Je früher man sich anbahnende Krankheiten erkennt, desto besser, sollte man denken. Aber das stimmt nicht immer. Ein Slidecast-Video von Cochrane Österreich erklärt die manchmal gar nicht einfache Abwägung der Vorteile und Risiken von Screenings.
Die meisten Neugeborenen in Österreich, Deutschland und der Schweiz lassen kurz nach der Geburt einen Piks über sich ergehen. Grund ist eine Routineuntersuchung auf mehrere Stoffwechselerkrankungen. Wenige Tropfen Blut aus der Ferse und ein simpler, kostengünstiger Test verraten, ob die Säuglinge beispielsweise eine angeborene Phenylketonurie haben – obwohl sie völlig gesund wirken und keine Beschwerden haben.
Etwa 1 von 10.000 Neugeborenen in Europa ist von einer Phenylketonurie betroffen. Ihr Körper kann das Enzym Phenylalaninhydroxylase nicht herstellen, das aber zum Abbau von Eiweiß aus der Nahrung enorm wichtig ist. Das Neugeborenen-Screening entdeckt diese Kinder zuverlässig, ihre Therapie kann durch den Test in den ersten Lebenstagen frühzeitig starten.
Das bedeutet zumeist: eine strikt phenylalaninarme Ernährung von Anfang an – zuerst in Form von spezieller Flaschenmilch, später vor allem durch den Verzicht auf eiweißhaltige Lebensmittel. So können sich die Kinder gut entwickeln. Andernfalls, also ohne rasche Erkennung des anfangs unauffälligen Enzymmangels und ohne angepasste Diät, ist eine teils schwere geistige Behinderung die Folge.
Screenings bzw. Früherkennungstests gibt es nicht nur für Neugeborene. Ein weiteres Beispiel ist die Mammografie zur Brustkrebsfrüherkennung. Auch hier soll die Diagnose in einem frühen Stadium, noch bevor die Betroffenen Beschwerden verspüren, bessere Heilungschancen und ein längeres Leben mit höherer Qualität ermöglichen.
Viele Menschen verbinden Screening-Untersuchungen mit der Vermeidung von schweren Krankheitsverläufen oder Todesfällen aufgrund der frühen Erkennung und raschen Behandlung einer Krankheit . Doch Screenings haben auch etliche negative Aspekte, die leider oft unterschätzt und in der Aufklärung vernachlässigt werden. So führt eine frühe Erkennung keineswegs immer zu besseren Ergebnissen als eine spätere Erkennung. Weitere kritische Punkte sind falsch-positive Testergebnisse oder Diagnosen von Krankheiten, die zeitlebens keine Probleme bereitet hätten, deren Behandlung dann aber erhebliche Nebenwirkungen haben kann. Deswegen ist eine kritische Nutzen-Schaden-Abwägung vor jedem Screening wichtig.
Einen Überblick zur wissenschaftlichen Bewertung von Screenings bietet ein neuer Slidecast von Cochrane Österreich in englischer Sprache, abrufbar auf YouTube. In rund 12 Minuten geht es um verschiedene Screening-Tests und deren mögliche Vor- und Nachteile.
Anna Glechner, Leiterin des Ärzteinformationszentrum ÄIZ, ist für den Inhalt des Slidecast verantwortlich. Ebenfalls mitgearbeitet haben Edith Kertesz, Emma Persad und Chris Ptacek (alle: Cochrane Österreich, Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems).
Hier geht’s zum Slidecast „Screenings“.
Der Youtube-Kanal von Cochrane Österreich bietet mittlerweile über 40 Videos auf Deutsch oder Englisch und wird laufend erweitert. Er richtet sich beispielsweise an Studierende und natürlich an alle anderen, die ins Gebiet der evidenzbasierten Medizin einsteigen oder ihr Wissen auffrischen möchten.
Weitere Slidecasts von Cochrane Österreich:
- Einstieg in die Welt des gebündelten Wissens – ein kurzer Slidecast zu systematischen Übersichtsarbeiten
- Daten analysieren, aber richtig
Quellen
- „Overview of phenylketonuria“; abgerufen unter www.uptodate.com am 20.5.2021 (kostenpflichtig)
- „Nutzen und Schaden von Früherkennungsuntersuchungen“; abgerufen unter www.gesundheitsinformation.de am 20.5.2021