Kunst von Leonardo Da Vinci

Wenn «Da Vinci» mit am Operationstisch steht

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«Da Vinci» – diesen Namen verwenden nicht nur Kunstinteressierte, sondern auch Ärzte und Patienten. Gemeint ist dann aber nicht der Maler, Erfinder und Universalgelehrte der Renaissance, sondern ein Roboter, der in den Spitälern immer häufiger bei verschiedenen chirurgischen Eingriffen eingesetzt wird. Und dies obwohl der Nutzen für die Patienten nicht immer gesichert ist. Das zeigt ein im Jahr 2019 veröffentlichter Bericht des Swiss Medical Board, welcher auf Grundlage zweier Cochrane Reviews erstellt wurde.

Neben Chemotherapie und Bestrahlung ist bei vielen Krebserkrankungen nach wie vor die operative Entfernung des betroffenen Gewebes eine wichtige Säule der Behandlung. Für viele chirurgische Eingriffe gibt es aber verschiedene Methoden: Neben der herkömmlichen offenen Operation kann oft auch die sogenannte Schlüsselloch-Technik eingesetzt werden. Da der Chirurg dabei mit endoskopischen Instrumenten arbeitet, mit denen das Bild aus dem Inneren des Körpers auf ein Bildschirm übertragen wird, sind mehrere kleine statt einem grossen Hautschnitt nötig, was besonders für die Wundheilung und spätere Narbenbildung günstig ist. Diese Eingriffe werden auch als «minimal-invasiv» bezeichnet, einige davon sind mittlerweile zur Standardmethode avanciert.

Roboterunterstützte Operationen bei Krebs

Der technologische Fortschritt ist damit nicht beendet: Chirurginnen und Chirurgen können bei bestimmten Operationen einen Roboterarm einsetzen, der im sterilen Bereich des OP-Saals direkt neben dem Patienten steht und den sie von einem Nebenraum aus fernsteuern. In den Schweizer Spitälern wird derzeit fast überall ein Roboter mit dem berühmten Namensgeber «Da Vinci» eingesetzt, im Jahr 2018 schon an 33 Orten. Dank seiner Beliebtheit haben einige grössere Zentren mittlerweile sogar trotz Kosten in Millionenhöhe ein zweites solches Gerät angeschafft. Viele Chirurgen, die begonnen haben, mit dem Kollegen «Da Vinci» zusammenzuarbeiten, sind von seinen Vorzügen überzeugt. Statt in Kitteln, Handschuhen und Mundschutz in einer oft schwierigen Körperhaltung stundenlang direkt beim Patienten stehen zu müssen, sind die Arbeitsbedingungen an einer Konsole im Nebenraum für den Operateur körperlich viel weniger belastend.

Doch ob dieser Komfort auch zu einem besseren OP-Ergebnis und grösseren Nutzen für den Patienten führt, ist bisher unklar. Nur so könnten auch die erheblich höheren Kosten für Anschaffung und Verbrauchsmaterial sowie die meist längere Operationszeit gerechtfertigt werden. Ein Bericht des unabhängigen Expertengremiums Swiss Medical Board ging dieser Frage im Jahr 2019 nach.

Patientennutzen: eher gering

Jedes Jahr erhalten in der Schweiz ca. 1200 Frauen die Diagnose Gebärmutterkrebs und ca. 6400 Männer die Diagnose Prostatakrebs. Damit stellt Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern dar. Bei Frauen steht der Krebs von Gebärmutterhals oder -körper zusammengenommen an fünfter Stelle. Im Bericht des Swiss Medical Boards wurden der Nutzen und die Risiken des Einsatzes eines «Da Vinci» Roboters sowohl für die Entfernung der Prostata als auch der Gebärmutter untersucht. Zusätzlich wurden die Kosten geschätzt und dem Nutzen gegenübergestellt. Bei den Männern wurde die roboterunterstützte minimal-invasive Operation mit der Standardmethode einer offenen Prostataentfernung verglichen. Bei den Frauen wurden die minimal-invasive Entfernung der Gebärmutter mit und ohne Roboterunterstützung verglichen. Mit der offenen Operationsmethode wurde hier nicht verglichen, da diese mittlerweile nur noch selten eingesetzt wird.

Zwei Cochrane Reviews liefern die Evidenz

Für beide Fragestellungen wurden systematische Cochrane Reviews als Grundlage herangezogen. Der im Jahr 2017 veröffentlichte Cochrane Review zur Prostata-Operation fand nur zwei randomisierte Studien, an denen insgesamt 446 Männer teilnahmen. Dabei zeigte sich, dass bei der Entfernung der Prostata mit Roboterunterstützung die Schmerzen nach einem Tag und nach einer Woche etwas geringer waren. Allerdings schnitt in einer der berücksichtigten Studien die Operation mit Robotereinsatz in Bezug auf Schmerzen nach 12 Wochen nicht besser ab. Die Blasenfunktion und die sexuelle Funktion waren nach der Operation nur wenig besser als mit der offenen Operation. Es deutete sich jedoch an, dass mit der roboterunterstützten Prostataentfernung die Häufigkeit von Bluttransfusionen sowie die Dauer des Spitalaufenthalts verringert werden konnte. Insgesamt war die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz niedrig bis moderat.

In dem im Jahr 2019 veröffentlichten Cochrane Review zur Entfernung der Gebärmutter wurden für den Vergleich der beiden minimal-invasiven Methoden insgesamt 6 randomisierte Studien mit 632 Frauen eingeschlossen. Hinsichtlich der Schmerzen nach der Operation und der Komplikationsraten (sowohl während als auch nach dem Eingriff) machte der Robotereinsatz keinen Unterschied. Patientinnen, die mit Roboterunterstützung operiert wurden, benötigten möglicherweise häufiger eine Bluttransfusion. Diese Operationen dauerten durchschnittlich 41 Minuten länger; die Patientinnen wurden aber etwas früher entlassen. Für keinen dieser Endpunkte war der Unterschied zwischen den beiden Methoden der minimal-invasiven Gebärmutterentfernung statistisch signifikant; die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz war niedrig oder sogar sehr niedrig.

Höhere Kosten bei roboterunterstützten Operationen

Anders als in den Cochrane Reviews wurden im Bericht des Swiss Medical Boards auch die geschätzten Kosten der Operation mit und ohne Unterstützung durch «Da Vinci» analysiert. Hier zeigte sich, dass die Entfernung der Prostata mit dem Roboter insgesamt etwa 4000 CHF teurer ist als die offene Operation. Die Entfernung der Gebärmutter mit dem Roboter ist, je nachdem ob es sich um eine gutartige oder bösartige Erkrankung handelt, zwischen 4300 und 5500 CHF teurer als die herkömmliche minimal-invasive Operation. Dabei spielt es auch eine Rolle, ob die Operationen in wenigen Zentren mit hohen Fallzahlen durchgeführt werden oder in kleinen Spitälern, in denen die teuren Geräte nicht voll ausgelastet werden können.

Operieren mit «Da Vinci» – bei Gebärmutter- und Prostataentfernung eher nicht evidenzbasiert

Das Swiss Medical Board kam zu dem Schluss, dass es keine klare Evidenz gibt, die den medizinischen Nutzen der roboterassistierten Operation der Prostata bzw. der Gebärmutter für die betroffenen Männer und Frauen belegt. Dem stehen die zusätzlichen Kosten gegenüber, die durch den Einsatz von «DaVinci» entstehen. Daher empfahl das Expertengremium den Einsatz der Roboterunterstützung bei der Prostataentfernung nur bedingt, d.h. wenn mit jedem Gerät eine Mindestanzahl von Eingriffen durchgeführt wird. Für die Entfernung der Gebärmutter rät es generell von der roboterunterstützten Operation ab.

Wie bei allen Behandlungen ist auch bei diesen beiden chirurgischen Eingriffen eine gute Kommunikation zwischen Arzt bzw. Ärztin und den Betroffenen das A und O. Für Patienten mag der Vorschlag, eine neue Technologie einzusetzen, zunächst vielversprechend klingen. Die Behandelnden sollten jedoch ausreichend über die Vor- und Nachteile der roboterunterstützten Operation informieren und auch nicht verschweigen, dass der Nutzen in klinischen Studien bisher nur schwach oder gar nicht nachgewiesen werden konnte. Dies schliesst nicht aus, dass die Bilanz der Vor- und Nachteile für andere Eingriffe, die mit «Da Vinci « durchgeführt werden können, anders ausfällt. Roboter werden zukünftig immer häufiger eine Rolle in der Behandlung von Patienten im Spital spielen, nicht nur am Operationstisch. Für jede Anwendungsmöglichkeit muss genau betrachtet und regelmäßig neu bewertet werden, ob diese neue Technologie bereits sinnvoll angewendet werden kann, der Entwicklungsstand dafür noch nicht ausreichend ist oder der Einsatz generell nicht sinnvoll ist.

Text: Anne Borchard und Erik von Elm

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