Statistik, Cross-over-Studien

Einmaleins der Statistik: Der Unterschied zwischen Chance und Risiko

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In unserem letzten „Einmaleins der Statistik“ ging es um relative und absolute Risiken im Allgemeinen und über das statistische Maß der Risk Ratio bzw. dem „Relativen Risiko“ (RR) im Speziellen. In Studien begegnen einem oft auch die Odds Ratio (OR) oder zu Deutsch das Chancenverhältnis. Was es damit auf sich hat, ist unser heutige Thema.

Das Relative Risiko (Risk Ratio, RR) ist den meisten Menschen intuitiv verständlich, man nutzt es deshalb gerne in prospektiven Studien zur Ergebnisdarstellung. In Metaanalysen begegnet einem auch oft eine andere wichtige statistische Kennzahl, die Odds Ratio (OR) oder zu Deutsch: das Chancenverhältnis. Was genau ist der Unterschied zwischen beiden?

Um Missverständnisse zu vermeiden: In der Statistik bewertet man anders als im Alltag Chancen nicht unbedingt als etwas Wünschenswertes, umgekehrt sind Risiken nicht immer etwas Schlechtes. Man kann also durchaus von der Chance reden, an einer Krankheit zu sterben. Oder vom Risiko einer Heilung.

Risiko oder Chance?

Ein Risiko ergibt sich aus der Anzahl von Personen mit einem bestimmten Ereignis im Verhältnis zur Gesamtzahl der Personen in einer Untersuchungsgruppe. Eine Chance (engl. Odds) beschreibt dagegen die Anzahl von Personen mit einem bestimmten Ereignis im Verhältnis zur Zahl der Personen, bei denen das Ereignis nicht auftritt.

Veranschaulichen kann man sich das mit der Wahrscheinlichkeit, mit einem Würfel eine Sechs zu werfen: Das Risiko liegt hier bei 1⁄6, die Chance bei 1⁄5 , ist also als Zahlenwert etwas größer. Vielleicht hat sich deshalb der optimistischere Ausdruck „Chance“ eingebürgert? So oder so: Wie sehr man beim „Mensch ärgere dich nicht“ auf eine Sechs hoffen darf, ändert sich in Wirklichkeit natürlich nicht, sondern nur die Art und Weise, wie man dies ausdrückt.

Die Chance auf Krebs ist relativ

Ein (hypothetisches) Beispiel für die Berechnung von Chancen aus der Medizin: Angenommen unter 10 Rauchenden treten in einem bestimmten Zeitraum 4 Fälle von Lungenkrebs auf (d.h. 6 Rauchende bleiben krebsfrei). Dann beträgt die Chance auf Lungenkrebs 4⁄6 = 0,667. In einer Vergleichsgruppe von 10 Nicht-Rauchenden entwickelt nur eine Person einen Lungenkrebs, d.h. die Chance liegt hier bei 1⁄9 = 0,111.

Das Chancenverhältnis

Ein Chancenverhältnis (Odds Ratio, OR) ist der Vergleich von zwei Chancen, mathematisch ausgedrückt durch einen Quotienten. Es ähnelt also sehr dem relativen Risiko (RR), dem Quotienten aus zwei Risiken, z. B. jenen aus einer Behandlungs- und einer Kontrollgruppe in einer randomisierten Studie. Das Odds Ratio beträgt in unserem Krebs-Beispiel also OR = (4⁄6)/(1⁄9) = 6, sprich: Die Chance an Lungenkrebs zu erkranken ist bei Rauchenden im Vergleich zu Nicht-Rauchenden 6-fach erhöht.

Mit denselben Zahlen kann man auch ein relatives Risiko (RR) ausrechnen, mit erstaunlichem Ergebnis. Für unser Beispiel gilt dann: RR = (4⁄10)/(1⁄10) = 4. Das Risiko an Lungenkrebs zu erkranken ist durch das Rauchen also „nur“ 4-fach erhöht.

Dramatisieren mit Odds Ratios

Man sieht: Obwohl sie auf denselben Zahlen basieren, können RR und OR recht unterschiedliche Ergebnisse liefern. Beide sind korrekt, aber bei der Interpretation muss man aufpassen, ob von einem RR oder OR die Rede ist. Denn die Wahl des Maßes kann zu unterschiedlichen „Take Home Messages“ führen. So stellt der höhere Zahlenwert des OR in unserem Beispiel die Gefahren des Rauchens in ein besonders dramatisches Licht. Aber auch der heilsame Effekt eines neuen Medikaments lässt sich mit dem OR etwas rosiger darstellen.

Chance und Risiko: Annäherung im Unendlichen

Diese Differenz zwischen RR und OR fällt aber nur bei häufigen Ereignissen ins Gewicht, wenn also Zähler und Nenner relativ dicht beisammen liegen. Bei seltenen Ereignissen verliert sie sich, Risiko und Chance nähern sich dann immer mehr an. Beispiel: Wenn nur eine von 1000 Personen erkrankt, liegt das Risiko bei 1/1000 und die Chance extrem dicht bei 1/999 . Entsprechend nähern sich auch die Verhältnisse von Risiken bzw. Chancen aus zwei Vergleichsgruppen, also RR bzw. OR, immer mehr an.

Was soll ich wann nutzen?

In der Wissenschaft hat sich eingebürgert, in prospektiven Studien (z. B. randomisierte kontrollierte Studien, Kohortenstudien) das relative Risiko zu nutzen, weil es intuitiver zu verstehen ist. In retrospektiven Studien (z. B. Fall-Kontroll-Studien zur Untersuchung von seltenen unerwünschten Ereignissen) nutzt man dagegen fast immer die Odds Ratio. Auch in Metaanalysen werden Odds Ratios gerne als Effektmaß zur Berechnung eines gemeinsamen (gepoolten) Schätzwertes verwendet. Die Gründe dafür führen hier zu weit, man kann sie aber beispielsweise im Cochrane-Handbook nachlesen, der Methoden-Bibel von Cochrane. Wichtig zu merken: Beide Maße haben ihre Daseinsberechtigung, man darf sie aber insbesondere bei häufigen Ereignissen keineswegs gleichsetzen.


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