Keine Wunderwurzel: Pelargonium gegen Erkältungshusten

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Wie in den Wintermonaten üblich, leiden derzeit viele Menschen unter unangenehmen, aber letztlich harmlosen Atemwegsinfektionen, ausgelöst von verschiedenen Erkältungsviren. Im Normalfall heißt es dann „Abwarten und Tee trinken“ bis die Symptome vergehen. In der Hoffnung, die Genesung beschleunigen zu können, greifen aber doch viele Menschen zu frei verkäuflichen Arzneimitteln aus der Apotheke. In unserer Mini-Serie zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungen stellen wir heute Cochrane-Evidenz zu Nutzen und Risiken von Extrakten aus der südafrikanischen Kapland-Pelargonie vor.

Die südafrikanische Kapland-Pelargonie (Pelargonium sidoides) ist eine eher unauffällige Pflanze aus der Verwandtschaft der Geranien mit hübschen kleinen Blüten. In ihren verdickten Wurzeln jedoch sollen wahre Wunderkräfte schlummern. Davon ist man nicht nur in der traditionellen Heilkunst des südlichen Afrikas überzeugt. Auch in Europa setzten Patienten seit über hundert Jahren Hoffnungen auf Extrakte aus der Pelargonienwurzel, zunächst als vermeintliches Wundermittel gegen Tuberkulose („Stevens’ Consumption Cure“ war trotz mehrerer Betrugsverfahren in Großbritannien offenbar bis in die 1960er Jahre im Handel), heute zumeist als Arznei gegen Erkältungsbeschwerden.

Pflanzliche Arzneimittel mit einem standardisierten Extrakt aus der Wurzel von Pelargonium sidoides (auch unter dem Namen Umckaloabo® bekannt) sollen gemäß Werbung „den Infekt bei der Wurzel packen“. Die Pflanzeninhaltsstoffe könnten das Immunsystem unspezifisch anregen und das Anhaften von Viren und Bakterien an der Schleimhaut von Mund, Nase, und Rachen erschweren. Auch eine schleimlösende Wirkung wird den darin enthaltenen Pflanzeninhaltsstoffen zugeschrieben [1].

Hilft die afrikanische Wurzel gegen Erkältungsbeschwerden?

Pelargonium-Extrakte werden allgemein als Erkältungsmittel angeboten, offiziell als Arzneimittel sind sie jedoch nur bei akuter Bronchitis zugelassen. Die kann zwar im Verlauf einer Erkältung auftreten, muss sie aber nicht. Bei einer akuten Bronchitis ist die Bronchialschleimhaut entzündet und es kommt zunächst meist zu einem trockenen Reizhusten. Im weiteren Verlauf bilden die entzündeten Bronchien vermehrt zähes Sekret, der Husten wird „produktiv“.

Ein Team deutscher Cochrane-Autor*innen wollte im Jahr 2013 wissen, welchen Nutzen Pelargoniumwurzel-Extrakte bei Erkältungssymptomen wirklich haben. Für ihren Cochrane Review fanden sie zehn randomisierte kontrollierte Studien, von denen acht von ausreichender Qualität waren, um in die Analysen eingeschlossen zu werden [2]. Alle Studien waren Hersteller-finanziert und wurden in Osteuropa durchgeführt.

In den Studien wurden verschiedene Formen von Atemwegsinfektionen untersucht:

  • akute Bronchitis, Hauptsymptom: Husten (drei Studien mit Erwachsenen, drei mit Kindern)
  • Sinusitis (Nasennebenhöhlenentzündung), Hauptsymptome: verstopfte Nase, Kopfschmerzen bzw. Druckgefühl in Stirn, Wangen und Kiefer (eine Studie)
  • Erkältung, Hauptsymptome: Halsschmerzen, laufende oder verstopfte Nase (eine Studie)

Insgesamt stuften die Autor*innen die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz aufgrund methodischer Probleme der Studien als niedrig ein. So gingen beispielsweise nicht alle zu Beginn nach dem Zufallsprinzip in die Behandlungsgruppen verteilten Studienteilnehmenden in die abschließende Auswertung ein. Vor allem aber lässt sich die für Erkältungsgeplagte als relevant eingeschätzte Forschungsfrage „Gibt es einen Unterschied zwischen Pelargonium-Extrakten und Placebo bei der Zahl derjenigen, die nach einer bestimmten Zeit (5, 7 und 21 Tage) symptomfrei sind oder bei denen die Hauptsymptome verschwunden sind?“ nicht befriedigend beantworten, weil dieses Ergebnis in den Studien gar nicht als Hauptergebnis erhoben wurde. Dies wäre jedoch für statistisch aussagekräftige Resultate nötig.

Schwer verständliche Summensymptomscores

Stattdessen nutzten die Studien Veränderungen auf einer nicht im Voraus validierten Symptomskala als primäres Ergebnis. Veränderungen in solchen sogenannten Summensymptomscores sind in ihrer Bedeutung für die Betroffenen jedoch schwer zu bewerten [3]. Wie würden Sie entscheiden: Ist auf einer Skala, auf der fünf verschiedene Symptome jeweils mit Punkten von 0 (nicht vorhanden) bis 4 (sehr schwer) bewertet werden können und die daher von 0 bis 20 reicht, ein Unterschied von 2 bis 3 Punkten zwischen den Behandlungen für Sie ein im echten Leben spürbarer Unterschied? Wenn Sie jetzt ratlos sind, geht es ihnen wie dem Cochrane-Team.

Dennoch versuchten die Autor*innen – auch durch Nachfragen beim Hersteller – für ihre Frage relevante Daten zu erhalten. In der Gesamtschau deuten die Ergebnisse immerhin darauf hin, dass Atemwegsinfizierte, die den Wurzelextrakt in Form von Tropfen anwenden, nach 5, 7 und 21 Tagen häufiger symptomfrei sind als diejenigen, die Placebotropfen einnehmen.

Ob dies auch für den Einsatz von Pelargonium-Tabletten gilt, war zum Zeitpunkt der Reviewerstellung deutlich schwerer zu beurteilen als für Tropfen. Eine 2019 veröffentlichte Studie zeigt zwar für Tabletten bei erkälteten Erwachsenen, dass an Tag 5 statistisch weniger Erkältungsbeschwerden (wie Schnupfen, Husten, Schluckbeschwerden oder Halskratzen; gemessen mittels Symptomsummenscore) vorliegen [4]. Die Studie verwendete jedoch ein für diese klinische Fragestellung wenig etabliertes Design (für Profis: ein gruppen-sequenzielles Design mit der Möglichkeit von drei Interimsanalysen, die den vorzeitigen Studienabbruch erlaubten). Die Wahl dieses Designs wird nicht begründet und wirft Glaubwürdigkeitsfragen auf.

Unerwünschte Wirkungen waren in den Studien bei Einnahme von Pelargonium etwas häufiger als bei Placeboeinnahme. In erster Linie traten leichte Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Sodbrennen und Durchfall auf. Auch allergische Reaktionen sind möglich.

Pflanzlich bedeutet nicht unschädlich

Für Bagatellerkrankungen wie eine Erkältung, die auch ohne Behandlung schnell vergehen, ist der Anspruch an die Unschädlichkeit der Behandlung jedoch besonders hoch. Dabei sind pflanzliche Mittel nicht per se weniger gefährlich – viele Pflanzen bilden zur Abwehr von Fraßfeinden hoch giftige Stoffe. So stehen pflanzliche Arzneimittel immer wieder unter dem Verdacht, Leberschäden auszulösen. Ein prominentes Beispiel ist das gegen Reizmagen- und Reizdarmbeschwerden eingesetzte Iberogast® Classic, das gleich neun Pflanzenextrakte enthält, darunter Schöllkraut, das in zu hoher Dosierung die Leber schädigen kann [5].

Solche sehr seltenen unerwünschte Wirkungen lassen sich jedoch in klinischen Studien mit ihrer vergleichsweise geringen Zahl von Teilnehmenden (und damit auch in einer systematischen Übersichtsarbeiten auf Basis dieser Studien) kaum entdecken. Sie fallen erst dann auf, wenn sehr viele Menschen unter Alltagsbedingungen das Mittel anwenden. So wurden auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Pelargonium-Extrakten Leberschäden bekannt, die daraufhin in die Produktinformation aufgenommen wurden. Auch aus diesem Grund sieht die deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in ihrer S3-Leitlinie „akuter und chronischer Husten“ das Nutzen-Schaden-Verhältnis für Pelargonium-Extrakte als nicht abschließend geklärt [6].


Zu den anderen Beiträgen dieser Serie:

Unheilbar, aber halb so schlimm: Erkältungen und was man dagegen tun kann

Kombinationsmittel gegen Erkältung: Mit Kanonen auf Spatzen?


Text: Dr. Birgit Schindler

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