Die meisten Kinder und Jugendlichen bewegen sich im Alltag viel zu wenig. Einen grossen Teil ihres Tages verbringen sie im Kindergarten, in der Schule oder in der Nachmittagsbetreuung. Daher untersuchten zwei Cochrane Reviews der Public Health Gruppe, ob dort spezielle Massnahmen die Kinder zu mehr Bewegung animieren können.
Montagmorgen an einem gewöhnlichen Schultag: Um 7:00 Uhr klingelt bei Ben der Wecker. Schnell springt er aus dem Bett, zieht sich an und schlingt sein Frühstück runter. Anschliessend setzen seine Eltern ihn mit dem Auto direkt vor der Schule ab, wo er den Vormittags größtenteils sitzend im Klassenzimmer verbringt. Nach der Schule erledigt er im Hort seine Hausaufgaben. Abends darf Ben noch seine Lieblingsserie anschauen oder am Computer spielen. Für Bewegung bleibt da wenig Zeit. So ähnlich sieht der Alltag vieler Kinder und Jugendlicher aus.
Vorteile eines bewegten Alltags
Dass Bewegung in jedem Alter für die Gesundheit vorteilhaft ist, wurde ausgiebig erforscht und steht unter Expert*innen ausser Frage. So fördert Bewegung ein gesundes Körpergewicht, verbessert die Herzkreislaufgesundheit sowie die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit. Zudem steigert sie Selbstvertrauen, Konzentration und Ausdauer der Kinder und Jugendlichen. Daher empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation Kindern und Jugendlichen zwischen 5-17 Jahren mindestens 60 Minuten körperliche Aktivität pro Tag bei moderater bis erhöhter Intensität.
Die Realität sieht jedoch anders aus: Weltweit bewegt sich nur ein Drittel von ihnen entsprechend der WHO Empfehlung ausreichend. So verbringen Kinder und Jugendliche im deutschsprachigen Raum verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen 60 bis 90 Prozent ihres Tages im Sitzen, Liegen oder mit leichter Aktivität. Und dieses sogenannte «sedentäre Verhalten» nimmt mit zunehmendem Alter der Jugendlichen auch noch zu.
Wie man es auch dreht und wendet: Unsere Kinder gammeln zu viel herum. Als Eltern kann man sie am Wochenende vielleicht noch zum Radfahren oder Fussballspielen motivieren. Doch wie bringt man mehr Bewegung in Schule und Hort? Dieser Frage gehen zwei aktuelle Reviews der Cochrane Public Health Gruppe nach.
Mehr Bewegung in der Schule
Im ersten Review schloss das Autorenteam 89 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 66.752 Kindern und Jugendlichen ein. Diese stammen aus vielen Ländern der Welt, darunter auch der Schweiz und Deutschland. Die Studien verglichen spezielle Interventionsprogramme für mehr Bewegung mit den üblichen Bewegungsangeboten wie dem regulären Sportunterricht. Diese schulischen Massnahmen konnten recht unterschiedlich aussehen. So wurden beispielsweise Informationsmaterialien bereitgestellt, der Lehrplan angepasst, Wettbewerbe zwischen Schulen oder Klassen organisiert oder die Schulumgebung angepasst.
Die Ergebnisse zur Wirksamkeit dieser Massnahmen sind allerdings ernüchternd: Die mässige bis intensive körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen wurde durch sie nur geringfügig oder gar nicht erhöht, im Schnitt um weniger als eine Minute. Immerhin reduzierte sich das sedentäre Verhalten der Kinder und Jugendlichen im Schnitt um ca. 4 Minuten pro Tag. Auch die körperliche Leistungsfähigkeit verbesserte sich ein bisschen. Auf den Body Mass Index hatten die Massnahmen keine Auswirkungen. Die Studienlage war zu unsicher, um verlässliche Aussagen zur Lebensqualität und unerwünschten Wirkungen zu treffen.
Mehr Bewegung im Hort
In der zweiten Übersichtsarbeit schlossen die Autor*innen neun randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 4.458 Kindern in den USA und Norwegen ein, darunter auch cluster-randomisierte Studien. Mit den untersuchten Massnahmen sollte die körperliche Aktivität von Kindern im Alter von 4 bis 12 Jahren in Betreuungseinrichtungen ausserhalb der Schulzeit gesteigert werden. Sie umfassten unter anderem bessere Möglichkeiten für Kinder, körperlich aktiv zu sein, intensivere Aktivität während der bestehenden aktiven Spielzeit oder auch die Beseitigung konkurrierender Angebote.
Auch hier ergab sich nur eine geringe oder gar keine Steigerung der körperlichen Gesamtaktivität. Im Schnitt betrug diese 1,7 Minuten mehr pro Tag. Zwei Studien zeigten, dass Kinder im Rahmen der ausserschulischen Betreuung zwischen 4 und 7 Prozent mehr Zeit mit moderater bis starker körperlicher Bewegung verbrachten. Die kardiovaskuläre Fitness der Kinder verbesserte sich allerdings nicht. Auch hier berichtete keine der Studien über Nebenwirkungen der Massnahmen oder die Lebensqualität der Kinder.
Bewegter Alltag von klein auf
Auch wenn die beobachteten Effekte eher klein sind, liefern die beiden Reviews doch Hinweise darauf, dass einige der untersuchten Massnahmen zu einer gewissen Erhöhung der Gesamtaktivität von Kindern und Jugendlichen beitragen können. Dabei deuten einige der eingeschlossenen Studien darauf hin, dass sich Bewegung durch den ganzen Alltag ziehen sollte. Zudem sollte man am besten mehrere Massnahmen gleichzeitig umsetzen. So ist es wichtig, nicht nur Informationen oder Leitfäden an die Lehr- und Betreuungspersonen zu verteilen, sondern diese auch aktiv zu schulen. Eine wichtige Rolle spielt auch der Schulweg und das Vorleben eines bewegten Alltags durch die Eltern.
Dieser Aufwand könnte sich auch langfristig auszahlen. Denn es gibt Hinweise darauf, dass sich Menschen, die bereits in der Kindheit aktiv sind, auch als Erwachsene mehr bewegen.
Idealerweise fährt Ben also mit seinen Freunden mit dem Fahrrad zur Schule, anstatt mit seinen Eltern im Auto. Dort angekommen sitzt er nicht die ganze Zeit, sondern kommt schon im Unterricht in Bewegung und spielt in den Pausen Fussball oder Fangen. Ideen für solch einen körperlich aktiveren Unterricht finden sich unter anderem bei «Schule bewegt», ein Projekt von Swiss Olympics, dem Dachverband des Schweizer Sports. Und nach einem derart bewegten Tag kann Ben dann auch getrost mal seine Lieblingsserie schauen. Oder einfach auf dem Sofa chillen.
Text: Anne Borchard, Cochrane Schweiz
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