Der tägliche Löffel von widerlich schmeckendem Lebertran ist schon lange passé. Heute kommen Omega-3-Fettsäuren zumeist in Form kleiner Kapseln mit Fischöl, die man für ein paar Euro rezeptfrei im Drogeriemarkt kaufen kann. Doch wie viel Mehrwert hat es, zusätzliches Omega-3 in Kapselform einzunehmen? Das eben veröffentlichte Update des Cochrane-Reviews „Omega-3-Fettsäuren zur Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen“ sieht dafür nach wie vor wenig Evidenz. Ko-Autorin Lee Hooper von der englischen University of East Anglia erklärt die Ergebnisse in unserem Interview.
Dr. Hooper, erzählen Sie uns von diesem Cochrane-Review.
In der Öffentlichkeit ist der Glaube an die kardiovaskulären Vorteile von Omega-3-Fetten sehr groß. Die Aufnahme von langkettigen Omega-3-Fettsäuren in den USA durch Nahrungsergänzungsmittel ist höher als durch Lebensmittel. Aber die Ratschläge zur öffentlichen Gesundheit unterscheiden sich von Land zu Land. Das National Institute for Health and Clinical Excellence in Großbritannien ermuntert die Menschen, öligen Fisch zu essen (die natürliche Hauptquelle für langkettige Omega-3-Fettsäuren), rät aber von einer Supplementierung ab. Die American Heart Association in den USA empfiehlt ebenfalls den Verzehr von öligem Fisch und deutet darauf hin, dass auch eine Ergänzung erforderlich sein könnte. Wir waren an der Evidenz interessiert – sind Omega-3-Fette schützend und wenn ja, wie sehr schützen sie? Wir untersuchten die Auswirkungen von langkettigen Omega-3-Fettsäuren, die als fetter Fisch und als Nahrungsergänzungsmittel verabreicht werden. Zudem untersuchten wir die Auswirkungen von Alpha-Linolensäure (ALA, eine kurzkettige Omega-3-Fettsäure, die in Pflanzenölen enthalten ist), die als Nahrungsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel verabreicht wird.
Es handelt sich hier um ein Update – was hat sich im Vergleich zum letzten Update von 2018 geändert?
Wir haben dieses Update durchgeführt, weil Ende 2018 und Anfang 2019 drei sehr große, über mehrere Jahre laufende Studien veröffentlicht wurden, die die Auswirkungen von Supplementen mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren auf die Ergebnisse des Herz-Kreislauf-Systems untersucht haben. Diese erhöhten die Anzahl der Personen, die randomisiert für mindestens 12 Monate an relevanten Studien teilnahmen, um über 30 Prozent, mit dem Potential, die Ergebnisse zu verändern. Dieses Update umfasst nun 86 RCTs (randomisierte kontrollierte Studien) mit insgesamt 162.796 Teilnehmern, die für mindestens ein Jahr entweder langkettige Omega-3-Fettsäuren oder ALA einnahmen. Die Studien bewerteten die Mortalität oder eine Form von kardiovaskulären Erkrankungen. Die Einbeziehung weiterer Teilnehmer, von denen einige kardiovaskuläre Ereignisse erlebten, hat uns bessere Möglichkeiten gegeben, die Auswirkungen von Omega-3-Fettsäuren auf die kardiovaskuläre Gesundheit zu erkennen.
Von den 86 eingeschlossenen Studien hatten 28 ein geringes summarisches Risiko von Bias (hohe Vertrauenswürdigkeit der Evidenz). Die meisten Studien gaben Nahrungsergänzungsmittel; 19 Studien gaben Nahrungsergänzungsmittel mit mindestens drei Gramm pro Tag langkettigen Omega-3-Fettsäuren.
Der Review aus dem Jahr 2018 lieferte gute Evidenz dafür, dass die Einnahme von langkettigen Omega-3-Fettsäuren weder der Herzgesundheit noch dem Schlaganfall- oder Sterberisiko zugute kommt. Ist dies immer noch der Fall?
Wie in der vorherigen Version dieses Reviews deutet die Meta-Analyse darauf hin, dass eine Erhöhung der Zufuhr von langkettigen Omega-3-Fettsäuren wenig oder gar keinen Einfluss auf die Gesamtmortalität, die kardiovaskuläre Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse, Schlaganfall oder Arrhythmie hat.
Das aktuelle Update deutet jedoch darauf hin, dass eine erhöhte Einnahme langkettiger Omega-3-Fettsäuren die Sterblichkeit bei koronaren Herzerkrankungen und koronaren Ereignissen leicht verringern könnte. Diese Effekte waren sehr gering. 334 Personen müssten über mehrere Jahre hinweg vermehrt langkettige Omega-3-Fettsäuren einnehmen, damit eine Person nicht an einer koronaren Herzkrankheit stirbt. 167 Personen müssten mehr einnehmen, damit eine Person nicht ein Ereignis einer koronaren Herzkrankheit, zum Beispiel einen Herzinfarkt, erleidet.
Wir fragten uns, ob die Auswirkungen von langkettigen Omega-3-Fetten in längeren Studien oder in Studien mit höheren Dosen größer wären. Die Wirkungen unterschieden sich jedoch nicht nach Studiendauer oder Dosis in einer vorher geplanten Untergruppenbildung oder Meta-Regression.
Eine Erhöhung der langkettigen Omega-3-Fettsäuren hatte keine oder nur geringe Auswirkungen auf schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, Fettleibigkeit, Lipide oder Blutdruck. Allerdings reduzierte sie Triglyceride um ca. 15 % in einer dosisabhängigen Weise.
Wie sieht diese Effektgröße einer Number Needed to Benefit (NNTB) von 167 beziehungsweise 334 im Vergleich zu anderen Medikamenten aus, die in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden?
Simvastatin (ein lipidsenkendes Medikament aus der Gruppe der Statine) in der Sekundärprävention: In der 4S-Studie, an der Personen teilnahmen, die vor kurzem einen Herzinfarkt erlitten hatten, starben 8% der Teilnehmer, die Simvastatin einnahmen, aber 12% der Teilnehmer, die das Placebo einnahmen. Das bedeutet einen Unterschied von 4%, so dass der NNTB bei 25 lag. Fünfundzwanzig Personen mussten also etwa fünf Jahre lang Simvastatin einnehmen, um den Tod einer Person zu verhindern. Die meisten von uns entscheiden sich für die Einnahme von Statinen nach einem Herzinfarkt.
Statine in der Primärprävention: Die Zehnjahres-NNTBs für Statine in der Primärprävention liegen bei entsprechender Anwendung bei etwa 30. Dreißig Personen müssen etwa 10 Jahre lang ein Statin einnehmen, damit bei einer Person keine atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung auftritt.
Ezetimibe (ein Cholesterinabsorptionshemmer) in der Sekundärprävention: Wenn 50 Personen mit akutem Koronarsyndrom zusätzlich zu einem Statin sieben Jahre lang Ezetimibe einnehmen, wird eine Person ein kardiovaskuläres Ereignis vermeiden.
Dies sind die Zahlen, die wir mit wirksamen Medikamenten in Verbindung bringen – NNTBs von 25 bis 50. Sehr viel mehr Menschen müssen eine langkettige Omega-3-Ergänzung einnehmen, um ein einzelnes koronares Herzkrankheitsereignis oder den Tod zu verhindern. Langkettige Omega-3-Fettsäuren (mit NNTBs von 167 beziehungsweise 334), sind viel weniger wirksam als diese Medikamente und fast alle Menschen, die diese Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, werden nicht davon profitieren.
Haben sich die Schlussfolgerungen in Bezug auf fettem Fisch geändert? Schützt er unsere Herzen?
Leider haben wir keine zusätzlichen Studien gefunden, die die Menge an ölhaltigem Fisch, die die Teilnehmer gegessen haben, erhöht hätten. Das bedeutet, dass wir die Auswirkungen des vermehrten Verzehrs von öligem Fisch auf die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems noch immer nicht vollständig verstehen. Fisch und Meeresfrüchte sind nährstoffreich und reich an einer Vielzahl anderer Nährstoffe (wie z.B. Vitamin D, Kalzium, Jod, Selen, Eiweiß), so dass sie auch ohne kardiovaskuläre Vorteile nützlich sind.
Welche Auswirkungen hat die vegetarische/vegane Version von Omega-3, ALA?
Eine Erhöhung der ALA-Aufnahme macht wahrscheinlich wenig oder keinen Unterschied in Bezug auf die Gesamtmortalität, die kardiovaskuläre Mortalität, die Mortalität bei koronaren Herzkrankheiten und die Ereignisse bei koronaren Herzkrankheiten. Eine erhöhte ALA-Zufuhr kann jedoch das Risiko von kardiovaskulären Krankheitsergebnissen und Herzrhythmusstörungen leicht verringern. Auch hier sind diese Auswirkungen gering: 500 Personen müssten ihre ALA-Zufuhr über mehrere Jahre hinweg erhöhen, um zu verhindern, dass eine Person ein CVD-Ereignis erleidet, und 91 Personen müssten die ALA-Zufuhr erhöhen, um zu verhindern, dass eine Person eine Arrhythmie erleidet.
Gibt es Pläne, diese Übersicht bald wieder zu aktualisieren?
Der Review muss aktualisiert werden, sobald weitere große und qualitativ hochwertige Studien über den Verzehr von ölhaltigem Fisch und/oder die Erhöhung der ALA-Aufnahme vorliegen. Wir hoffen, dass dies bald geschieht. Es laufen keine weiteren sehr großen Studien über langkettige Omega-3-Nahrungsergänzungsmittel, die eine automatische Aktualisierung auslösen werden, obwohl einige große Studien weitere Ergebnisdaten zur Verfügung stellen könnten.
Zum Original-Interview mit Dr. Lee Hooper auf Englisch. Text Adaptiert und übersetzt von Cochrane Deutschland.
Zum Review: Abdelhamid AS, Brown TJ, Brainard JS, Biswas P, Thorpe GC, Moore HJ, et al. Omega-3 fatty acids for the primary and secondary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev. 2020;Issue 2:CD003177. DOI: 10.1002/14651858.CD003177.pub5
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