnten die Autoren nicht feststellen.

Die Ergebnisse zeigten, dass Pranayama-Übungen, die über drei Monate hinweg ausgeübt wurden, sowie die Zwerchfellatmung und auch Übungen mit der Lippenbremse die Distanz, die Betroffene innerhalb von sechs Minuten gehen konnten, signifikant verlängerten. Laut vier Studien konnte die Wegstrecke im Durchschnitt von 35 auf 50 Meter gesteigert werden. Die Wirkung von Atemübungen auf Kurzatmigkeit und generelles Wohlbefinden waren allerdings nicht eindeutig.
Wenn Atemübungen zusätzlich zu anderen körperlichen Übungen angewandt wurden, schienen sie keine zusätzliche Wirkung zu haben. Ein weiterer, im Jahr 2016 veröffentlichter Cochrane-Review zur chinesischen Kampfkunst Tai-Chi und COPD zeigt in dieser Hinsicht ganz ähnliche Ergebnisse.

Sich die Lunge frei singen?

Das Singen unterstützt das Atmen, vor allem die Bauch- und Zwerchfellatmung, und vergrößert somit das Lungenvolumen und hat deshalb zumindest das Potenzial, die Gesundheit von Menschen mit COPD zu unterstützen. Während bei der normalen Atmung das Ausatmen ein eher passiver Vorgang ist, ist er beim Singen aktiv, und wird durch die Bauch-, Zwischenrippen- und Beckenmuskulatur unterstützt. Ein Cochrane-Review, der im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, untersuchte, ob das Singen eine Wirkung auf die Lebensqualität oder Kurzatmigkeit von Menschen, die unter COPD leiden, hat.

Die Autoren fanden nur drei Studien mit 112 Teilnehmern, die entweder in eine Gesangsunterrichtsgruppe oder in eine Vergleichsgruppe ohne Gesang, z. B. in eine Bastelgruppe, eingeteilt wurden. Teilnehmer waren durchschnittlich zwischen 67 bis 72 Jahren alt und der einstündige Gesangsunterricht fand ein bis zweimal pro Woche für mindestens sechs Wochen statt.
Die Studien waren wegen ihres unterschiedlichen Designs und den untersuchten Endpunkten schwer vergleichbar. Somit konnten die Autoren anhand der gegebenen Evidenz nur feststellen, dass Singen wahrscheinlich keine Risiken für Menschen, die unter COPD leiden, beinhaltet und dass die Aktivität sich generell positiv auf die Gesundheit auswirkt. Sie konnten keine spezielle Wirkung auf Kurzatmigkeit und Lebensqualität, die mit einer verbesserten Atmung zu tun hätte, feststellen. Evidenz zur Langzeitwirkung von Singen für Menschen mit COPD gibt es de facto nicht.

Dieses Ergebnis sagt nicht viel aus, könnte man denken. Und dennoch ist es wichtig, denn die geringe Anzahl an vorhandenen Studien weist auf eine Evidenzlücke hin, und lädt dazu ein, mehr Studien auf diesem Gebiet zu fördern.

Fazit

Pharmakotherapien bei COPD werden durch nicht-pharmakologische Therapiemaßnahmen unterstützt, dazu gehören Therapieformen, die darauf ausgerichtet sind, die Atmung zu unterstützen. Obwohl der Nutzen dieser Therapieformen nicht immer eindeutig ist oder mit einer verbesserten Atemfähigkeit in Verbindung gebracht werden kann, steht fest, dass die mit ihnen verbunden Risiken gering sind. Auch scheinen sie zumindest eine gewisse positive Wirkung auf die Gesundheit und Ausdauer von Menschen mit COPD zu haben.

Text: Andrea Puhl

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlechter.

Weitere Quellen:

Gillissen Adrian. (2016). Update COPD-Therapie. Arzneimittelverordnungen in der Praxis. Ausgabe 2, April 2016. https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201602/062.pdf. Zugriff 20. März 2018.

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