abstrakte Darstellung des Uterus

Gebärmutterhalskrebs: Der Test des Dr. Papanicolaou

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In unserer Serie zur Vorsorge und Früherkennung von Krebs verfolgt Autorin Julia Harlfinger heute die Geschichte der Früherkennungsuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs.

Fast 600.000 Frauen erkranken jedes Jahr weltweit an Gebärmutterhalskrebs. Die meisten dieser Erkrankungen wären vermeidbar – einerseits durch die seit einigen Jahren verfügbare Impfung gegen das Humane Papillomavirus (HPV, siehe diesen Cochrane Review), andererseits durch die schon fast ein Jahrhundert alte Früherkennungsuntersuchung, um die es heute gehen soll. Ihr Ziel ist es, unscheinbare Krebsvorstufen zu erkennen und zu behandeln, bevor aus ihnen Gebärmutterhalskrebs entstehen kann. Erfinder des noch heute üblichen Screeningtests („Pap-Test“) war der griechische Arzt George Papanicolaou. Einige Schlaglichter auf die ersten Jahrzehnte des Krebsscreenings.

19. Jahrhundert / frühes 20. Jahrhundert: Vordenker der Früherkennung

Die Idee, Krankheiten am besten im Frühstadium zu erkennen, ist nicht neu: Sie wurde u.a. bereits von Horace Dobell in seinen Lectures on the Germs and Vestiges of Disease, and on the Prevention of the Invasion and Fatality of Disease by Periodical Examinations (1861) formuliert. Der britische Arzt rief darin zu regelmäßigen Untersuchungen zwecks Früherkennung auf. Diese sollten „das Böse” an der Wurzel packen.

Einige Jahrzehnte später behauptete der Krebsforscher Charles Childe, Tumorerkrankungen seien in vielen Fällen heilbar (The Control of a Scourge, Or How Cancer Is Curable, 1907) – wenn sie nur früh genug entdeckt würde. Das Trügerische: Zu Beginn mache sich der Krebs nicht durch Symptome bemerkbar.

Ab 1928: Die Zeit wird reif

Schon fast 100 Jahre alt ist eines der Werkzeuge zur Erkennung von Gebärmutterhalskrebs-Vorstufen: der Pap-Test, benannt nach seinem Erfinder Georges Papanicolaou. Der aus Griechenland in die USA ausgewanderte Arzt berichtete bereits 1928 auf einer Konferenz darüber, dass er unter dem Mikroskop auffällige Zellen aus einem Scheidenabstrich erkennen könne. Der Test sei kostengünstig und einfach durchzuführen, so Papanicolaou.

Briefmarke zu Ehren von Georges Papanicolaou, USA, ca. 1978

Obwohl sich seine Idee nicht sofort durch setzte, verbreitete Papanicolaou beharrlich sein Wissen, etwa durch die Publikationen Diagnosis of Uterine Cancer by the Vaginal Smear (1943), gemeinsam mit Herbert Traut, und den Atlas of Exfoliative Cytology (1953). Auch bei der First National Cytology Conference 1948 in Boston versuchte George Papanicolaou über seinen Abstrichtest zu informieren und Praxiswissen weiterzugeben. Die Ärzteschaft war allerdings noch zurückhaltend.

Papanicolaou war nicht der einzige, der in der Zwischenkriegszeit einen Test zur Erkennung von Krebszellen bzw. Krebsvorstufen entwickelte. Ähnliche Wege gingen Aurel Babeș in Bukarest und Walter Schiller in Wien. Auch diese beiden Ärzte entwickelten zellbiologische Vefahren, um verdächtige Veränderungen am Gebärmutterhals nachzuweisen.

1937: Pionierin aus New York

Elise L’Esperance, US-amerikanische Forscherin und Ärztin, eröffnete 1937 das wohl erste Zentrum zur Krebsfrüherkennung (Strang Cancer Prevention Clinic) der Welt, und zwar in New York. Hier kamen gynäkologische Abstriche (Pap-Tests) bereits routinemäßig zum Einsatz.

1940er bis 1960er Jahre: Das Wissen kommt (langsam) in die Praxis

Die American Society for the Control of Cancer begann, Reihenuntersuchungen für Gebärmutterhals- und Brustkrebs zu propagieren. „Delay Kills“ lautete der drastische Slogan, der Frauen zur Teilnahme bewegen sollte.

Das US Public Health Service gab im Süden der USA eine große Pilotstudie in Auftrag (Exfoliative cytology in mass screening for uterine cancer: Memphis and Shelby County, Tennessee, 1955), an der 108.000 Frauen teilnahmen. Sie zeigte, dass die Ausrollung der Pap-Tests einerseits praktikabel war, andererseits auch viele neue Diagnosen „produzierte“. Ob die Tests das eigentliche Ziel des Screenings erreichen, also eine Senkung der Sterblichkeit, konnte diese Studie nicht beantworten.

Nichtsdestotrotz: Die Ausrollung der Programme erfolgte nach und nach auch in Europa, etwa in Großbritannien, wo sich die Labour-Politikerin Joye Butler Mitte der 1960er für die Einführung des Screenings einsetzte. Längst war das Krebsscreening der Bevölkerung, die Gesundheit ganzer Populationen zu einer politischen Angelegenheit geworden.

Angefärbte Zellen eines Pap-Tests unter dem Mikroskop

1970er & 1980er: Kritik wird laut

Archie Cochrane, Epidemiologe und Vordenker der evidenzbasierten Medizin, stellte das Screening Anfang der 1970er Jahre öffentlich zur Diskussion. Aus seiner Sicht war der Nutzen nicht ausreichend erwiesen – die vermeintlichen positiven Effekte aus Beobachtungsstudien sah er kritisch. Darauf erntete er harsche Reaktionen. Seiner Ansicht nach wurde die Diskussion rund um das Screening hoch emotional geführt; die Evidenz gerate dabei ins Hintertreffen.

Cochrane war nicht der Einzige, der eine sorgfältige Nutzen-Risiken-Abwägung des Screenings forderte sowie eine umfassende Information der Bevölkerung. Auch Tina Posner (Department of Community Medicine and General Practice, University of Oxford) beleuchtete das Screening aus der Perspektive der Frauen und wies auf falsche Hoffnungen und unzureichende Aufklärung über die Risiken hin. Ähnliche Diskussionen sollten sich später auch rund um andere Programme zur Krebsfrüherkennung entwickeln.

2022: Ungleicher Zugang zur Früherkennung

Über 600.000 Frauen erhalten jedes Jahr die Diagnose Gebärmutterhalskrebs. Die weltweite Krankheitslast ist jedoch extrem ungleich verteilt: Ungefähr 90 Prozent der erkrankten Frauen leben in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Das heißt, dem Großteil der weiblichen Weltbevölkerung stehen Primär- und Sekundärprävention (Impfung, Screening) tendenziell nicht kostenfrei, leicht zugänglich und routinemäßig zur Verfügung.

In Deutschland, Österreich und in der Schweiz gibt es für Frauen seit den 1970er Jahren die Möglichkeit, sich einem Screening zu unterziehen. Bislang wurde nur in Deutschland das „graue“ oder „opportunistische“ Screening in ein sogenanntes systematisches oder organisiertes Screening überführt. Das bedeutet, dass das Programm Qualitätskontrollen und eine zentrale Datenerfassung beinhaltet, was langfristig eine Einschätzung von Nutzen und Schaden ermöglichen sollte. Anspruchsberechtigt sind alle Frauen zwischen 20 bis 65 Jahren. Sie erhalten Einladungsschreiben ihrer Krankenkassen (Thema eines eigenen Beitrags auf Wissen Was Wirkt), die Teilnahme ist freiwillig. Zentraler Bestandteil des Screenings ist, fast 100 Jahre nach seiner Entwicklung, nach wie vor der Pap-Test.


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Gebärmutterhalskrebs – Zahlen und Fakten zur Früherkennung

Am Gebärmutterhals (Zervix) kann Krebs entstehen. Die Krebsvorstufen entwickeln sich üblicherweise sehr langsam im Laufe von Jahren und verursachen in dieser Zeit keine spürbaren Beschwerden. Doch die Veränderungen sind im Rahmen eines gynäkologischen Screenings (Pap-Abstrich, HPV-Test) erkennbar.
Das frühe Entdecken ermöglicht eine Therapie und stoppt somit die Weiterentwicklung der Krebsvorstufen zu Gebärmutterhalskrebs. Das Screening von Frauen ohne Symptome kann also Krebserkrankungen und Todesfälle verhindern. Die Hochrechnungen des Nutzens sprechen für sich:

Ohne Früherkennung
• 30 von 1000 Frauen erkranken an Gebärmutterhalskrebs
• 12 von 1000 Frauen sterben an Gebärmutterhalskrebs

Mit Früherkennung
• Weniger als 1 von 1000 Frauen erkrankt an Gebärmutterhalskrebs
• Weniger als 1 von 1000 Frauen stirbt an Gebärmutterhalskrebs

Wie alle Screenings hat auch die Früherkennungsuntersuchung für Gebärmutterhalskrebs Risiken. Dazu zählen falsch-positive Ergebnisse („falscher Alarm“), die unnötige Abklärungsuntersuchungen und möglicherweise starke psychische Belastungen nach sich ziehen. Es werden auch Krebsvorstufen behandelt, die auch ohne Therapie im Laufe des Lebens nie Beschwerden hervorgerufen hätten – es gibt aber keine Möglichkeit, dies verlässlich vorherzusagen.

Mehr Information zum Thema auf der Webseite des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsinforschungszentrums:
Gebärmutterhalskrebs Früherkennung
• als Informationsblatt (PDF)



Quellen

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Chalmers, Iain. (2008). Archie Cochrane (1909-1988). Journal of the Royal Society of Medicine. 101. 10.1258/jrsm.2007.071004.

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Quellen Infokasten

UpToDate (Patient Information, Advanced)

Gebärmutterhalskrebs: Früherkennung und Vorsorge (gesundheitsinformation.de)

Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung für Frauen ab 35 Jahren (g-ba.de)

Gebärmutterhalskrebs | Gesundheitsinformation.de

Cervical cancer (who.int)

Alle Beiträge aus unserer Serie zur Screening und Krebsfrüherkennung:

  1. Vorsorge, Früherkennung, Screening – Kann man dem Krebs zuvorkommen?
  2. Der Test des Dr. Papanicolaou (Gebärmutterhalskrebs)
  3. Hautkrebs-Screening: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
  4. Allgemeine Gesundheitschecks ohne Wirkung: „Den Steuerzahlenden viel Geld gespart“
  5. Prostatakrebs: Wie sinnvoll ist die Früherkennung?
  6. Darmkrebs-Früherkennung – ein Screening der besonderen Art
  7. Brustkrebs-Screening per Mammografie

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