Circa 10 Millionen Menschen werden jährlich mit der Diagnose Demenz konfrontiert, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die genauen Zahlen kennen wir nicht, da vor allem in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen viele Menschen, die unter Demenz leiden, nie eine offizielle Diagnose erhalten. Es ist zu erwarten, dass die Anzahl an Demenz-Erkrankten aufgrund der weltweit alternden Bevölkerung zukünftig steigen wird. Die Suche nach wirksamen Therapien und Behandlungen wird daher zunehmend wichtiger. Cochrane untersuchte in einem aktualisierten Review die Wirksamkeit von musikbasierten Behandlungen bei Demenz.
Immer mehr Menschen weltweit sind von Demenz betroffen. Die bisher bekannten Zahlen könnten sich laut WHO bis zum Jahr 2050 noch verdreifachen und von 50 auf 152 Millionen Erkrankte ansteigen.
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, äußerte sich in einer Pressemitteilung im Dezember 2017 dazu wie folgt zu:
„Das Leiden, das dadurch entsteht, ist enorm. Es handelt sich hier um einen Weckruf: Wir müssen dieser weltweit wachsenden Herausforderung mehr Aufmerksamkeit schenken und sicherstellen, dass alle Menschen, die mit Demenz leben, wo auch immer sie leben, auch die Versorgung erhalten, die sie benötigen.“ *
Bestimmt würde hier jeder zustimmen, der schon einmal Bekannte oder Familienmitglieder, die unter Demenz leiden, mitbetreut hat.
Infobox: Was ist Demenz?
Oft assoziiert man Demenz mit Menschen, die unter altersbedingter Vergesslichkeit bis hin zur kompletten Desorientierung leiden. Das ist auch zum Teil richtig. Demenz ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die hauptsächlich eine stetig voranschreitende Auswirkung auf das Gedächtnis, die kognitiven Fähigkeiten und das Verhalten der Betroffenen haben.
Die allermeisten Demenzen werden durch Krankheiten des Gehirns verursacht.
Alzheimer ist (60 – 70% aller Fälle) die häufigste Ursache für eine Demenz. Andere Ursachen von Demenz sind unter anderem Hirnverletzungen und Durchblutungsstörungen im Gehirn, Morbus Parkinson oder zu hoher, über längere Zeiträume erfolgter Alkoholkonsum.
Auswirkungen für Demenz-Betroffene und Angehörige
Demenz-Betroffene entwickeln schrittweise immer stärkere Gedächtnis-, Denk- und Sprachstörungen. Dadurch wird es immer schwieriger für sie, sich zeitlich und räumlich zu orientieren, sozialen Anschluss zu finden und ihren Alltag zu bewältigen.
Betroffene leiden oft unter emotionalen Problemen und Depression. Dadurch kann mit der Zeit auch zunehmend die Lebensqualität sinken. Medikamentöse Behandlungen können den Verlauf einer Demenz zwar positiv beeinflussen, die fortschreitende Erkrankung kann aber weder geheilt noch aufgehalten werden. Betroffene benötigen deshalb verstärkt zusätzliche Hilfe und Unterstützung von Personen aus ihrem Umfeld, die sich um sie kümmern und ihnen einen sozialen, ‚menschlichen‘ Rahmen bieten.
Kommunikation jenseits der Worte
Miteinander Reden schafft oft die schnellste, uns geläufigste zwischenmenschliche Verbindung. Doch in fortgeschrittenen Stadien der Demenz kann es für Betroffene immer schwieriger werden, mit Worten zu kommunizieren. Hier wird es umso wichtiger, andere Kommunikationsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Musik könnte hier helfen! Denn selbst wenn Demenz-Betroffene nicht mehr sprechen können, sind sie oft noch in der Lage zu summen oder Musik zu begleiten.
Cochrane Review zu musikbasierten Behandlungen bei Demenz
In einem aktualisierten Cochrane Review beschäftigten sich die Autoren** deshalb mit der Frage, ob und inwiefern sich Musiktherapie vor allem auf das emotionale Wohlbefinden und die Lebensqualität von Menschen mit Demenz auswirkt. In zweiter Linie untersuchten sie die Wirkungen von musikbasierten Behandlungen hinsichtlich verhaltensbezogener, sozialer oder kognitiver (Denken und Erinnern) Probleme.
Die Cochrane Autoren analysierten hierfür die Ergebnisse von Studien, in denen Studienteilnehmer, die in Pflegeheimen wohnten und verschiedene Schweregrade von Demenz aufwiesen, musikbasierte Behandlungen erhielten. Die Studien teilten die Teilnehmer zufällig entweder in eine Gruppe, die musikbasierte Behandlungen erhielt oder in eine Vergleichsgruppe, die keine oder eine andere Behandlungsform wie z. B. Kunsttherapie erhielt, ein. Die Autoren zogen nur Studien in Erwägung, in denen den Teilnehmern mindestens fünf Musik-Behandlungssitzungen angeboten wurden. Insgesamt fanden sie 22 Studien, die ihren Kriterien entsprachen. Behandlungsergebnisse konnten für 21 dieser Studien mit insgesamt 890 Studienteilnehmern verglichen werden.
Was kam dabei raus?
Es stellte sich heraus, dass musikbasierte Behandlungen die Depressionssymptomatik von Betroffenen direkt nach der Behandlungsphase verbessern können, aber wahrscheinlich keine Verbesserungen bei starker innerer Unruhe oder aggressivem Verhalten bringen.
Musikbasierte Behandlungen könnten ebenfalls Angststörungen sowie das emotionale Wohlbefinden und die Lebensqualität verbessern. Die Behandlungen scheinen allerdings keine Auswirkung auf die Kognition der Betroffenen zu haben.
Insgesamt vermerkten die Autoren, dass die Qualität und Berichterstattung der Studien sehr unterschiedlich war, was ihr Vertrauen in die Ergebnisse beeinflusste. Mehr Details zu diesen Ergebnissen gibt es im vollständigen Cochrane Review.
Fazit? Musik berührt!
Musik ist eine Sprache, die Menschen auf der ganzen Welt berührt. Deshalb ist das therapeutische Potenzial von musikbasierten Behandlungen auf das emotionale Wohlergehen generell unumstritten und vielversprechend, zumal diese Art der Behandlung fast überall umsetzbar und anwendbar scheint.
Wie dieser Cochrane Review zeigt, können nur fünf Musiktherapie-Einheiten bei Demenz-Betroffenen so manch „wohltönende“ Erfolge erzielen, zumindest kurzfristig. Das lässt natürlich Raum nach oben. Denn wie musikbasierte Behandlungen bei Demenz-Betroffenen über längere Zeiträume hinweg wirken, darüber ist bisher wenig bekannt. Diese Evidenz-Lücke sollte laut den Cochrane-Autoren zukünftig ausgefüllt werden. Ihr Fazit lautet:
„Weitere Studien sollten untersuchten, wie lange die Wirkungen von musikbasierten Behandlungen anhalten wenn bezogen auf die Dauer und Anzahl der Behandlungen.“
Infobox: Demenz in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung stellt Informationen (Stand: 2011) rund um das Thema Demenz in den drei Ländern zur Verfügung.In Deutschland leben gegenwärtig geschätzte 1,7 Millionen Menschen mit Demenz. Informationen für Betroffene und Angehörige zum Thema Demenz gibt es unter anderem bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V., den lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz, den Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Zudem stellt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf ihrer Webseite einen E-Learning Kurs zu Demenz zur Verfügung.
In der Schweiz sind aktuell 148.000 Menschen an Demenz erkrankt. Zahlen und Fakten, sowie eine Bestandsaufnahme der Demenzversorgung in den Kantonen (2017) gibt es beim Bundesamt für Gesundheit. Die nationale Demenzstrategie 2014-2019 ist hier einzusehen. Die Schweizerische neurologische Gesellschaft stellt ebenfalls Informationen zur Verfügung.
In Österreich sind aktuell schätzungsweise 115.000 bis 130.000 Menschen von Demenz betroffen. Diese Information sowie weitere rund um das Thema Demenz stellt das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zur Verfügung. Hier sind ebenfalls Empfehlungen für den Umgang mit Menschen mit Demenz zu finden. Die österreichische Alzheimergesellschaft bietet ebenfalls Hilfe und Informationen.
Text: Andrea Puhl
*Übersetzt aus dem Englischen.
**Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlechter.