Forscherinnen und Forscher kämpfen um begrenzte Fördermittel, um ihre Arbeit zu finanzieren. Ein Nebenprodukt dieses Wettkampfs sind Studien, die kaum zum Erkenntnisgewinn beitragen oder sogar unnötig sind. Solche Studien werden unter dem Begriff „research waste“ zusammengefasst. Ein spannendes Thema von dem ich beim EBM-Kongress in Basel erstmals gehört habe. In diesem Blog-Beitrag möchte ich einen Überblick über dieses wichtige Thema geben.
Patientenorientierte Forschung
Grundsätzlich ist Forschung etwas Tolles. Neue Erkenntnisse werden gewonnen und Lösungen für Probleme gefunden. Die Welt der Forschung kämpft aber auch mit einigen Herausforderungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen zur Finanzierung ihrer Arbeit teilweise Mittel der Industrie. Obwohl die Absichten solcher Forschungsförderung gut sein mögen, kann dies dazu führen, dass Ergebnisse nicht transparent berichtet werden. Als wichtiges Beispiel muss hier die Lebensmittelindustrie genannt werden, in der industrielle Fördergeber die Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft manipuliert haben. So versuchte die Zuckerindustrie, den Zusammenhang zwischen Zucker und koronare Herzkrankheit (KHK) in den 1950er Jahren zu verharmlosen und den Fokus auf Fette zu setzen, wie die Publikation „Sugar Industry and Coronary Heart Disease Research“ von Cristin E Kearns et al. aus dem Jahre 2016 beschreibt.
Die Absichten der medizinischen Forschung sind unser Verständnis zu erweitern und die Gesundheit von Menschen zu fördern, jedoch nicht für eine Gewinnmaximierung der Unternehmen zu sorgen.
Aber was genau ist nützliche Forschung? Und wie setzt man sie um? Die Definition von nützlicher Forschung variiert je nach Forschungsfeld, Förderprogrammen, Organisationen und Unternehmen der Branche. Für Pharmakonzerne kann nützliche Forschung bedeuten, dass in der letzten Phase der pharmazeutischen Entwicklung Versuche an Menschen durchgeführt werden. Für Krankenhäuser wiederum, kann nützliche Forschung sein, die unterschiedlichen Methoden der Patientenbehandlung zu untersuchen. Für Patientinnen und Patienten, kann nützliche Forschung eine wegweisende klinische Studie für eine mögliche Heilung ihrer Krankheit darstellen. Die subjektive Natur des Begriffes „nützliche Forschung“, gemischt mit dem breiten Umfang des persönlichen Interesses macht es zu einem schwer definierbaren Begriff. Wie entsteht ein subjektiv, wichtiges Forschungsprojekt, das von einem Individuum definiert wird und später auch tatsächlich für die Patientinnen und Patienten nützlich ist? Zur Beantwortung von Fragen wie dieser und vielen ähnlichen, wurde der Begriff „patientenorientierte Forschung“ entwickelt. Diese Form der Forschung stellt sicher, dass jeder Schritt eines Forschungsvorhabens das beste Ergebnis für die Patientinnen und Patienten im Blick hat. Hervorgehoben wurde dies auf dem EBM-Kongress in Basel. Patientenorientierte Forschung bezieht patientenrelevante Endpunkte ein – schaut also auf die Ergebnisse, die für Patientinnen und Patienten spürbar und wichtig sind. Ziel patientenorientierter Forschung ist es die Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig die Belastung für das Gesundheitssystem klein zu halten. Patientinnen und Patienten sollten bereits ab der Planung einer Studie einbezogen werden, damit sichergestellt ist, dass die Studie patientenrelevante Aspekte untersucht und für Patientinnen und Patienten nützlich bleibt.
Wie können wir „research waste“ reduzieren?
Der erste Schritt, um die Gesamteffizienz des Forschungsprozesses zu verbessern, ist es “research waste“ zu reduzieren. Von sogenanntem Forschungsabfall spricht man, wenn Studienergebnisse keine wesentliche Anwendung auf dem Gebiet haben, also quasi nutzlos sind. In seiner Keynote während des jüngsten 2020 EbM-Kongresses in Basel, hat Dr. Treweek von der Universität Aberdeen skizziert, wie man die Produktion von „research waste“ minimieren kann. Er rief dazu auf, folgende Punkte zu beachten:
- Wissen was bereits geforscht wurde: Betreiben Sie Forschung vor Ihrer Forschung. Die Sammlung von bereits veröffentlichten Studien und systematischen Übersichten kann unbeabsichtigte Datenduplizierung und damit die Vergeudung von Ressourcen verhindern.
- Design für die Nutzerinnen und Nutzer: Fragen Sie sich, wer und was bin ich, dass ich diese Forschung verfolge. Stellen Sie sicher, was Sie erreichen wollen, und wen Ihre Forschung erreichen soll. Gibt es eine Notwendigkeit? Wird es jemandem helfen? Im Vergleich zu vorherigen systematischen Übersichten für die die klinische Relevanz bereits gewährleistet ist, ist Ihre Arbeit ebenfalls klinisch relevant für Ihre Zielgruppe?
- Denken Sie über den Prozess nach: Sind Sie sich sicher, dass das beabsichtigte Forschungsvorhaben die effizienteste und beste Herangehensweise ist um die Forschungsfrage zu beantworten? Holen Sie sich Rat von Forscherinnen und Forschern, die ähnliche Studien bereits erstellt haben und fragen Sie nach einer zweiten Meinung bevor Sie Ihren Forschungsantrag stellen.
- Forschung ist Teamarbeit: Nur wenige sind Expertinnen bzw. Experten auf einem breiten Gebiet. Wissen, wann ein Thema über Ihr Spezialgebiet hinausgeht und ein anderes erreicht, ist wichtig.
Die Anwendung dieses Modells in der Forschungsplanung hilft zu verhindern, unnütze Forschung zu betreiben. Es soll uns ermutigen, unseren Vorschlag zu reflektieren und ermöglicht es uns, Patientinnen und Patienten bereits in den frühen Schritten der Planung zu integrieren. Dies schafft nicht nur relevante Forschung, sondern insbesondere patientenrelevante Forschung. Dadurch wird sichergestellt, dass die Forscherinnen und Forscher die Forschung nicht nur in einen patientenrelevanten Kontext setzten, sondern auch in einer patientenrelevanten Art und Weise planen.
Relevante Forschung in die Praxis bringen
Die Durchführung von patientenorientierter Forschung ist das verbindende Puzzlestück zwischen einer Forschungspublikation und deren Umsetzung im klinischen Kontext. Wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft das patientenorientierte Forschungsmodell etabliert, wird nicht nur die Menge an nützlicher Forschung drastisch erhöht, sondern wahrscheinlich auch Verbesserungen der Patientenversorgung erreicht. Wenn dieses Forschungsmodell das Leben von nur einer Person verbessert, hat es bereits klinische Relevanz erreicht. Durch die Reduzierung von „research waste“ werden gleichzeitig auch Ressourcen frei, die für andere wichtige Forschungsinitiativen genutzt werden können.
Persönliches Fazit
Für mich als Medizinstudentin im zweiten Jahr war es spannend zu sehen mit welchen Herausforderungen und Hürden sich Forscherinnen und Forscher beschäftigen müssen. Die Teilnahme am EBM-Kongress gab mir einen guten Einblick in die Welt der EBM. Vor dem Kongress nahm ich auch am Studierendentag teil. Dort trafen sich Studierende aus Deutschland, Schweiz und Österreich, um über Methoden der EBM zu lernen – auch hier lag der Fokus auf patientenrelevanter Forschung. Der Studierendentag war eine tolle Gelegenheit, um sich mit anderen Studierenden auszutauschen und zu vernetzen. Gleichzeitig bereitete er mich gut auf die Konferenz vor. Ich hoffe eines Tages nach meinem Studium meinen Beitrag zu leisten, dass Forschung relevant ist und die Praxis verbessert.
Text: Arianna Gadinger
Arianna Gadinger und Stina Øvstetun sind Medizinstudentinnen und erhielten von Cochrane Österreich und der Karl-Landsteiner-Privatuniversität ein Stipendium zur Teilnahme am Studierendentag und am EBM-Kongress in Basel