Früherkennung von Brustkrebs: Mammografiebilder auf dem Bildschirm

Brustkrebs: Von Nutzen und Risiken der Früherkennung

5
(2)

Das Screening von Frauen über 50 mit Hilfe der Mammografie soll Brustkrebs früh erkennen. Doch um die wahre Balance aus Nutzen und Risiken streiten Fachleute seit vielen Jahren. Zum internationalen Brustkrebsmonat Oktober werfen wir im siebten und letzten Teil unserer Serie zur Krebs-Früherkennung einen Blick auf die nüchterne Evidenz.

Eines Tages liegt sie im Briefkasten, vielleicht zusammen mit den letzten verspäteten Glückwunschkarten zum 50. Geburtstag: Die Einladung zur Früherkennungsuntersuchung auf Brustkrebs mittels Mammografie. Schön ist das nicht für die Empfängerinnen. Erinnert die Einladung doch daran, dass sie nun in eine Lebensphase kommen, in der Brustkrebs häufiger auftritt. Im Durchschnitt sind die Betroffenen Mitte Sechzig, wenn sie diese Diagnose erhalten.

Weltweit und so auch in Mitteleuropa ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung von Frauen. So erhält in Deutschland ungefähr eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens die Diagnose „Mammakarzinom“. Übrigens kann auch das rudimentär vorhandene Brustgewebe von Männern Krebs entwickeln. Brustkrebs beim Mann ist jedoch sehr selten und macht nur rund ein Prozent aller Brustkrebsfälle aus.

Das nationale Mammographie-Screening-Programm

Für Frauen gibt es in Deutschland seit 2005 das nationale Mammographie-Screening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs. Im Rahmen dieses Programms werden Frauen im Alter zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre auf Kosten der Krankenkasse zu einer Röntgenuntersuchung der Brust (Mammografie) eingeladen. Schon ab 30 können sich Frauen zudem jährlich die Brust nach auffälligen Knoten abtasten lassen (siehe Kasten).

Die Idee dahinter lautet wie bei jeder Früherkennungsuntersuchung: „Früh erkannt, Gefahr gebannt“. Im Prinzip stimmt das auch: Die Chancen auf Heilung eines aggressiven Krebses sind umso höher, je früher man ihn entdeckt. Im Idealfall hat er zu dieser Zeit noch keine Metastasen, also „Ableger“ in anderen Körperteilen gebildet und lässt sich durch eine relativ kleine Operation komplett entfernen. Doch so plausibel der potentielle Nutzen der Früherkennung auf den ersten Blick auch erscheint, so wichtig ist es, stets auch die Risiken einer Früherkennung im Blick zu behalten. Dieses Grundproblem jeder Früherkennung haben wir im Eingangsartikel dieser Serie genauer erklärt.

beenhere

So läuft eine Mammografie ab

Für eine typische Mammografie werden von jeder Brust zwei Röntgenaufnahmen aus unterschiedlichen Richtungen gemacht. Um mit möglichst wenig Röntgenstrahlung ein gutes Bild zu erhalten, muss die Brust dafür zwischen zwei Platten möglichst flach gedrückt werden. Das kann unangenehm sein, ist aber nicht gefährlich.
Die Aufnahmen werden später von zwei Spezialist*innen unabhängig voneinander nach auffälligen Veränderungen des Gewebes abgesucht. Im Zweifelsfall ziehen sie weitere Fachleute hinzu. Der in den allermeisten Fällen unauffällige Befund kommt dann wenig später per Post.

Der heilige Gral der Früherkennung

Im Falle der Mammografie liegen auf der Nutzen-Waagschale die früh erkannten und dadurch erfolgreich behandelten Brusttumore, die sonst zum Tod der betroffenen Frau geführt hätten. Ihnen stehen unterschiedliche Risiken gegenüber. Da sind zunächst die sogenannten Überdiagnosen, Diagnosen von langsam wachsenden Tumoren also, die zu Lebzeiten nie gefährlich geworden wären. Die Entdeckung eines solchen Tumors in der Früherkennung ist für die Betroffenen psychologisch belastend und kann zu unnötigen Behandlungen führen. Das große Problem dabei: Zum Zeitpunkt der Entdeckung lässt sich meist nicht sagen, ob es sich bei einem Tumor um eine lebensgefährliche Turbo- oder ein harmlose Schnecken-Variante handelt. Methoden, um diese Unterscheidung künftig besser treffen zu können, gelten als der heilige Gral der Forschung zur Krebsfrüherkennung.

Ein anderes, oft mit Überdiagnosen verwechseltes Problem in der Risiko-Waagschale sind falsch positive Krebs-Diagnosen. Hier handelt es sich um Verdachtsdiagnosen, die sich bei der weiteren Abklärung nicht bestätigen. Bis dahin bedeuten sie für die Betroffenen aber auch viel Stress.

beenhere

Welche anderen Methoden zur Früherkennung von Brustkrebs gibt es?

Abtasten der Brust: Frauen können ihre Brüste entweder selbst, durch Arzt oder Ärztin oder durch andere Fachleute per Hand nach auffälligen Knötchen im Brustgewebe absuchen lassen. In Deutschland übernehmen die Kassen die Kosten dafür ab dem 30. Lebensjahr. Allerdings gibt es sehr wenig wissenschaftliche Evidenz zu Nutzen und Risiken solcher Tastuntersuchungen. Klar ist: kleinere Knoten werden damit leicht übersehen. Andererseits kommen auch hier auf jeden entdeckten gefährlichen Brustkrebs etliche Fälle von Über- und Fehldiagnosen. Aufgrund der unklaren Evidenz gelten Tastuntersuchungen lediglich als Ergänzung zur Mammografie. Zudem sollen sie das Bewusstsein der Frau für die Beschaffenheit ihrer Brüste erhöhen.

Auch Ultraschallbilder ersetzen keine Mammografie, können insbesondere bei dichtem Brustgewebe aber zusätzliche Auffälligkeiten erkennen. Ein aktueller Cochrane Review zum Thema kommt zu dem Schluss: Ultraschall zusätzlich zu Mammografie führt im Vergleich zu Mammografie alleine zu einer geringfügig höheren Zahl von Brustkrebsdiagnosen, die allerdings mit einer deutlich höheren Zahl falsch positiver Befunde erkauft werden. Vor allem aber fehlt es an Studien zur entscheidenden Frage, ob sich dadurch wirklich Todesfälle verhindern lassen. In Deutschland muss eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung selbst bezahlt werden.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) oder Kernspintomographie ist ein aufwändiges und teures Bildgebungsverfahren, dass nur in speziellen Fällen wie einem erblich stark erhöhten Brustkrebsrisiko zum Einsatz kommt. Ob es auch für ein bevölkerungsweites Screening geeignet wäre, wurde bisher nicht in Studien untersucht – dies wäre auch kaum praktikabel oder bezahlbar. Zudem erhöhen die sehr detaillierten MRT-Bilder auch unvermeidlich das Risiko falsch positiver Diagnosen.

Schließlich führt die Mammografie auch zu einer geringen Strahlenbelastung, die selbst wieder das Krebsrisiko erhöht. Die Strahlendosis ist bei modernen Geräten mit rund einem Zehntel der natürlichen Hintergrundstrahlung allerdings sehr gering.

Was wiegt nun schwerer beim Brustkrebsscreening, wenn man alles zusammen nimmt? Nutzen oder Schaden? Eine erstaunlich komplexe Frage, die für eine informierte Entscheidung vor allem eines braucht: Evidenz aus wissenschaftlichen Studien. Immerhin gibt es da im Gegensatz zu manchen anderen Krebsformen für das Brustkrebsscreening mittels Mammografie durchaus Evidenz aus einigen großen randomisierten Studien aus den 1960er bis 1990er Jahren mit Hunderttausenden Teilnehmerinnen. Sie sind Basis des Cochrane Reviews „Screening für Brustkrebs mittels Mammographie“.

Cochrane Review zur Mammographie: Zehn Jahre alt – und trotzdem aktuell

Der Cochrane Review beruht auf einigen großen randomisierten Studien aus den 1960er bis 1990er Jahren mit Hunderttausenden Teilnehmerinnen. Die letzte Aktualisierung stammt aus dem Jahr 2013. Ist die Evidenz also noch aktuell? Tatsächlich lautet die Antwort „ja“. Denn der Review wurde damals von Cochrane offiziell als „stabil“ eingestuft. Das heißt, es waren nach Ansicht der Autoren keine weiteren Studien zu erwarten und wenn doch, so schien es unwahrscheinlich, dass diese das Gesamtergebnis noch erheblich verändern könnten.

Nun hatten die beiden Review-Autoren Peter C Gøtzsche und Karsten Juhl Jørgensen vom Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen vor zehn Jahren keine Glaskugel, um in die Zukunft zu sehen. Doch ihre Prognose hat sich bestätigt. So beruht auch eine 2021 erschienene systematische Übersichtsarbeit im Auftrag der Europäischen Kommission weitgehend auf der gleichen Studienbasis wie der Cochrane Review von 2013 und kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Unterschiede zwischen den beiden Reviews ergeben sich aus Einzelheiten wie der Bewertung der Vertrauenswürdigkeit einzelner Studien.

Und was kam nun bei dem Cochrane Review heraus?

Die Autoren des Cochrane Reviews fanden sieben randomisierte Studien, an denen rund 600.000 Frauen im Alter von 39 bis 74 Jahren teilgenommen hatten. Eine weitere Studie aus Großbritannien wies große Mängel bei der Zuteilung der Teilnehmerinnen auf die Studiengruppen (Mammografie vs. Kontrolle) auf. Die Cochrane-Autoren nahmen sie deshalb sie nicht in die weitere Auswertung auf, sondern stellten sie gesondert vor.

Fasst man die Ergebnisse der sieben Studien statistisch zusammen, so ergibt sich für Frauen, die über 13 Jahre hinweg regelmäßig zur Mammografie eingeladen wurden, ein um 19 Prozent reduziertes Risiko, an Brustkrebs zu sterben. Statistisch korrekt ausgedrückt: die Risk Ratio (RR) liegt bei 0,81, mit einem 95%-Konfidenzintervall (KI) von 0,74 bis 0,87. Allerdings unterscheidet sich dieses Ergebnis deutlich zwischen den methodisch gut gemachten Studien und jenen, die nach Einschätzung der Autoren ein hohes Risiko für Verzerrungen des Ergebnisses (Risk of Bias) hatten. Betrachtet man nur die drei methodisch besten Studien, so bleibt von dem Effekt auf die Brustkrebssterblichkeit nur ein statistisch nicht signifikanter Rest (RR: 0,90; KI: 0,79 – 1,02). Entsprechend ergibt sich für die vier Studien mit größerem Verzerrungsrisiko eine Reduzierung des Risikos um 25 Prozent (RR: 0,75; KI: 0,76 – 0,83).

Diese Ergebnisse sind in etwa konsistent mit anderen Auswertungen der Datenlage, Unterschiede gibt es lediglich in Details. So kommt der erwähnte EU-Review von 2021 für Frauen im momentan für das Screening empfohlenen Alter von 50 bis 69 auf eine Reduzierung des Risikos um 23 Prozent.

Wie viele Todesfälle durch Brustkrebs lassen sich durch Mammografie vermeiden?

Allerdings sind solche relativen Risiken, also Zahlenangaben für relative Veränderungen eines für die Allgemeinbevölkerung eher geringen Grundrisikos, stets mit Vorsicht zu genießen. Denn die meisten Menschen neigen dazu, sie intuitiv zu überschätzen. Ein besseres Gefühl für die wahre Größenordnung des Effekts einer Maßnahme vermitteln absolute Zahlen. Deshalb machen die Cochrane-Autor*innen zur Veranschaulichung ihrer Ergebnisse folgende Beispielrechnung auf:

Sie beruht auf der Annahme, dass sich die Sterblichkeit durch Brustkrebs nach 13 Jahren Nachbeobachtung durch das Screening um 15 Prozent reduziert. Gleichzeitig erhöht das Screening demnach die Wahrscheinlichkeit einer Überdiagnose und Überbehandlung um 30 Prozent. Konkret würde dies bedeuten, dass eine von 2000 Frauen, die über einen Zeitraum von 10 Jahren zum Screening eingeladen werden, vor dem Tod durch Brustkrebs gerettet wird. Gleichzeitig führt das Screening dazu, dass zehn gesunde Frauen unnötigerweise behandelt werden. Zu diesen Überdiagnosen kommen noch rund 200 Frauen mit falsch positiven Diagnosen. Sie müssen bis zur Abklärung mit einer erheblichen psychischen Belastung umgehen.

Klar ist: Die Entscheidung für oder gegen eine Mammografie erfordert eine individuelle Abwägung zwischen möglichem Nutzen und Schaden. Dabei ist die wissenschaftliche Evidenz als Grundlage zwar wichtig, hilft allein aber nur bedingt weiter. Denn letztlich kommt es auch auf die eigenen Wertvorstellungen und individuellen Risikofaktoren an: Will man maximale Sicherheit vor dem Krebs, auch auf Kosten möglicher Überdiagnosen, oder schätzt man deren Folgen schwerer ein? Tatsächlich gibt es auch unter Expertinnen und Experten seit vielen Jahren eine kontrovers geführte Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern des Mammografie-Screenings.

Leitlinien geben Orientierung

Aus komplexer Evidenz vergleichsweise einfache Empfehlungen abzuleiten, ist Aufgabe von medizinischen Leitlinien. Die meisten nationalen Leitliniengremien weltweit kommen zu dem Schluss, dass die Vorteile der Mammografie ihre Nachteile überwiegen. Sie empfehlen deshalb systematische Brustkrebsscreening-Programme. Dies gilt auch für Deutschland und Österreich. Etwas anders sieht es in der Schweiz aus. Hier gibt es nur in rund der Hälfte der 26 Kantone Programme für ein systematisches Mammografiescreening.

Das hat vermutlich viel mit der Empfehlung des auf Kosten-Nutzen-Abschätzungen spezialisierten Schweizer Medical Board (SMB) zu tun. 2014 sprach sich das SMB gegen die Einführung neuer Mammografie-Screeningprogramme und für die Befristung laufender Programme in der Schweiz aus. Dabei basierte diese Empfehlung auf der altbekannten Datenlage, welche auch dem Cochrane Review zugrunde liegt. Eines der Argumente für die skeptischere Deutung: Seit den klassischen Mammografiestudien aus den Jahren 1963 bis 1991 gab es erhebliche Fortschritte in der Therapie von Brustkrebs. Sie stellen den potenziellen Nutzen einer Früherkennung teilweise in Frage. Allerdings gab es auch technische Fortschritte in der Mammografie, die nach Meinung von Befürwortern heute sehr viel genauere Ergebnisse liefert. Beides gegeneinander abzuwägen, lässt abermals viel Raum für Interpretation.

Informiert entscheiden

Zugegeben: Die für Laien (und auch Expert*innen) oftmals schwer zu durchdringenden Deutungsmöglichkeiten der Datenlage machen die individuelle Entscheidung Pro oder Kontra Krebsfrüherkennung nicht gerade leicht. Was also tun, wenn das Einladungsschreiben im Briefkasten landet? Menschen, deren Leben durch eine Früherkennung gerettet wurde, würden darauf eine andere Antwort geben, als solche, die unter den Folgen von Über- und Fehldiagnosen leiden müssen.

Am Ende bleibt für alle Früherkennungsuntersuchungen der Tipp, sich mit dem Stand der vorhandenen Evidenz vertraut zu machen. Unsere mit dieser Folge endende Artikelserie zur Krebsfrüherkennung kann dazu hoffentlich einen Beitrag leisten. So gerüstet, sollte man das Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt des Vertrauens suchen und gemeinsam individuelle Risikofaktoren und Bedürfnisse diskutieren. Nur so kann das hehre Ziel der evidenzbasierten Medizin Wirklichkeit werden: eine wirklich informierte Entscheidung.


Text: Georg Rüschemeyer, Cochrane Deutschland


Weiterführende Informationen:


Alle Folgen unserer Serie zu Krebs-Früherkennung:

  1. Vorsorge, Früherkennung, Screening – Kann man dem Krebs zuvorkommen?
  2. Der Test des Dr. Papanicolaou (Gebärmutterhalskrebs)
  3. Hautkrebs-Screening: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
  4. Allgemeine Gesundheitschecks ohne Wirkung: „Den Steuerzahlenden viel Geld gespart“
  5. Prostatakrebs: Wie sinnvoll ist die Früherkennung?
  6. Darmkrebs-Früherkennung – ein Screening der besonderen Art
  7. Brustkrebs-Screening per Mammografie

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?

Klicken Sie auf einen Stern, um den Artikel zu bewerten.

Durchschnittsbewertung: 5 / 5. Anzahl an Bewertungen: 2

Bisher keine Bewertungen. Seien Sie die/der Erste!

Wir freuen uns über Rückmeldung von Ihnen!

Schreiben Sie uns, was wir in Zukunft verbessern oder beibehalten sollten?

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Scroll to Top