Impfung beim Kinderarzt

Impfen oder nicht impfen? Eine Frage der Zugehörigkeit.

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Wenn es um Impfungen für ihre Kinder geht, sind Eltern mitunter zögerlich. Manche lehnen Kinderimpfungen sogar komplett ab. Ein Cochrane Review zeigt, dass reine Zahlen und Fakten zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei elterlichen Impfentscheidungen keineswegs im Vordergrund stehen. Entscheidend ist vielmehr, ob sich Eltern als Teil einer Gemeinschaft erleben. Dieses Wissen soll dabei helfen, Impfprogramme künftig so zu gestalten, dass sie auf größere Akzeptanz stoßen.

Kinderimpfungen zählen zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen. Sie verhindern schwere Erkrankungen und Todesfälle durch Infektionskrankheiten wie Masern, Polio oder Tetanus. Dennoch erhalten weltweit viele Kinder die empfohlenen Impfungen nicht oder nicht so, wie es in Impfprogrammen vorgesehen ist. Das kann viele praktische Gründe haben, etwa Impfstoffknappheit, umständliche Anreisewege, hohe Kosten oder unpassende Öffnungszeiten der Gesundheitseinrichtungen.

Neben Mängeln im Angebot hapert es mitunter aber auch an der Nachfrage durch die Eltern oder Erziehungsberechtigten. Welche Faktoren zu diesem Zögern oder sogar zur Ablehnung von Kinderimpfungen führen, war bislang nur unzureichend untersucht.

Die Frage nach dem „Warum“

Diese weltweite Wissenslücke wollte Sara Cooper, Forscherin bei Cochrane South Africa, füllen. Dafür erstellte Cooper, die Psychologie, Public Health und Medizinsoziologie studiert hat, eine so genannte qualitative Evidenzsynthese. Anders als in den gängigen quantitativen Reviews von Cochrane ging es also diesmal nicht darum, zu zählen: Etwa, wie viele Kinder Erst- und Auffrischungsimpfungen erhalten, wie verlässlich die Impfung eine Infektion vermeidet oder wie oft Nebenwirkungen auftreten – zu diesen Fragen gibt es bereits eine Vielzahl von Cochrane Reviews. Anstatt nach dem „Wieviel“ fragten Cooper und Team nach dem „Warum“: Sie wollten herausfinden, unter welchen Umständen Nicht-Impfen aus der Betroffenenperspektive die sinnvollere Option zu sein scheint.

Dafür führte die siebenköpfige Gruppe aus Südafrika, Malawi und den USA zuerst eine umfassende Literaturrecherche durch. In die Auswertung flossen letztlich 27 Studien aus Afrika, Asien, Europa, Nord- und Südamerika und Australien ein. Die am häufigsten dabei eingesetzten Methoden waren (teils langjährige) Beobachtungen, Einzelinterviews und Fokusgruppen.

Mit diesen zwischen 1995 und 2020 veröffentlichten Forschungsarbeiten wollte sich das Forschungsteam einen möglichst umfassenden und verlässlichen Überblick zur Forschung zum weltweiten Phänomen der Impfskepsis verschaffen und Gründe dafür ableiten. Im Zentrum standen Einstellungen und Erfahrungen, die Eltern dazu bewegen, ihre Kinder im Alter von bis zu sechs Jahren zum Impfen zu bringen – oder dies eben nicht zu tun.

Zahlen sind Nebensache

Es zeigte sich: Die wissenschaftliche, in Zahlen erfasste Evidenz, also etwa die präventive Wirksamkeit einer Impfung oder die Häufigkeit von Nebenwirkungen, spielt dabei offenbar keine große Rolle. Vielmehr ist das Impfen bzw. Nicht-Impfen des Kindes ein Ausdruck der Werte, mit denen sich Familien identifizieren und ein Spiegel der sozialen Zugehörigkeit. Einige Beispiele:

  • Weit verbreitet ist die Vorstellung vom „zerbrechlichen Kind“, dessen Immunsystem noch unreif sei und deswegen keine Impfungen vertrage.
  • Skeptische Eltern sehen Impfungen mitunter als „unnatürlich“ an. Sie empfinden sie als Widerspruch zu ihrem „ganzheitlichen“ Gesundheitsverständnis.
  • Manche Eltern lehnen allgemeine Impfpläne ab. Sie kritisieren, dass diese zu pauschal seien und den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Kinder nicht gerecht werden könnten. Sie selbst wüssten am besten, was ihr Kind braucht – und wann.
  • Bei der Meinungsbildung spielen soziale Netzwerke eine wichtige Rolle – etwa andere Eltern, Freunde, Familie, Nachbarschaft und Glaubensgemeinschaften.
  • Manchmal sind knappe Ressourcen die Ursache dafür, dass sich Impfpläne nicht einhalten lassen: Mögliche Hindernisse sind eine komplizierte Anfahrt, konkurrierende Kinderbetreuungspflichten und täglich anfallende Haushaltsarbeiten.
  • Auch die Interaktion mit dem Gesundheitspersonal an den Impfstandorten kann eine Schlüsselrolle spielen. Wenn Eltern sich schlecht behandelt fühlen, kann dies die Impfbereitschaft nachhaltig senken. Respektvolle und ausgewogene Kommunikation hingegen können das Gegenteil bewirken.

Fehlendes Gemeinschaftsgefühl

Alles in allem formulierte das Cochrane-Team zwei zentrale Themen für die verminderte Akzeptanz von Impfungen: Zum einen die „neoliberale Logik“. Damit meinen die Autor*innen, dass viele Eltern Gesundheitsentscheidungen aus einer stark individuellen Perspektive sehen. Sie beurteilen ausschließlich Nutzen und Risiken für ihr eigenes Kind. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen (Stichwort Herdenimmunität und Schutz vulnerabler Menschen) hat bei manchen Eltern keinen entscheidenden Stellenwert. Dieses Phänomen ist vor allem in Ländern mit hohen Einkommen zu beobachten.

„Soziale Ausgrenzung“ lautet das zweite große Thema, das das Cochrane-Team aus seiner Analyse ableitet. Sich ausgeschlossen zu fühlen, nicht dazu zu gehören – das kann die Impfskepsis antreiben, ebenso wie geringes Vertrauen in öffentliche Institutionen oder in die Regierung. Das Verweigern von Impfungen kann dann zu einer Form des Widerstands werden. Dies ist in erster Linie ein Phänomen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen.

Nutzen für die Praxis

Warum es nicht nur in der akademischen Welt höchst interessant ist, diese Einflussfaktoren zu kennen? Das Wissen kann all jenen helfen, die im Auftrag von Behörden und Ministerien möglichst wirksame Interventionen rund ums Impfen entwickeln. Coopers Team zeigt nämlich auch, dass die im Review aufgedeckten Normen, Erwartungen und Anliegen der Zielgruppen in der Praxis bislang kaum berücksichtigt werden.

Damit sich dies ändert, haben die Autor*innen sieben Denkanstöße formuliert. Sie empfehlen zum Beispiel, sich vorab mit der Zielgruppe bzw. deren Überzeugungen und Gepflogenheiten in Bezug auf Gesundheit und Krankheit auseinanderzusetzen. Auch die Einstellung zu Obrigkeiten beziehungsweise das Misstrauen gegenüber Behörden, Pharmakonzernen und der medizinischen Forschung sind entscheidende Punkte. Ebenso eine Überlegung wert: Wie ist der Besuch der Impfstelle gestaltet – fühlen sich die Familien dort gut aufgehoben und bestätigt?

Auch wenn es keine Patentlösungen gibt: Die Forschergruppe schlägt vor, besser auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen und die Impfprogramme darauf abzustimmen. Auf diese Weise könne man die Impfbereitschaft bei Eltern steigern und damit letztlich Krankheits- und Todesfälle unter Kindern verhindern.


Zum Cochrane Review Faktoren, welche die Impfansichten und ‐gewohnheiten von Eltern und betreuenden Angehörigen hinsichtlich Routineimpfungen im Kindesalter beeinflussen: eine Synthese qualitativer Evidenz



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