Angst im Alter: Warum ein Cochrane Review gezielt Studien für ältere Erwachsene auswertet

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Ältere Erwachsene weisen bei einer Angststörung andere Charakteristika auf als jüngere und sind in Studien oft unterrepräsentiert. Ein Cochrane Review versucht nun, die Evidenzlücke bei Angststörungen im Alter zu schließen.

Text: Franziska Halter, Psychologin
Faktencheck: Dr. Birgit Schindler, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Pharmazeutin


Auf den ersten Blick mag es überflüssig erscheinen, sich gezielt auf ältere Erwachsene zu beziehen. Ab 18 Jahren gilt man als erwachsen, weshalb sollte man die Wirksamkeit psychotherapeutischer Methoden noch einmal getrennt für ältere Altersgruppen untersuchen?

Die Diagnose bleibt gleich, die Charakteristika ändern sich …

Im Internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (engl. „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD) werden in der Gruppe der „Angstbezogenen Störungen“ verschiedene Formen von Angst unterschieden. Was auffällt: Das Alter ist kein Faktor, der in die Diagnose einfließt.

Auch wenn die formale Diagnose bei Erwachsenen unabhängig vom Alter erfolgt, nennen die Cochrane-Autor*innen einige Aspekte der Angststörungen, die sich bei älteren Erwachsenen im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen unterscheiden.

Menschen, die erst in höherem Alter eine Angststörung diagnostiziert bekommen, haben möglicherweise einen Beginn im jungen Erwachsenenalter und bereits einen chronischen Verlauf. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Hälfte aller Angst-Neuerkrankungen vor dem 20. Lebensjahr beginnen.

Ältere Menschen haben außerdem durchschnittlich mehr körperliche Begleiterkrankungen, die sich auch auf die Angstinhalte auswirken können. So kann sich beispielsweise durch die Erfahrung von Stürzen oder die Sorge vor Sturzfolgen oder nachlassender Kraft, Koordination oder Sehfähigkeit, eine Sturzangst entwickeln. Aber auch die Angst vor körperlichen oder psychischen Erkrankungen, wie Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen oder der Entwicklung von Demenz, kann zu einer Angststörung führen. Was die generalisierte Angststörung betrifft, berichten die Cochrane-Autor*innen, dass bei Älteren andere Sorgeninhalte im Vordergrund stehen. Während sich die Sorgen jüngerer Menschen mit generalisierter Angststörung häufig um Beruf, finanzielle Dinge und Sozialleben drehen, stehen bei älteren Erwachsenen oft Gesundheitsaspekte und das Wohlergehen von Familienmitgliedern im Vordergrund. Diese Unterschiede bei den Angstinhalten wirken sich auch auf die Therapie aus.

Viele Therapiestudien schließen ältere Erwachsene aus

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie sprach in ihrer im Jahr 2021 aktualisierten „S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen“ den höchsten Empfehlungsgrad für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) aus. Die Fachgesellschaft gibt jedoch keine spezielle Behandlungsempfehlung für ältere Erwachsene – die einzige, limitierte Evidenz zu Angststörungen bei älteren Erwachsenen fanden sie für die generalisierte Angststörung. Diese war zu wenig aussagekräftig, um eine Behandlungsempfehlung abzuleiten.

Warum fehlt Evidenz? Studien definieren Ein- und Ausschlusskriterien, die meist sehr genau festlegen, wer an der Studie teilnehmen darf. Das Ziel ist es, eine möglichst einheitliche Gruppe zu bekommen, die sich in ihren Symptomen ähnelt und nicht zu viele weitere Erkrankungen hat, die die Ergebnisse beeinflussen können. Das erhöht die interne Validität der Studie, schränkt aber die Generalisierbarkeit ein. Durch diese Kriterien werden oft ältere Personen direkt oder indirekt ausgeschlossen: Teilweise geben die Studien eine Altersbegrenzung von 18 bis 65 Jahren vor. Andere Studien wählen Ausschlusskriterien, wie das Vorhandensein mehrerer Begleiterkrankungen oder kognitiven Abbau, und schließen so ältere Erwachsene häufiger aus. Deshalb sind die Ergebnisse vieler klinischer Studien nicht ohne Weiteres auf Ältere übertragbar.

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Was ist eigentlich die kognitive Verhaltenstherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) fokussiert sich auf die menschliche Kognition, also auf Einstellungen, Bewertungen, Gedanken und Überzeugungen. Die therapeutische Arbeit zielt in der klassischen Form der KVT darauf ab, dass betroffene Personen dysfunktionale Kognitionen erkennen, sie in Übungen korrigieren und anschließend im Alltag umsetzen.
Bei einer Angststörung geht es konkret darum, übermäßige und unrealistische Angstreaktionen zu erkennen, sie neu zu bewerten und die vermeintliche Gefahrensituation realistisch einzuschätzen. Betroffene können in der Therapie katastrophisierende Erwartungen überprüfen und alternative Denkmöglichkeiten erarbeiten sowie dauerhafte Lösungsstrategien aufbauen.
In der klassischen KVT spielt die Exposition bei Angststörungen eine große Rolle. Die Patient*innen werden therapeutisch begleitet schrittweise mit ihren Angstreizen konfrontiert – entweder indem sie sich der angstauslösenden Situation aussetzen, z.B. der Anwesenheit einer Spinne, oder indem sie Sorgen zu Ende denken. Anstatt des Vermeidungsverhaltens können Betroffene so konstruktive Verhaltensmuster aufbauen. So machen sie die Erfahrung, dass die Intensität der Angst oder der Sorge mit der Zeit nachlässt.
Ansätze der sogenannten Dritten Welle der Verhaltenstherapie sind zum Beispiel die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, die achtsamkeitsbasierte KVT oder die Schematherapie. Sie sind Weiterentwicklungen der kognitiven Verhaltenstherapie und setzen den Fokus nicht mehr auf die Veränderung und Umstrukturierung negativer Gedanken und Gefühle, sondern auf ihre Akzeptanz. In der S3-Leitlinie aus dem Jahr 2021 gibt es noch keine explizite Empfehlung für eine Therapieform der dritten Welle.

Und was kommt dabei raus, wenn man gezielt ältere Erwachsene untersucht?

Der aktuelle Cochrane Review untersuchte aus diesen Gründen die Wirkung der kognitiven Verhaltenstherapie bei älteren Erwachsenen mit einer Angststörung. Dafür verglichen die Forschenden diese Therapien mit einer Minimalversorgung, die keine psychologische Behandlung vorsieht, sondern bspw. eine Warteliste oder eine allgemeine Unterstützung umfassen kann. Dafür wurden mehrere Datenbanken nach randomisierten kontrollierten Studien durchsucht. Die Autor*innen schlossen 21 Studien mit 1234 über 55-Jährigen ein. Auch wenn die meisten Studien Betroffene mit verschiedenen Angststörungen untersuchten, hatten die meisten Patient*innen eine generalisierte Angststörung. Der Schweregrad der Angststörungen variierte von mild bis schwer, wobei die Teilnehmenden durchschnittlich seit mehr als 15 Jahren mit Angstsymptomen lebten. Untersucht wurde vor allem die klassische KVT, bei der die Therapeut*innen im Durchschnitt 8 bis 15 Sitzungen von ungefähr 50 Minuten pro Sitzung durchführten.

Der Review zeigt, dass eine KVT im Vergleich zu einer minimalen Versorgung möglicherweise zu einer leichten bis moderaten Verringerung der Angstsymptome – erhoben unmittelbar am Ende der Behandlung – führt. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz ist allerdings niedrig, weil eine Verblindung nicht möglich war und viele Patient*innen die Studien auch aufgrund von Behandlungsunzufriedenheit abbrachen. Die Reduktion der Angstsymptome hielt bei den Teilnehmenden nach sechs Monaten nicht mehr an.

Eine KVT verbessert wahrscheinlich auch leicht das psychische Wohlbefinden am Ende der Behandlung. Hierfür ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz moderat. Es gibt keine ausreichenden Daten dazu, ob eine KVT zu einer vollständigen Genesung führt, definiert als Unterschreiten eines festgelegten Schwellenwertes auf validierten Testskalen.

Wie schneidet die KVT bei älteren im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen ab?

Das kann der Review leider nicht direkt beantworten. Im indirekten Vergleich zeigt sich jedoch in beiden Altersgruppen ein gemeinsames Ergebnis: Auch bei Jüngeren mit generalisierter Angststörung verringern sich die positiven Auswirkungen einer KVT nach 12 Monaten im Vergleich zu unmittelbar nach der Behandlung.

Fest steht: Die KVT ist bei jüngeren Erwachsenen deutlich besser erforscht, als bei älteren Erwachsenen. So fehlen Studien, um einen differenzierten Eindruck über die Wirksamkeit getrennt für jede Diagnose (z.B. nur die soziale Phobie) zu bekommen. Außerdem raten die Cochrane Autor*innen davon ab, Personen über 65 Jahren in klinischen Studien auszuschließen. Nur so können Forschende zuverlässige Evidenz für diese Altersgruppe gewinnen und diese Evidenz über verschiedene Altersgruppen hinweg vergleichen.


Unsere Autorin Franziska Halter ist Psychologin und seit Sommer 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Cochrane Deutschland

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