Darmkrebs-Früherkennung als Cartoon

Darmkrebs-Früherkennung – ein Screening der besonderen Art

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Okay, es gibt vielleicht attraktivere Angebote im Leben als eine Untersuchung zur Früherkennung von Dickdarmkrebs. Aber unter den vielen Untersuchungen, die mittlerweile im Gesundheitssystem angeboten werden, um Krankheiten im Frühstadium zu erkennen, nimmt die Darmkrebs-Früherkennung eine Sonderstellung ein. Hier erklären wir, warum.

Was unser Darm tagtäglich leistet, merken wir meistens erst, wenn er mal nicht wie sonst funktioniert. Das Endprodukt wird ja auch meist ziemlich schnell weggespült. Auch für den Smalltalk mit Freunden und Verwandten taugen die Verdauung beziehungsweise die Probleme damit nicht so gut wie zum Beispiel Rücken- oder Kopfschmerzen. Da ist es kein Wunder, dass auch Früherkennungsuntersuchungen für Darmkrebs eher nicht zu den beliebten Gesprächsthemen gehören. Und das, obwohl Darmkrebs in den Industriestaaten die dritthäufigste Krebserkrankung bei Frauen bzw. zweithäufigste bei Männern ist. In allen drei deutschsprachigen Ländern gibt es Kampagnen, um das zu ändern und mehr Leute zu einer solchen Untersuchung zu motivieren. Doch um was geht es dabei genau? Und was sind die Eigenheiten der Darmkrebs-Früherkennung?

Darf’s ein Stuhltest sein?

Ein wichtiges Detail vorweg: meist ist nur der Dickdarmkrebs gemeint, wenn man von Darmkrebs redet. Krebs am (viel längeren) Dünndarm ist dagegen ziemlich selten. Er wird aber leider oft erst spät erkannt und ist dann schwieriger zu behandeln. Die erste Eigenheit der Darmkrebs-Früherkennung: Es gibt zwei sehr unterschiedliche Methoden mit dem gleichen Ziel. Gemeint sind der sogenannte «fäkale immunchemische Test» (FIT) und die Spiegelung des Dickdarms (Koloskopie).

Der FIT kann den menschlichen Blutfarbstoff Hämoglobin mithilfe von Antikörpern im Stuhl nachweisen. Dafür wird zuhause – vor dem Wegspülen – mithilfe eines Untersuchungskits eine kleine Stuhlprobe in einem Plastikbehälter gesammelt und gut verschlossen mit der Post an ein Labor geschickt. Ist der Test positiv, besteht irgendwo im Verdauungstrakt eine Blutungsquelle, die man weiter abklären muss. Diese kann so klein sein, dass man mit blossem Auge kein Blut im Stuhl erkennt – auch wenn man noch so nahe herangeht. Anders als der frühere Guajak-Test weist die neue immunchemische Testmethode nur menschliches Blut nach. Er liefert deshalb keine falsch-positiven Resultate, wenn man zum Beispiel vorher ein saftiges Steak gegessen hat.

… oder doch gleich die Grosse Hafenrundfahrt?

Neben den anderen und viel häufigeren Ursachen (wie z.B. Hämorrhoiden) kann eine solche Blutung ein Anzeichen für einen Darmpolypen oder eben einen Tumor sein. Um das herauszufinden, schlägt die Fachärztin oder der Facharzt als nächsten Schritt meist eine Koloskopie vor, also eine «grosse» Darmspiegelung. Die «Grossse Hafenrundfahrt», wie sie im Medizinerjargon heisst, kann auch gleich als erste Vorsorgeuntersuchung durchgeführt werden, also ohne vorherigen FIT.

Der Vorteil dabei: Wenn die Ärztin oder der Arzt einen Polypen im Dickdarm entdeckt und er nicht zu gross ist, können sie diesen gleich mit dem Endoskop entfernen. Diese Wucherungen sind eine Vorstufe des Darmkrebses und wachsen oft viele Jahre vor sich hin, bevor daraus eventuell ein Tumor entsteht. Die zweite Eigenheit der Darmkrebs-Früherkennung lautet also: hier kann Screening und Behandlung in einem stattfinden.

Zugegebenermassen ist diese Untersuchung viel aufwendiger als der FIT. Am Vortag muss der Darm mit einem Abführmittel entleert und so auf die Untersuchung vorbereitet werden. Das Abendessen fällt dann also aus. Sonst hätten die Untersuchenden am nächsten Tag zu schlechte Sichtverhältnisse, wenn sie mit dem schlauchartigen Endoskop abschnittsweise die Darmwand auf Unregelmässigkeiten untersuchen. Weil das Ganze eine eher unangenehme Prozedur ist, erhält man ein Schlafmittel – und wacht erst ca. 20 Minuten später auf, wenn alles vorbei ist. Dann sollte man sich jedoch nicht gleich hinter das Lenkrad klemmen und in den Strassenverkehr stürzen.

Darmkrebs-Früherkennung in den deutschsprachigen Ländern

Die Empfehlungen, ab welchem Alter und mit welcher der beiden Untersuchungsmethoden gescreent werden sollte, unterscheiden sich von Land zu Land. In der Schweiz besteht in vielen Kantonen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr die Wahlmöglichkeit zwischen dem FIT alle 2 Jahre und der Koloskopie alle 10 Jahre. Neben der Beratung durch Hausarzt oder -ärztin gibt es in den meisten Kantonen ein koordiniertes Vorsorgeangebot. Im deutschen Früherkennungsprogramm gilt die gleiche Altersgrenze für Männer. Frauen haben dagegen erst mit 55 Jahren Anspruch auf eine kostenlose Koloskopie. Dafür übernehmen die Krankenkassen für beide Geschlechter im Alter von 50 bis 54 Jahren einen jährlichen FIT, danach alle 2 Jahre. In Österreich sind die Vorsorgeuntersuchungen schon ab dem 45. Lebensjahr im Angebot. In der österreichischen Kampagne mit dem einprägsamen Titel «Don’t wait» bekennt Opernsänger Placido Domingo, dass ihm die Darmspiegelung das Leben gerettet hat.

FIT oder Guajak? FIT!

Doch was sagt die nüchterne wissenschaftliche Evidenz zum Nutzend der Früherkennung von Darmkrebs? Tatsächlich wurden in den letzten 20 Jahren zahlreiche Studien rund um die Darmkrebs-Früherkennung durchgeführt. So konnte ein recht aktueller Cochrane-Review nicht weniger als 63 diagnostische Studien zusammenfassen, welche die Testeigenschaften des FIT und des früheren Guajak-Tests bestimmten und, zumindest in einem Teil der Studien, miteinander verglichen. Da der FIT bei gleicher Spezifität eine viel bessere Sensitivität als der Guajak-Test aufweist, spricht die Evidenzlage deutlich zugunsten des FIT. Tatsächlich hat sich dieser mittlerweile als Standard etabliert.

Neben der diagnostischen Genauigkeit der verfügbaren Untersuchungsmethoden interessiert besonders, ob sich mit der flächendeckenden Einführung der Früherkennung die Häufigkeit und Sterblichkeit von Darmkrebs auf Ebene der Bevölkerung wirklich senken lassen. Denn nur das zählt, wenn es darum geht, die hohen Kosten zu rechtfertigen, die durch Tausende von Untersuchungen entstehen. Diese Kosten sind nicht nur finanzieller Art – zu bedenken ist auch die Zeit des beteiligten Gesundheitspersonals. Denn die fehlt im Zweifel für andere Aufgaben. Und bei etwa 1 bis 3 von 1000 Personen kommt es während oder nach der Darmspiegelung zu behandlungsbedürftigen Komplikationen wie Blutungen, noch seltener zu einem gefährlichen Durchbruch der Darmwand (Perforation).

Wie sinnvoll ist das flächendeckende Screening?

Um diese Frage zu beantworten, braucht es grosse, bevölkerungsbasierte Studien. Diese sind besonders aufwendig, da die Teilnehmenden aufgrund der langsamen Krebsentstehung über Jahre hinweg nachbeobachtet und alle Neuerkrankungen an Darmkrebs erfasst werden müssen. Daher gibt es auch nur wenige solcher Studien. Eine zusätzliche Einschränkung ist, dass in den meisten dieser Studien die sogenannte Sigmoidoskopie oder «kleine Darmspiegelung» eingesetzt wurde, die lediglich das letzte Drittel des Dickdarms und den anschliessenden Enddarm mit dem Endoskop untersucht. Sie ist einfacher und kürzer durchzuführen, dadurch weniger belastend, aber kann natürlich Polypen im oberen Abschnitt des Dickdarms übersehen.

Die Ergebnisse von zwölf solcher Studien, alle randomisiert, fasst ein systematischer Review aus dem Jahr 2019 zusammen. Acht Studien hatten einen ausreichenden Beobachtungszeitraum von über 5 Jahren und ihre Daten liessen sich in einer Netzwerkmetaanalyse kombinieren. In vier Studien kam die Sigmoidoskopie zum Einsatz. Die kombinierten Ergebnisse zeigen mit hoher Evidenzsicherheit, dass diese Art der Darmspiegelung sowohl das Auftreten von als auch die Sterblichkeit durch Darmkrebs um etwa ein Viertel senkt.

Allerdings klingen die absoluten Zahlen etwas weniger beeindruckend: Von 1000 Personen ohne Früherkennung erkrankten in den folgenden 10 bis 20 Jahren etwa 26 an Darmkrebs. Bei Durchführung eines Früherkennungsprogramms mit Sigmoidoskopien waren es hingegen 20, also sechs weniger. Hinsichtlich Sterblichkeit durch Darmkrebs waren es statt 10 nur 7 Todesfälle, wiederum bezogen auf 1000 Personen und ähnliche lange Beobachtungszeiträume. Man müsste also 1000 Leute screenen, um 6 Erkrankungsfälle und 3 Todesfälle zu vermeiden. Auch ein 2021 veröffentlichter systematischer Review mit klassischer Metaanalyse konnte die Wirksamkeit der Sigmoidoskopie bestätigen.

Neue Daten zur Darmkrebs-Früherkennung

Es läge nun nahe anzunehmen, dass mit der grossen Darmspiegelung auch deutlich grössere Screening-Erfolge erzielt werden können. Die Ergebnisse der entsprechenden randomisierten Studien lagen zum Zeitpunkt der oben erwähnten Metaanalysen leider noch nicht vor. Es konnten aber Daten von zwei grossen Kohortenstudien mit bis zu 24 Jahren Verlaufsbeobachtung einbezogen werden, die eine deutliche Verminderung des Darmkrebsrisikos durch die Screening-Koloskopie nahelegen.

Mit Ungeduld erwartet wurden im Oktober 2022 die Veröffentlichung der ersten Ergebnisse einer der randomisierten Koloskopie-Studien im New England Journal of Medicine . Daran nahmen in Polen, Norwegen und Schweden von 2009 bis 2014 fast 85.000 Menschen zwischen 55 und 64 Jahren teil. Während die einen eine Einladung zur Koloskopie erhielten, wurden die anderen erst gar nicht darüber informiert, dass sie zur Kontrollgruppe zählten. Bei diesem innovativen Studiendesign verzichteten die Forschenden bei der Kontrollgruppe auf eine Einwilligung der Teilnehmenden. Dies wurde von den zuständigen Ethikkommissionen ausdrücklich bewilligt. Denn es hat den Vorteil, dass so ein bevölkerungsbasiertes Screening-Programm realistischer mit der Situation ohne Screening verglichen werden kann.

Das Ergebnis war eher ernüchternd. Mit der Koloskopie war das relative Risiko, in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebs zu erkranken um 18% niedriger. Die Verminderung der Sterblichkeit im selben Zeitraum lag bei 10%, war aber trotz der grossen Teilnehmerzahl nicht signifikant unterschiedlich von der Kontrollgruppe. Die Autoren diskutieren mögliche Gründe, warum der Nutzen nicht deutlicher ausfiel. So nahmen gerade einmal 42% der zur Koloskopie Eingeladenen dieses Angebot auch an. Mit einer hundertprozentigen Zustimmungsrate hätte man das Darmkrebsrisiko um 31% und das Sterberisiko um 50% senken können, so die Hochrechnung der Autor*innen.

Wie kann man mehr Menschen motivieren?

Teilnahmequoten von deutlich weniger als der Hälfte sind auch in den Screening-Programmen in der Schweiz typisch. So zum Bespiel im Kanton Waadt, der 2015 als einer der ersten die Darmkrebs-Früherkennung per FIT oder Darmspiegelung eingeführt hat. Mit Unterstützung der Krebsliga Schweiz führen dort Forschende von Unisanté Lausanne aktuell die Vergleichsstudie «Precision Screening randomized controlled Trial» (PRESENT) durch. In einer Gruppe erhalten die Teilnehmenden eine Einschätzung ihres individuellen Darmkrebsrisikos. Da sie vorher schon an einer anderen Studie teilgenommen hatten, liegen die dazu notwendigen personenbezogenen Daten, z.B. zu möglichen Risikofaktoren, bereits vor. Basierend auf dem persönlichen Risiko wird eine Empfehlung für eine der beiden Screening-Methoden abgegeben.

Die andere Gruppe erhält die Informationsbroschüre des kantonalen Früherkennungsprogramms, ohne dass auf das persönliche Risiko eingegangen wird. Die Forschenden wollen so herausfinden, ob eine personalisierte Information zum Darmkrebsrisiko die Wahl der Untersuchungsmethode beeinflussen kann.

Es bleibt abzuwarten, ob sich dadurch mehr Menschen mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko zur Koloskopie bewegen lassen. Denn wenn sich vor allem Menschen mit einem eher geringeren Risiko für diese Untersuchung entscheiden, können schnell Kapazitätsengpässe und längere Wartezeiten entstehen, die sich wiederum negativ auf die Teilnahmequoten auswirken.

Untersuchungen wie die PRESENT-Studie sollen das Verhalten rund um die Früherkennung genauer erforschen. Denn der «Human Factor» ist der Hauptgrund, warum sich das Potential der Früherkennung von Darmkrebs bisher nicht voll entfalten kann. Und das ist schade, denn früh erkannt hat der Darmkrebs eine gute Prognose. Anders als bei etlichen anderen Screening-Untersuchungen spricht vieles dafür, dass der Nutzen der Darmkrebs-Früherkennung die Risiken überwiegt.


Erik von Elm

Text: Erik von Elm ist Mediziner und Direktor von Cochrane Schweiz


Weiterführende Informationen:


Alle Folgen unserer Serie zu Krebs-Früherkennung:

  1. Vorsorge, Früherkennung, Screening – Kann man dem Krebs zuvorkommen?
  2. Der Test des Dr. Papanicolaou (Gebärmutterhalskrebs)
  3. Hautkrebs-Screening: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
  4. Allgemeine Gesundheitschecks ohne Wirkung: „Den Steuerzahlenden viel Geld gespart“
  5. Prostatakrebs: Wie sinnvoll ist die Früherkennung?
  6. Darmkrebs-Früherkennung – ein Screening der besonderen Art
  7. Brustkrebs-Screening per Mammografie

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