Untersuchung bei Ärztin

Allgemeine Gesundheitschecks ohne Wirkung: „Den Steuerzahlenden viel Geld gespart“

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Vorsorgen ist besser als heilen. Heißt es. Umso erstaunlicher, dass allgemeine Gesundheitschecks („Screenings“) offenbar nicht den erhofften Effekt haben, etwa auf Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu diesem Ergebnis kam Lasse Krogsboll in einem viel beachteten Cochrane Review, zu dessen Hintergrund ihn Julia Harlfinger befragt hat.

Wie sind Sie seinerzeit zu dem Thema Ihres Cochrane Reviews gekommen?

Ich wollte unbedingt mein Wissen zu systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen vertiefen, mehr Erfahrungen dazu sammeln. Und Peter Gøtzsche vom Cochrane Center in Dänemark hat mir vorgeschlagen, das Thema „General Health Checks“ im Rahmen meines PhD-Projekts als Cochrane Review aufzuarbeiten. Zum damaligen Zeitpunkt dachte die dänische Regierung darüber nach, regelmäßige und umfassende Health Checks für Erwachsene zu implementieren, also ein systematisches Screeningprogramm für die Allgemeinbevölkerung.

Lasse Krogsboll, Autor des Cochrane Reviews zu allgemeinen Gesundheitschecks.

Zur Person

Der Däne Lasse Krogsbøll hat Medizin in Kopenhagen studiert. Er arbeitet im Bispebjerg-Spital in Kopenhagen als Chirurg; seine Fachgebiete sind Dickdarmchirurgie und Proktologie. Er ist die Erstautor eines 2019 aktualisierten Cochrane Reviews zu allgemeinen Gesundheitschecks.

Und das war keine gute Idee?

Es gab kein solides Wissen dazu, sondern nur Annahmen, welche Effekte diese allgemeinen Health Checks überhaupt haben. Das heißt, es war unklar, ob die Bevölkerung durch diese Untersuchungen tatsächlich gesünder ist und länger lebt. Der Bedarf für unsere Übersichtsarbeit war also gegeben, ich fand die Fragestellung sehr relevant.

Hat Ihre Arbeit konkrete Antworten geliefert?

Ja, und damit hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet. Wir haben sehr, sehr viel gefunden. Ehrlich gesagt war ich sehr überrascht von der Datenfülle und dass ich all diese phantastischen Studien einschließen konnte. Darunter war auch der damals ganz neue Inter99 Trial mit 60.000 Teilnehmenden. Die Auswertung war dann natürlich zeitintensiv, ich musste sehr sorgfältig vorgehen und alles mehrfach überprüfen.

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Paradigmenwechsel in der Vorsorgemedizin?

Im Jahr 2012 erschien die erste Version des Cochrane Review „General health checks for reducing illness and mortality“, 2019 erfolgte ein Update. Über die allgemeinen Gesundheitschecks haben wir bereits ausführlich berichtet. Diese Reihenuntersuchungen haben prinzipiell zum Ziel, Risikofaktoren aufzuspüren und Krankheiten im Frühstadium zu erkennen – noch bevor diese Beschwerden verursachen. Das frühe Eingreifen soll das Entstehen oder Fortschreiten von Krankheiten verhindern – was sich auch im oft verwendeten Begriff „Vorsorgeuntersuchung“ widerspiegelt.

Lasse Krogsbøll hat mit seinem Team den Nutzen dieser Checks untersucht und sich dafür auf Sterblichkeit und das Auftreten von schweren Erkrankungen konzentriert. Er verglich dazu die Daten von 252.000 Erwachsenen aus Europa und den USA, von denen nur ein zufällig ausgewählter Teil eine Einladung zu Gesundheitschecks erhalten hatte. Die statistische Zusammenfassung der 17 Studien ergab: Den erhofften Schutzeffekt gibt es offenbar nicht, denn Todesfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wird als moderat bis hoch einstuft.

Eine von mehreren möglichen Erklärungen für die Nicht-Wirksamkeit: Die in den Studien untersuchten Screenings erreichten möglicherweise ausgerechnet jene Personen nicht, die am meisten davon profitiert hätten. Umgekehrt nutzten vielleicht vorrangig eben jene Personen die Gesundheitschecks, die ohnehin einen guten Gesundheitsstatus und eine solide medizinische Betreuung hatten – für diese gut versorgte Gruppe haben die Health Checks eventuell keinen (in Todesfällen und Erkrankungszahlen messbaren) Mehrwert, weil ihre Erkrankungen und Risikofaktoren ohnehin nicht unentdeckt bleiben.

Laut Ihrer Arbeit lassen sich Herzinfarkte und Schlaganfälle, teils tödlich, nicht mit Hilfe von allgemeinen Gesundheitschecks reduzieren. Das widerspricht doch stark der gängigen Vorstellung. Ich kann mir vorstellen, dass der Cochrane Review mit Argusaugen gelesen wurde…

Ja, das Nordic Cochrane Center war ja in dieser Zeit quasi „berühmt“ für seine Arbeiten, etwa zum Mammografie-Screening, die teils sehr heftige Reaktionen ausgelöst haben. Und auch die Publikation zu den allgemeinen Health Checks hat Wellen geschlagen.

Wie waren die Reaktionen?

Unser Review wurde im dänischen Gesundheitsministerium wohl mit viel Offenheit aufgenommen und hat offenbar dazu beigetragen, dass die angedachten allgemeinen Health Checks in Dänemark nicht eingeführt wurden. Das war schon erhebend und hat, unter anderem, den Steuerzahler*innen viel Geld gespart. Kritische Reaktionen gab es aus mehreren Richtungen. Etwa aus Großbritannien, wo kurz zuvor das große öffentliche Health-Check-Programm des National Health Service eingeführt worden war. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich mit einem Interview sogar am Cover von „The Times“ war. Neben der Royal Family!

Abgesehen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und allgemeiner Sterblichkeit, wo es offenbar keine deutlichen Effekte für die Bevölkerung gibt: Können die allgemeinen Gesundheitschecks die Anzahl von tödlichen Krebserkrankungen senken?

Laut den von uns ausgewerteten Studien sind die allgemeinen Health Checks wirkungslos in Bezug auf die Krebssterblichkeit. Allerdings muss ich sagen, dass der Effekt auf die Krebssterblichkeit nur in einigen Studien untersucht wurde. Es war auch für uns keine zentrale Frage. Das heißt: Wir können daraus keine allzu starken Schlüsse ziehen.

In den allgemeinen Gesundheitschecks gibt es ja auch Beratungen zur Lebensstilveränderung – etwa in Bezug auf Ernährung, Bewegung und Rauchen. Haben diese Interventionen langfristig einen Effekt auf die Krebstodesfälle?

Wir haben in unserem Review keinen Effekt von Lifestyle-Interventionen, also Beratungen zum Lebensstil, auf die Krebssterblichkeit finden können. Ich bin hier nicht sehr zuversichtlich, dass die Wissenschaft in der Lage ist, einen möglicherweise vorhandenen Effekt zu isolieren. Lifestyleberatung hat verschiedene Komponenten, von denen einzelne vielleicht gut, andere eventuell schädlich sein könnten. Wir sollten uns auf jene Dinge fokussieren, für die wir klare Nachweise zur Wirksamkeit haben.

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Senken allgemeine Gesundheitschecks die Krebssterblichkeit?

In ihrem Cochrane Review haben Lasse Krogsbøll und seine Kollegen gezählt, wie viele Krebs-Todesfälle in den Gruppen mit bzw. ohne Einladungen zu allgemeinen Health Checks aufgetreten sind. Ihre Analyse ergab, dass in beiden Gruppen (mit Einladung bzw. ohne Einladung) ähnlich viele Personen an Krebs starben, nämlich jeweils 26 von 1000. Dies legt nahe, dass allgemeine Gesundheitschecks keinen Effekt auf die Krebssterblichkeit haben. Die acht für diese Frage relevanten Studien waren gut gemacht und sind zwischen 1963 und 1989 veröffentlich worden. Die Beobachtungszeit lag zwischen vier und 22 Jahren; die Daten stammten von rund 139.000 Probandinnen und Probanden. Einzelne Komponenten der allgemeinen Gesundheitschecks waren zum Beispiel: Beratungen zu Ernährung, Bewegung, Rauchen sowie Alkoholkonsum, Bruströntgen, Empfehlungen für gynäkologische Untersuchungen, Tests auf Blut im Stuhl, Erörterung familiärer Risikofaktoren.

Heißt das also, dass man nicht auf Krebs screenen soll?

Nein, das kann man nicht so pauschal sagen. Ich plädiere allerdings dafür, die Früherkennung von Krebs – also das Screening von Personen ohne Symptome – nicht in einem Paket mit diversen anderen Untersuchungen anzubieten. Es ist wichtig, Screenings zur Früherkennung von Krebs separat zu bewerten, etwa die Mammografie zur Brustkrebsfrüherkennung oder die Koloskopie zur Darmkrebsfrüherkennung – und nicht als einen Teil von einem großen Health-Check-Gesamtpaket mit vielen Komponenten. Nur so können wir verlässliche Aussagen zu Nutzen und Schaden treffen. Und natürlich gelten die Aussagen im Review nicht für jene, die schon mit Beschwerden zum ihren Ärzten oder Ärztinnen gehen und dann durchgecheckt werden, um der Ursache auf den Grund zu gehen.

Kurz gesagt: Ihr Review stellt die allgemeinen Gesundheitschecks stark in Frage. Warum ist es für viele so schwer, diesen Ergebnissen zu glauben?

Ich persönlich bin der Ansicht, dass allgemeine Gesundheitschecks zum Teil für einzelne Personen deutliche Vorteile haben, zum Beispiel das erstmalige Erkennen von extremem Bluthochdruck. Hier kann sich eine Behandlung enorm positiv auswirken. Solche Erlebnisse sind für Anbieter*innen und Nutzer*innen der Health Checks sehr einprägsam. Und so erscheint es aus der Sicht von Einzelnen nur logisch, dass das Screening auch für die Allgemeinheit einen hohen Nutzen hat. Gleichzeitig gibt es kein großartiges Bewusstsein für den möglichen Schaden bei der Bevölkerung, also Überdiagnosen und Überbehandlungen.

Nichtsdestotrotz – das Angebot und die Nachfrage nach allgemeinen Gesundheitschecks sind hoch.

Ich halte es für wichtig, herauszufinden, warum so viele Menschen diese Idee so lieben. Was genau steckt eigentlich dahinter, dass allgemeine Gesundheitschecks bei vielen so gut ankommen? Wenn wir dieses Bedürfnis verstehen, dann können wir vielleicht besser darauf eingehen als bisher. Also auf dieses Bedürfnis mit etwas Nützlichem reagieren, aber eben nicht mit zahlreichen Bluttests oder Bodyscans.



Alle Beiträge aus unserer Serie zu Krebsfrüherkennung und Screening:

  1. Vorsorge, Früherkennung, Screening – Kann man dem Krebs zuvorkommen?
  2. Der Test des Dr. Papanicolaou (Gebärmutterhalskrebs)
  3. Hautkrebs-Screening: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
  4. Allgemeine Gesundheitschecks ohne Wirkung: „Den Steuerzahlenden viel Geld gespart“
  5. Prostatakrebs: Wie sinnvoll ist die Früherkennung?
  6. Darmkrebs-Früherkennung – ein Screening der besonderen Art
  7. Brustkrebs-Screening per Mammografie

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