Egal wie brav man putzt: In den Rillen und Vertiefungen der Kauflächen bleiben doch oft Speisereste mit kariesverursachenden Bakterien kleben. Mit dem Versiegeln dieser Fissuren hofft man, der Entstehung von Karies vorzubeugen. Ob die Fissurenversiegelung auch wirklich funktioniert, schauen wir uns in dieser vierten Folge unserer Serie zur evidenzbasierten Zahnmedizin an.
Vorbeugen ist besser als Heilen – das gilt auch für die Zahnkaries. In der letzten Folge unserer Serie haben wir Evidenz für verschiedene Methoden vorgestellt, Zähne mit Hilfe von Fluorid widerstandsfähiger gegen die Zahnfäule zu machen. Es gibt aber noch einen ganz anderen Ansatz, der seit bald fünf Jahrzehnten eingesetzt wird: die Versiegelung der Fissuren. So heißen die zahllosen Rillen und Grübchen, die sich in individuell unterschiedlicher Ausprägung auf den Kauflächen der Seitenzähne (auch als Backenzähne bekannt, Fachleute sprechen von den Molaren und Prämolaren, siehe Bild) finden. In ihnen bleibt auch nach gründlichem Putzen leicht Zahnbelag zurück, jenes ungute Gemisch aus Speiseresten und säureproduzierenden Bakterien, das für Karies verantwortlich ist. Insbesondere bei Kindern sind diese Bereiche daher besonders kariesgefährdet.
Fissurenversiegelung: Standard in der Kariesvorbeugung
Aus diesem Grund führt man eine Fissurenversiegelung meist schon bald nach dem Durchbrechen der bleibenden Zähne durch. Das erstmals 1955 vorgestellte Prinzip dieser Vorsorgebehandlung ist denkbar einfach: Indem man die Vertiefungen mit einem Kunststoffmaterial (manchmal auch Glasionomer-Zement) auffüllt, glättet man die Zahnoberfläche und versiegelt sie gegen den Angriff der Säure. Zudem entzieht man den kariesverursachenden Bakterien so ihre Rückzugsgebiete.
Beide Effekte zusammen sollen die Karies stoppen, so die Hoffnung. Tatsächlich wiesen Studien ab den 1960er Jahren darauf hin, dass die möglichst frühe Versiegelung der durchgebrochenen bleibenden Seitenzähne Kinder vor Karies schützt. In Deutschland werden die Kosten der Maßnahme in der Größenordnung von 20 bis 50 Euro seit 1993 von den Krankenkassen übernommen, allerdings nur für die beiden hinteren Seitenzähne, die Molaren. In Österreich wird eine kleine Zuzahlung fällig. In der Schweiz muss man eine Fissurenversiegelung dagegen wie sämtliche zahnärztliche Leistungen selbst bezahlen.
Versiegelungen sind inzwischen bei einem Großteil aller Kinder und Jugendlichen zu finden. Die anfängliche Sorge, dass sich eine bereits vorhandene oberflächliche Karies unter der Versieglung weiterentwickeln könnte, erwies sich als unbegründet. Selbst wenn nach der gründlichen Reinigung im Rahmen der Versiegelung im kariösen Zahnschmelz unter der Versiegelung zunächst noch Bakterien sitzen sollten, so werden diese durch die Versiegelung von der Nahrungszufuhr abgeschnitten und können kaum weiteren Schaden anrichten (siehe unten).
Fissurenversiegelung bleibender Seitenzähne
Die Fissurenversiegelung der bleibenden Seitenzähne von Kindern und Jugendlichen ist also plausibel und längst Behandlungsstandard. Dass die Praxis auch auf einer guten Evidenzbasis ruht, zeigt ein zuletzt 2017 aktualisierter Cochrane Review . Die Autor*innen fanden 38 Publikationen mit Daten aus randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt fast 8.000 Teilnehmenden. Die Studien untersuchten den Einsatz der Fissurenversiegelung entweder aus Kunstharz oder aus Glasionomerzement. Als Vergleich dienten Kontrollgruppen junger Patient*innen ohne Versiegelung oder es wurde das sogenannte „Split-mouth“-Verfahren genutzt. Dabei behandelt man nur die Zähne auf einer Seite der Mundhöhle und vergleicht das Ergebnis später mit jenem der unversiegelten Zähnen der anderen Hälfte. Eine Reihe von Studien verglichen die beiden Versiegelungsmaterialien direkt miteinander.
Die klarsten Ergebnisse zeitigen die 15 Untersuchungen zum Einsatz von Kunstharz im Gegensatz zu keiner Versiegelung. Die Ergebnisse zeigen, dass Kunstharz-Versiegelungen die Häufigkeit von Karies in den Seitenzähnen 24 Monate nach der Behandlung in der Größenordnung von 10 bis 50 Prozent reduzierte. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz hierfür schätzten die Autor*innen des Reviews als moderat (nach GRADE) ein. Diese Vorteile zeigten sich auch bis zu vier Jahre nach der Behandlung und vermutlich auch darüber hinaus. Allerdings gab es für längere Nachbeobachtungszeiten nur wenig Studienergebnisse.
Die Studienevidenz für Glasionomer‐Versiegelungen im Vergleich zu keiner Versiegelung oder im direkten Vergleich zu Kunstharz war dagegen aus methodischen Gründen weniger zuverlässig und erlaubt keine klaren Rückschlüsse auf deren Nutzen. Hinweise auf Probleme mit der Verwendung von Versiegelungen fanden sich keine. Allerdings wurde in nur vier Publikationen explizit über diese Frage berichtet.
Fissurenversiegelung bei Milchzähnen
Die bleibenden Seitenzähne von Kindern zu versiegeln, ist auf Basis der günstigen Evidenz in vielen Ländern längst Standard. Die Cochrane Library hält noch drei weitere Übersichtsarbeiten zu anderen Aspekten des Themas parat. Die Autor*innen eines 2022 erschienenen Reviews etwa wollten wissen, ob sich die Vorteile der Fissurenversiegelung auch auf Milchzähne übertragen lassen. Ihre Analyse umfasst insgesamt neun Studien mit über 1000 Kindern, die zu Beginn zwischen anderthalb und acht Jahre alt waren. Allerdings drehen sich viele dieser Untersuchungen um speziellere Fragen, nur drei davon vergleichen direkt die Fissurenversiegelung mit keiner weiteren Behandlung.
Die Autor*innen stufen die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aus diesen Studien als gering bis sehr gering ein. Sie fordern deshalb solide Studien, um diese Evidenzlücke zu schließen. „Allerdings ist die Fissurenkaries im Milchgebiss allgemein das kleinere Problem. In den Milchzähnen entstehen die Löcher eher approximal, also im Bereich der Kontaktstellen zwischen den Zähnen“, kommentiert Falk Schwendicke von der Abteilung Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung an der Berliner Charité.
Versiegelung als Therapie für bestehende Karies
Ein weiterer Cochrane Review von 2015 untersucht das Potential von Versiegelungen nicht nur zur Vorbeugung auf Seitenzahn-Kauflächen, sondern auch als Behandlungsmethode für leichte Formen der Approximalkaries, also der häufigen Kariesvariante an der Kontaktstelle zwischen zwei benachbarten Zähnen. Anstatt die geschädigte Zahnoberfläche aufzubohren, wird sie einfach versiegelt. Der Review beschäftigt sich auch mit einer weiteren Behandlungsmethode, für die man den weicheren, demineralisierten Zahnschmelz nicht nur von oben versiegelt, sondern mit Kunststoffmaterial „infiltriert“. Beide Verfahren sollen eine Barriere erzeugen, um den Zahn vor Säuren und damit vor weiterem Materialverlust zu schützen.
Die verfügbare Evidenz von moderater GRADE-Vertrauenswürdigkeit zeigt, dass dies wahrscheinlich wirklich funktioniert. Durch die beiden Behandlungsmethoden reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Ausbreitung der Karies im Vergleich zu traditionellen nicht-invasiven Behandlungen (z. B. Fluoridlack) oder Präventionsratschlägen (z. B. für die Verwendung von Zahnseide) auf rund ein Viertel.
Ein weiterer Cochrane Review vergleicht die Wirksamkeit der Fissurenversiegelung gegen Karies mit jener von Fluoridlacken (siehe die letzte Folge unserer Serie). Auf Basis der sehr gering vertrauenswürdigen Evidenz lässt sich allerdings nicht sagen, welche von beiden gut belegten Maßnahmen die bessere ist.
Fissurenversiegelung: Empfohlen, aber kein Muss
Die Praxis der vorbeugenden Fissurenversiegelung, aber auch der Behandlung beginnender Kariesläsionen durch eine Versiegelung basiert also auf recht vertrauenswürdiger Evidenz. Zu diesem Schluss kommt auch die deutsche S3-Leitlinie „Fissuren- und Grübchenversiegelung“ von 2017: „Bei Kindern und Jugendlichen mit einem erhöhten Kariesrisiko und bestehender Kariesaktivität sollte die Fissuren- und Grübchenversiegelung prioritär eingesetzt werden.“
Zahnexperte Falk Schwendicke stellt aber auch klar, dass die Maßnahme damit noch kein Automatismus für alle Kinder ist sei: „Die Applikation der Fissurenversiegelung sollte nach Abwägung von individuellem und zahnflächenspezifischem Risiko erfolgen. Hierzu sollte man mit dem oder jeweiligen Behandelnden das Gespräch suchen“, so Schwendicke.
Bei geringem Risiko kann man also auch darauf verzichten, etwa wenn das Kind ausgeprägte Angst vor der an sich harmlosen Behandlung hat. So oder so wäre es falsch, sich allein auf die Schutzwirkung der Fissurenversiegelung zu verlassen. Denn sie beseitigt längst nicht alle Angriffspunkte für die Karies und darf auf keinen Fall das regelmäßige Zähneputzen ersetzen.
Weiterführende Infos: Beschreibung des Behandlungsablaufes auf der Webseite der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
Text: Georg Rüschemeyer, Cochrane Deutschland
Text: Georg Rüschemeyer, Cochrane Deutschland
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