Ivermectin ist ein bewährtes Mittel gegen Parasiten, das einige Lobbygruppen auch als Therapieoption gegen COVID-19 propagieren. Ein neuer Cochrane Review findet keine überzeugenden Studiendaten, die dies stützen. Allerdings ist die Evidenzlage noch unsicher. Aktuell laufende Studien werden hier hoffentlich bald für Klarheit sorgen.
Seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie suchen Forscher*innen weltweit nach Therapieansätzen zur Behandlung der Erkrankung. Schon früh überprüften sie dabei auch bereits bekannte und für andere Anwendungen zugelassene Medikamente auf eine mögliche Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2. Solche Wirkstoffe hätten – Wirksamkeit vorausgesetzt – entscheidende Vorteile: Sie sind schnell und oft preisgünstig verfügbar, zudem gibt es bereits Daten zu Sicherheit und Dosierung.
Um einige dieser Medikamente entwickelte sich trotz fehlender Evidenz schon früh ein regelrechter Hype. Dazu gehören neben der Gabe von Vitamin D oder Rekonvaleszentenplasma vor allem das Malariamittel Chloroquin, das in Studien aber keine Wirksamkeit zeigte, und eben der Wirkstoff Ivermectin.
Die Geschichte des Hoffnungsträgers Ivermectin
Ivermectin bewährt sich seit den 1980er Jahren bei Mensch und Tier gegen verschiedene Parasiten wie Fadenwürmer und Milben. Anlass für die Hoffnungen auf Ivermectin zur Therapie von COVID-19 war eine im April 2020 veröffentlichte Laborstudie. Sie wies darauf hin, dass Ivermectin in Zellkulturen die Vermehrung des für COVID-19 verantwortlichen Virus SARS-CoV-2 hemmen kann. Allerdings lag die eingesetzte Dosis sehr weit über jener, die für Menschen zugelassen ist.
Trotzdem erweckten diese Studie und einige günstige Ergebnisse erster kleiner Studien großes öffentliches Interesse. Trotz fehlender, beziehungsweise wenig überzeugender Evidenz schrieben sich verschiedene Lobbygruppen den Einsatz von Ivermectin als vermeintliches Wundermittel gegen COVID-19 auf die Fahnen. Von Südamerika ausgehend begannen viele Menschen, sich auf eigene Initiative mit Ivermectin gegen COVID-19 zu behandeln oder nahmen es in der Hoffnung auf die Vorbeugung einer Infektion ein. Schon im Mai 2020 empfahlen Vertreter der Gesundheitsbehörden von Bolivien und Peru den Einsatz von Ivermectin. Als erste EU-Länder erlaubten dies Anfang 2021 die Slowakei und Tschechien. Mit dem breiten Einsatz tauchten auch viele Fallberichte auf, in denen das Mittel augenscheinlich eine gute Wirkung erzielt hatte. Dies förderte einen regelrechten Hype um Ivermectin.
Die inzwischen recht große Schar der überzeugten Anhänger von Ivermectin ist sehr heterogen. Am einen Ende des Spektrum stehen Verschwörungstheoretiker, die überzeugt sind (beziehungsweise vorgeben, dies zu sein), dass Ivermectin die einfache Antwort auf alle Probleme der COVID-19-Pandemie wäre, wenn sie nur nicht von finsteren Mächten unterdrückt würde. Ähnliche Verschwörungserzählungen kursieren auch zu einer ganzen Reihe angeblicher Wundermittel gegen COVID-19. Wer ihnen widerspricht und auf die kritische Begutachtung der wissenschaftlichen Evidenz besteht, wird selbst schnell zu einer finsteren Macht erklärt.
Weniger verschworen, aber nicht minder realitätsfern scheint die Welt jener britischen Aktivist*innen zu sein, die am 24. Juli den ersten „Welt-Ivermectin-Tag“ begangen haben. An diesem Tag solle die Welt „das Ende von COVID-19 durch Ivermectin“ feiern, jenem „kostbaren Geschenk von Mutter Natur“.
Es gibt aber durchaus auch besonnene Stimmen, die bessere Forschung zu Ivermectin fordern. Sie kommen beispielsweise von Mediziner*innen, die bei der versuchsweisen Behandlung von COVID-Patienten gute Erfahrungen mit Ivermectin gemacht zu haben glauben. Tatsächlich nahm die Universität Oxford Indizien für eine mögliche Wirksamkeit kürzlich zum Anlass, Ivermectin in ihre große PRINCIPLE-Studie für mögliche COVID-Therapien aufzunehmen.
Der Stand der Evidenz zu Ivermectin gegen COVID-19
Doch was sagt die bisher verfügbare Evidenz aus klinischen Studien über die Wirksamkeit von Ivermectin? Eben dies ist die Frage, die die Autor*innen des nun veröffentlichten Cochrane Reviews umtrieb. Sie suchten dafür systematisch nach Studien, die den Einfluss einer Ivermectin-Behandlung auf die Sterblichkeit und Schwere der Erkrankung oder die Länge des Krankenhausaufenthaltes untersuchen. Ebenfalls berücksichtigt wurden Studien, die einen möglichen Infektionsschutz durch Ivermectin nach einem Kontakt mit SARS-CoV-2 überprüfen. Zudem werteten die Autorinnen Daten zu unerwünschten Nebenwirkungen aus.
Dabei beschränkten sie ihre Suche auf randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), dem aussagekräftigsten Studientyp, wenn es um die Ermittlung der Wirksamkeit eines Medikaments geht. In RCTs werden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die eine Gruppe die interessierende Behandlung bekommt, erhält die Kontrollgruppe ein Scheinmedikament (Placebo), eine andere Vergleichsbehandlung oder einfach die übliche Standardversorgung, die allen erkrankten Teilnehmenden zuteilwird.
Die so identifizierten Studien wurden nach Cochrane-Methodik auf mögliche Verzerrungsrisiken (Risk of Bias) und die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse hin bewertet. Studien, deren Verzerrungspotential als hoch bewertet wurde, gingen nicht in die Auswertung ein. Zu diesen von vornherein ausgeschlossenen Studien gehörte auch eine stark für eine Wirksamkeit von Ivermectin sprechende Arbeit, die Mitte Juli wegen Fälschungsverdachts zurückgezogen wurde.
Diese Vorarbeiten für den Review liefen größtenteils im Rahmen des COVID-19-Evidenzökosystems CEOsys, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über das Nationale Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin zu Covid-19 (NUM) gefördert wird. Die Autor*innen konnten schließlich 14 Studien, die den vorher festgelegten Kriterien entsprachen, in den Review einschließen (insgesamt 1678 Teilnehmende). Der Stichtag für die Studiensuche war der 26. Mai 2021.
Was sind die Ergebnisse des neuen Cochrane Reviews zur Wirksamkeit von Ivermectin?
Die Ergebnisse sind ernüchternd: „Verglichen mit Placebo oder einer Standardbehandlung zeigte Ivermectin weder bezüglich des Sterberisikos, noch des klinischen Zustands von COVID-19 Patient*innen einen Vorteil“, erklärt Koautorin Stephanie Weibel von der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Würzburg. „Die Studienlage zur Prävention von SARS-CoV-2-Infektionen mit Hilfe von Ivermectin reicht einfach nicht aus, um Wirksamkeit und Risiken abzuschätzen. Die Vertrauenswürdigkeit der vorhandenen Evidenz ist niedrig bis sehr niedrig.“
Streng genommen könne man auf dieser ausgesprochen unsicheren Evidenzbasis eine Wirksamkeit von Ivermectin zwar auch nicht ausschließen. „Anhand der aktuellen Datenlage gibt es aber derzeit keine Grundlage für den Einsatz von Ivermectin zur Behandlung oder Prävention von COVID-19 außerhalb kontrollierter Studien. Die momentan vorhandenen Studien sind klein und größtenteils wenig vertrauenswürdig. Eine bessere Einschätzung wird erst möglich sein, wenn derzeit noch laufende größere Studien abgeschlossen sind. Sobald dies der Fall ist, werden wir unseren Review aktualisieren.“
Gegen den Einsatz von Ivermectin auf gut Glück sprechen die nicht zu vernachlässigenden möglichen Nebenwirkungen (z. B. Übelkeit) und das Grundprinzip, Patient*innen nur mit erwiesenermaßen wirksamen (oder zumindest hoch plausiblen) Therapien zu behandeln. Ein Problem der bereits stark gestiegenen Nachfrage nach Ivermectin sind aber auch mögliche Engpässe in der Versorgung für den eigentlichen Einsatz gegen Parasiten.
Kann man die Evidenz auch anders deuten?
Bleibt die Frage, warum andere Auswertungen der Studienlage zu so viel günstigeren Ergebnissen für Ivermectin kommen. „Es gibt einige häufig zitierte Webseiten mit spektakulären Ergebnissen, die auf den ersten Blick seriös erscheinen mögen. Doch auf den zweiten Blick werden hier fundamentale Regeln des wissenschaftlichen, transparenten Vorgehens verletzt. Das fängt schon damit an, dass die Autor*innen anonym bleiben“, erklärt Weibels Würzburger Kollegin und Koautorin Maria Popp. Auch eine regulär publizierte systematische Übersichtsarbeit mit sehr für Ivermectin sprechenden Ergebnissen (Bryant et al. 2021) enthalte zahlreiche grundlegende Schwächen. „Vor allem führen die Autor*innen dort Ergebnisse in einer Gesamtauswertung zusammen, die nicht miteinander vergleichbar sind. So untersuchen die dort eingeschlossenen Studien unterschiedliche Patientenpopulationen, Vergleichsgruppen oder Zeitpunkte für die Erfassung von Endpunkten. Auch die Behandlung mit Ivermectin unterscheidet sich zum Teil stark von Studie zu Studie, zum Beispiel was die Dosierung oder eine parallele Behandlung mit anderen experimentellen Therapien angeht“, so Popp.
Dass derart schwammige Einschlusskriterien dieser von Anhängern von Ivermectin oft zitierten Übersichtsarbeit trotzdem zu einem derart positiven Ergebnis führen, sei eigentlich höchst implausibel. Es stärke die vorhandenen Zweifel an der grundlegenden Vertrauenswürdigkeit einiger Studien. Auch Paul Garner, Leiter der für den neuen Review verantwortlichen Cochrane-Gruppe für Infektionskrankheiten an der University of Liverpool, traut den überschwänglichen Erfolgsmeldungen nicht: „Der Hype um Ivermectin wird von einigen Studien angetrieben, in denen die Effektgrößen offen gesagt schlicht unglaubwürdig sind. Dies hat die Schlussfolgerungen in anderen Reviews beeinflusst. Eine Studie mit einem riesigen Effekt wurde jetzt wegen Fälschungsverdachts zurückgezogen. Eine sorgfältige Bewertung von Studienergebnissen ist der Eckpfeiler der Arbeit von Cochrane. Der Druck der Öffentlichkeit, ein wirksames Medikament gegen die Pandemie zu finden, ist groß. Umso wichtiger ist es, dass wir für Behandlungsentscheidungen an unseren wissenschaftlichen Prinzipien festhalten.“
Denn so schön es auch wäre, ein leicht verfügbares Wundermittel gegen die Pandemie zu haben: Der Wunsch allein darf nie den Ausschlag für eine Behandlung geben.
Text: Georg Rüschemeyer
Zum Review Ivermectin for preventing and treating COVID-19
Hinweis: Unsere Kolleg*innen von „Medizin Transparent“ haben sich in ihrer Faktencheck-Serie „Mythen und Fakten zum Coronavirus“ erst kürzlich (13.7.21) mit der ernüchternden Studienlage zu Ivermectin und anderslautenden Aussagen beschäftigt.